Was ist heute Musik fürs Volk?
«Det äne am Bärgli» ist der Klassiker schlechthin bei den Deutschschweizer Kinderliedern. Im Kindergarten und in der Primarschule werden noch einige generationenüberdauernde Volkslieder gesungen. Spätestens in der Oberstufe ist Schluss damit. Pop- und Rocksongs – oftmals in englischer Sprache – haben die alten Volkslieder längst verdrängt. Als eine Ausnahme können die Mundartlieder von Mani Matter angesehen werden, die erstaunlicherweise dann doch immer wieder in Singbüchern zu finden sind.
23.05.2017 | VON HAUS DER VOLKSMUSIK
Instrumentale Volksmusik wird im Gegensatz zur vokalen Volksmusik fast gar nie im Musikunterricht thematisiert – wobei Musik ohne Text auch viel schwieriger einzuflechten, ist als Worte, über die diskutiert werden kann. Das ist auch verständlich. Die Jugendlichen bevorzugen scheinbar Popmusik, sie trifft den Geschmack offenbar besser. Da stellt sich nun die Gretchenfrage: Warum ist gesungene oder gespielte Volksmusik nicht angesagt in unserer Populärkultur? Schliesslich ist es ja «Musique Populaire», also Musik für das Volk.
Die mangelnde Präsenz der traditionellen heimischen Musik oder die klischeehafte und fragwürdige Darstellung derer in den Medien ist ein grosses Problem. Hinzu kommt noch die individuelle musikalische Prägung durch das Elternhaus und dort hat Volksmusik oftmals ein negativ besetztes Image. Somit wird in die jungen Köpfe das Bild des rückständigen und banalen Hüdigäggelers programmiert. Die Musikbildung von der Primarschule bis hin zur Oberstufe und darüber hinaus, sollte dieser Tatsache Gegensteuer geben. Sie sollte um eine umfassende musikalische Bildung besorgt sein: Volksmusik neben Klassik, Pop/Rock neben Jazz – allesamt gleichberechtigt. Umsetzen müssen dies die Klassen- und Musiklehrpersonen. Leider ist Volksmusik nicht Teil der gesamtheitlichen pädagogischen Ausbildung, Musik generell hat keinen grossen Stellenwert. Die Thematisierung der Volksmusik ist also personenabhängig – Voraussetzung dafür ist ein persönliches Interesse der Lehrperson oder ein volksmusikfreundliches Elternhaus.
Volksmusik im Klassenzimmer
Die pädagogische Ausbildung der Lehrpersonen streift Musik zu oft nur marginal und auch Fortbildungskurse zu diesem Thema werden in der Schweiz nur sehr wenige angeboten. Der Lehrerweiterbildungskurs des Hauses der Volksmusik als Beispiel wird sehr rege genutzt. Quantitativ ausgedrückt sprechen wir jedoch von rund 20 Lehrpersonen, die pro Jahr den Kurs aus eigenem Interesse besuchen. Ob aber die Thematik dann tatsächlich im Unterricht eingebracht wird, lässt sich nicht überprüfen. Die Volksmusik hat leider bei vielen Lehrpersonen ein negatives Image, geprägt durch die Ansichten der eigenen Eltern und die der Volksmusik historisch auferlegten Bürde als Mittel zur geistigen Landesverteidigung während des Kalten Krieges. Dies zu ändern kann nur durch Imagepflege und positive Darstellung der Volksmusik gelingen.
Noch immer trauen sich Lehrpersonen oftmals gar nicht das Thema Volksmusik in den Klassen umzusetzen, weil vielen von ihnen dazu das Hintergrundwissen fehlt, um dem gängigen Klischee glaubhaft entgegenzuwirken. Angenommen, weiterbildende Volksmusikkurse für Lehrpersonen würden tatsächlich Pflicht, dann stünden wir vor dem nächsten Problem: Wer sollte diese Weiterbildungen unterrichten? Tatsächlich gibt es in unserem Land sehr wenige qualifizierte Personen in diesem Bereich. Nicht zuletzt müssten solche Kurse auch finanziert werden, was nur durch staatliche Mittel passieren kann.
