Barbara Betschart
Seit rund drei Jahren amtet Barbara Betschart als Geschäftsführerin im Roothuus Gonten. Doch nicht nur im Zentrum für Appenzeller und Toggenburger Volksmusik stellt sich die lebensfrohe Schwyzerin mit Leib und Seele in den Dienst der Sache. Auch auf der Bühne ist ihre unbändige Energie spürbar, welche sie längst zurück zu ihren eigenen Wurzeln gebracht hat.
25.09.2017 | VON STEFAN SCHWARZ
In der Jugendzeit von Barbara Betschart gehörten einheimische Traditionen zur Tagesordnung. Neben den familiären Aktivitäten in der Trachtengruppe ertönten zuhause ausschliesslich Volksmusikklänge und auch der Kirchgang an Festtagen in der Tracht gehörte zu den stets wiederkehrenden Ritualen der Betscharts. Dies manifestierte sich jeweils auch in den regelmässigen Ferien in Schwende und Appenzell, wo der Besuch traditioneller Brauchtumsveranstaltungen ebenfalls zum klar vorgegebenen Programm gehörten.
Wegen des Altersunterschiedes von acht und neun Jahren zu den beiden älteren Schwestern lag der Blickwinkel der Eltern in vielen Belangen ganz automatisch auf der Nachzüglerin. Barbara fühlte sich denn auch fast wie ein Einzelkind, da ihre Schwestern in den prägenden Jahren schon ausgeflogen waren. Im Appenzellerland hatte die familiäre Konstellation für Barbara aber durchaus auch ihre guten Seiten. So kam der Teenager alsbald mit einheimischen Jugendlichen in Kontakt und wuchs in ihrer zweiten Heimat unter anderem quasi mit dem heutigen Hackbrettbauer Johannes Fuchs auf. Diese freundschaftlichen Verbindungen zu einer bedeutenden Innerrhoder Musikantendynastie weckten das Interesse an sennischen Traditionen im Laufe der Jahre auf ganz andere Weise. Barbara schaute den aufspielenden Musikanten beim Heimatabend im Hecht, den Konzerten im Rathaus oder bei Volksmusikanlässen im Jakobsbad und Rossfall aufmerksam auf die Finger und lernte diese durch ihre Eltern und deren Freunde oftmals auch persönlich kennen. All diese vertrauten Traditionen hatten für Barbara Betschart im Pupertätsalter dann plötzlich keine grosse Bedeutung mehr. Zuhause in Schwyz wurde ihr das Tragen der Tracht peinlich und trotz Talent und grossartigen Auftritten getraute sie sich kaum mehr zu sagen, dass sie Geige spielt. Bei den Gleichaltrigen waren Rock und Pop angesagt und am Sonntagnachmittag wurden mit dem Kassettenrecorder die schönsten Lieder der wöchentlichen Hitparade aufgenommen.
Musikerlaufbahn
Trotz äusserer Zwänge und einer gewissen Abgrenzung gegenüber ihren Eltern blieb die Liebe zur Musik und insbesondere zur Geige immer bestehen. Der erste Auftritt als Teenager mit dem Jugendorchester in der Tonhalle Zürich, die Mitwirkung im erfolgreichen klassischen Streichquartett der Musikschule Schwyz oder auch die jährlichen Lager mit Konzerttournee bleiben unvergessen. Barbara schwärmt noch heute von dieser intensiven und prägenden Zeit, in der auch der Wunsch nach einer professionellen Musikerlaufbahn immer konkreter wurde. Nach der abgeschlossenen Diplom-Handelsmittelschule und etwas Berufserfahrung folgte im Alter von 24 Jahren das Musikstudium, das sich die junge Geigerin durch Unterrichten und Auftritte finanzierte. Mit dem Geigen-Lehrdiplom (heute Master Pädagogik) im Sack gab sich die Musikerin jedoch nicht zufrieden. Sie absolvierte neben dem Unterrichten vieler Geigenschüler berufsbegleitend eine Musikschulleiter-Ausbildung und führte in der Folge unter anderem die Musikschule Uri mit 120 Lehrpersonen und wurde später Prorektorin der Musikschule Luzern.
Als Musikerin befasste sich Barbara Betschart bis zur schicksalshaften Begegnung mit ihrem heutigen Ehemann rund 20 Jahre lang praktisch ausschliesslich mit der so genannten alten Musik. Ausgerüstet mit Barockgeige sowie Barock- und Klassikbogen wirkte sie voller Elan unter anderem in einem professionellen Barockorchester. Bis heute liegt ihr diese Musiksparte am Herzen, weshalb sie die gelegentlichen Einsätze als Zuzügerin im professionellen Capriccio Barockorchester oder im Corund Barockorchester nicht missen möchte. Durch die Liaison mit Markus Flückiger fand Barbara Betschart nach zwei Jahrzehnten Abstinenz auf einmal wieder zu ihren musikalischen Wurzeln zurück und konnte diesen als gestandene Musikerin mit etwas Distanz auf ganz andere Art und Weise begegnen. Während Markus seiner Partnerin einen neuen Einblick in die vielfältige und lebendige Volksmusikszene ermöglichte, weckte sie umgekehrt Flückigers Interesse für klassische Klänge. Es versteht sich von selber, dass Barbara Betschart und Markus Flückiger ihre Faszination für die Musik alsbald auch öffentlich teilten. So waren beispielsweise auf der Hujässler-Produktion «Mälchfett» im Jahr 2007 unter der Bezeichnung «Hujässler-Project» erstmals auch zwei Titel mit klassischem Streichquartett und Waldhorn zu hören. Oder seit der «Stubete am See 2012» sorgen die beiden im damals zusammengestellten Ländlerorchester unter der Bezeichnung «Flückiger’s AlpeNordsite» immer mal wieder für ganz besondere Volksmusikklänge.