Einen anderen Ansatz verfolgt die ausserschulische Volksmusikförderung, begonnen bei den Kleinsten, in der Hoffnung, dass sie vom Volksmusik-Virus angesteckt werden und diesen bis zum Erwachsenenalter behalten können. Bestenfalls geben sie ihre Freude auch weiter und werden selbst zur Inspiration für die nächste Generation. Als Beispiel seien hier zwei Projekte des Hauses der Volksmusik aufgeführt, die schweizweit einzigartig sind und seit 10 Jahren erfolgreich durchgeführt werden. Das erste Projekt ist die Kindervolksmusikwoche, wo genau dieses Konzept schon den kleinsten Musikanten vermittelt wird: Kinder im Alter von 7 bis 11 Jahren musizieren eine knappe Woche lang im urnerischen Isenthal zusammen mit enthusiastischen Lehrpersonen, verbunden mit viel Spiel und Spass. Auf die Idee, dass Volksmusik weniger cool sein sollte als ein anderes Musikgenre, kommt in diesem Alter noch niemand. Der Coolness-Faktor wird erst zentral, wenn es darum geht, wie sich die Jugendlichen in ihre sozialen Kreise einfügen sollen. Manch eine jugendliche Jodlerin oder ein jugendlicher Schwyzerörgeler verschweigt seine volksmusikalische Leidenschaft, um sich nicht abschätzigen Bemerkungen oder sogar Mobbing auszusetzen. Da braucht es sehr starke Charaktere, die sich trauen, entgegen der gängigen Populärkultur für ihre musikalischen Vorlieben einzustehen. Aber im Wissen, dass es Gleichgesinnte gibt, wird dieser Gedanken bei den Kindern hoffentlich gestärkt.
Im Jungtalentschuppen, dem darauf aufbauenden Sommerlager für Jugendliche, werden musikalische Talente gefördert und genau auch das Selbstbewusstsein der jungen Musikantinnen und Musikanten in Bezug auf die Volksmusik und Volkskultur generell gestärkt. Die Bestätigung der Gleichaltrigen sowie die der Dozenten unterstützt die Jungen in der Ausübung ihrer musikalischen Leidenschaft. Sehr wichtig ist auch die Vermittlung einer Volksmusik, welche nicht exklusiv zu sein hat. Nur weil man gerne Ländler hört und spielt, heisst das nicht, dass man Metal, House, Punk, Klassik oder Reggae nicht ebenfalls gut finden darf. Eine wichtige Erkenntnis für Jugendliche, wenn es darum geht, sich musikalisch definieren zu wollen. Schliesslich findet man Inspiration für seine Musik überall!
Gezielte Förderung fruchtet
In den letzten Jahren wurde das Resultat der gezielten Kinder- und Jugendförderung vom Haus der Volksmusik sichtbar: Seit 2014 gibt es den Viva Nachwuchspreis, welcher publikumswirksam in der Sendung Viva Volksmusik des Schweizer Fernsehens vergeben wird. Die Gewinnerinnen und Gewinner waren allesamt Teilnehmer in den Nachwuchslagern des Hauses der Volksmusik. Die gezielte Förderung und Inspiration durch die tollen Lehrpersonen hat gefruchtet und die Schweizer Volksmusikszene wird nachhaltig von diesen jungen Formationen sowie Solistinnen und Solisten profitieren können.
Es ist also möglich, auch als Jugendlicher im 21. Jahrhundert Volksmusik zu machen und dazu zu stehen. Dies beweisen grosse Scharen an Jugendlichen beispielsweise an den Jungmusikanten-Stubeten, organisiert vom VSV des Kantons Bern oder am Eidgenössischen Jungmusikantentreffen im Kanton Zug. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der geografische Schwerpunkt sehr einseitig auf den ländlichen Gebieten liegt und sehr oft eine volksmusikalische Vorbelastung durch die Eltern besteht.
Die jungen Volksmusikantinnen und -musikanten geben uns Hoffnung, dass eine Entwicklung in diese Richtung möglich ist und diese langsam aber sicher auch von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Volksmusik sollte ein selbstverständliches Kulturgut sein und selbstverständlich auch zur allgemeinen Musikbildung gehören.
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