Brandhölzler Striichmusig
Barbara Betschart fand jedoch nicht nur den Zugang zur Neuen Volksmusik, sondern erfreute sich mehr und mehr auch wieder an überlieferten Klängen, wie alten Innerschweizer Tänzen oder Melodien, die ihr von früher aus dem Appenzellerland bekannt waren. Als es bei der Brandhölzler Striichmusig im Jahr 2012 zu personellen Veränderungen kam, liess sich die Vollblutmusikerin nicht zweimal bitten und spielt dort seither neben Barbara Kamm die zweite Stimme. Die beiden Geigerinnen verstehen sich musikalisch optimal und haben durch ihre individuellen beruflichen Tätigkeiten im volkskulturellen Bereich auch neben der Bühne immer genügend Gesprächsstoff. Die dritte Brandhölzler-Dame heisst Kathrin Züricher und sorgt am Bass für das musikalische Fundament. Harmonisch und rhythmisch komplettieren Thomas Looser (Hackbrett) und Niklaus Frei (Cello) die Brandhölzler Striichmusig, welche sich alle drei Wochen zu einer Probe trifft und durchschnittlich einmal pro Monat einen Auftritt absolviert.
Musikalisch hat sich die Formation auf- grund ihrer instrumentalen Besetzung ganz klar der typischen Original-Streichmusik-Tradition verschrieben, wobei viele traditionelle Melodien ganz bewusst nach alter Väter Sitte interpretiert werden. Im Repertoire finden sich gleichzeitig aber auch zahlreiche zeitgenössische Kompositionen, die als Kontrast dazu harmonisch und rhythmisch etwas komplexer erklingen. Viele dieser neuen Titel stammen aus der Feder von Cellist Niklaus Frei sowie von Barbara Kamms Bruder Philipp. Doch auch hier bewegen sich die Arrangements vom Ablauf her in den bekannten Formen. Es entsteht dadurch trotz neuer Einflüsse eine gewisse Vertrautheit. Dieser musikalische Mix kommt beim Publikum sehr gut an, denn während gewisse Titel eher zum aufmerksamen Zuhören animieren, locken andere ganz automatisch wieder aufs Tanzparkett.
Lebendiges Roothuus Gonten
Mit ihrem Job als Geschäftsführerin des Roothuus Gonten setzt Barbara Betschart ihren Weg zurück zu den eigenen Wurzeln seit 2014 auch beruflich fort. Das historische Haus im Zentrum der Innerrhoder Gemeinde Gonten besteht seit 1763 und ist nach einer vollständigen Renovation im Jahr 2007 zur Anlaufstelle für sämtliche Fragen im Zusammenhang mit der klingenden Volkskultur rund um den Säntis geworden. Voller Begeisterung führt Barbara Betschart ihre Gäste durch die verschiedenen Räumlichkeiten, die eine besondere Atmosphäre mit viel bodenständigem Charisma vermitteln und zeigt mit ganz besonderer Freude die alte Toggenburger Hausorgel, den hochbarocken Saal im Obergeschoss oder auch die Senntumsschellen.
Barbara Betschart schätzt sich glücklich, dass die Volkskultur rund um den Säntis derart lebendig ist und von der ganzen Bevölkerung als Selbstverständlichkeit wahrgenommen wird. Entsprechend umfangreich ist deshalb auch das brandsichere Archiv. Die Bibliothek und die Ausstellungsräume beheimaten in digitaler Form Notenmaterial ab 1730, diverse Instrumente, Bild- und Tondokumente, Stammdaten von Musikanten und Formationen sowie Tausende von Büchern und Publikationen. Einige davon sind in Eigenregie entstanden und halten zum Beispiel im Bereich Volksmusik, Ratzliedli oder Naturjodel diverse aktuelle Forschungsergebnisse fest. Das Roothuus Gonten will aber nicht nur dokumentieren, sondern die instrumentale und vokale Volksmusik mit verschiedenen Aktivitäten zusätzlich beleben. Neben Kursveranstaltungen oder mitreissenden Führungen, wo man ein ausgestelltes Instrument auch mal selber in die Finger nehmen darf, sind Barbara Betschart die öffentlichen Stubeten eine Herzensangelegenheit. Hier wird in geselliger Atmosphäre musiziert, gejodelt, getanzt und das einheimische Brauchtum facettenreich und ungezwungen zelebriert. Nicht selten sorgt die quirlige Gastgeberin bei einer Tanzrunde kurzerhand für Damenwahl, greift auch mal selber zur Geige oder singt mit bei einem spontanen Ruggusseli der Gäste oder erfreut sich am Schellenschötten.
Wer Barbara Betschart bei ihren vielfältigen Aktivitäten im Roothuus Gonten erlebt, spürt auf Anhieb, dass die Schwyzerin im Appenzellerland mehr als eine zweite Heimat gefunden hat. Auf den Spuren ihrer eigenen Wurzeln ist die Musikerin im Dienst der Sache ohne jegliche Berührungsängste zur idealen Netzwerkerin, Organisatorin, Konservatorin und Motivatorin für die Appenzeller und Toggenburger Volkskultur geworden.
Neuzeitlich und traditionell
Im Ländlerorchester «Flückiger’s AlpeNordsite» vereinen sich Barbara Betscharts musikalische Vorlieben zu einem Klangerlebnis zwischen Klassik, Volksmusik und Moderne. Im Gegensatz dazu präsentiert sie im Roothuus Gonten immer wieder traditionelles Notenmaterial, wie hier mit Appenzeller Tanzmusik aus dem späten 18. Jahrhundert.
Schloffä-Tanz
Flückiger’s AlpeNordsite
Altfrentsch
Tanzmusik aus dem Appenzellerland
Barbara Betschart
Geburtsdatum
27. Januar 1966
Wohnort
Schwyz SZ / Gonten AI
Familie
Lebt mit dem Musiker Markus Flückiger und dessen Sohn Dominik zusammen.
Hobbys
Freunde, Natur und die Schwyzer Fasnacht mit ihrer Nüssler Tradition.
Werdegang
Auf den obligaten Blockflötenunterricht folgten Singkurse, Kinder- und Jugendchor. Ab der vierten Klasse belegte Barbara den Geigenunterricht und spielte nach ersten Ensemble-Erfahrungen im Streichquartett der Musikschule Schwyz sowie im Jugendorchester. Nach der Diplom-Handelsmittelschule ab-solvierte Barbara Betschart ein Musikstudium und bildete sich später zur Musikschulleiterin weiter. Neben steter Unterrichtstätigkeit und regelmässigen Konzertaktivitäten leitete sie unter anderem die Musikschule Uri und amtete als Prorektorin der Musikschule Luzern. Seit 2014 ist die Heimweh-Appenzellerin als Geschäftsführerin im Roothuus Gonten tätig.
Aktuelle Formationen
Barbara Betschart ist Geigerin bei der Brandhölzler Striichmusig sowie im Projektorchester Flückiger’s AlpeNordsite. Daneben ist sie auf allerlei weiteren Bühnen anzutreffen und leitet die Jakobisänger Gonten.
Persönlich
Mein Sternzeichen
Man sagt, ich sei ein typischer Wassermann, welche angeblich aussergewöhnlich «und mängisch ä chli verruckt» seien.
Mein Charakter
Ich bin ein bodenständiger Mensch und kann sehr gut auf Menschen zugehen.
Meine Heimat
Ich bin im Talkessel von Schwyz aufgewachsen und fühle mich dort besonders geerdet. Das Appenzellerland ist längst auch zu meiner Heimat geworden. Heimat ist grundsätzlich dort, wo die Menschen leben, die einem am Herzen liegen.
Meine Sportaktivitäten
Ich bewege mich gerne in der Natur. Früher machte ich oft Skitouren und war auch sonst regelmässig auf der Piste unterwegs. Dies möchte ich in Zukunft wieder etwas aktivieren.
Meine Tiere
Weil ich allergisch bin, habe ich selber nie ein Haustier besessen und mein unregelmässiger Arbeitsalltag würde dies ohnehin nicht zulassen. Tiere mag ich aber trotzdem und ich beobachte sie gerne in freier Wildbahn.
Meine digitale Welt
Computer und Handy sind auch in meinem Alltag ständige Begleiter. Trotzdem bevorzuge ich nach wie vor einen persönlichen Dialog von Auge zu Auge.
Mein Spieltrieb
Gesellschaftsspiele spielten wir früher kaum und beim Jassen möchte ich aufgrund unangenehmer Erfahrungen ja keine falsche Karte spielen. Deshalb lebe ich meinen Spieltrieb lieber musikalisch aus!
Meine Zukunft
Ich freue mich auf viele weitere tolle musikalische Begegnungen und hoffe, dass ich mit meiner Arbeit im Roothuus Gonten noch manche Türe öffnen und viele Menschen für die Sache begeistern kann. Am Ende meines Lebens möchte ich dereinst einmal mit Gelassenheit und Weisheit sagen können, dass ich einen guten Weg eingeschlagen habe und dankbar darauf zurückblicken können.
Kontakt
Barbara Betschart
c/o Roothuus Gonten
Dorfstrasse 36
9108 Gonten
Telefon 071 794 13 30
www.roothuus-gonten.ch
www.brandhoelzler.ch