Dein Museum voller Leben
10 Jahre nach der Gründung einer entsprechenden Stiftung wurde dem Freilichtmuseum der Schweiz ab 1978 echtes Leben eingehaucht. Während zu Beginn vorerst 16 Gebäude und erste Handwerksdarbietungen für traditionsbehaftete Heimatgefühle sorgten, wartet der Ballenberg im Berner Oberland heute mit 109 historischen Häusern und einer Vielzahl an spannenden volkskulturellen Aktivitäten auf.
23.03.2018 | VON STEFAN SCHWARZ
FOTOS: BALLENBERG
Die beginnende Motorisierung in der Landwirtschaft sowie der wachsende Umbau des ländlichen Raumes durch Strassen, Bahnlinien und veränderte Besiedlungsformen liessen in Europa bereits Ende des 19. Jahrhunderts den Wunsch nach Freilichtmuseen aufkommen. In Europa spielten diesbezüglich die Nordländer in Oslo und Stockholm eine wichtige Vorreiterrolle, während einige Jahre später auch in Deutschland erste regionale Freilichtmuseen überlieferte traditionelle Werte öffentlich zur Schau stellten.
Auch in der Schweiz gab es ab Anfang des 20. Jahrhunderts von Seiten des Landesmuseums in Bern und im Zusammenhang mit der «Landi 1939» immer wieder Ideen und Vorstösse betreffend Schaffung eines nationalen Freilichtmuseums. Die wirkliche Initiative ging letztendlich aber von der Aktion Bauernhausforschung aus, die ab 1948 damit begann, ein detailliertes Inventar von historischen Gebäuden aufzunehmen und dieses in der bis heute existierenden Publikationsreihe «Die Bauernhäuser der Schweiz» veröffentlicht.
Eine Vision nimmt Gestalt an
Für den ersten Leiter des Zentralarchivs der Schweizer Bauernhausforschung, Max Gschwend (1917-2015), ging diese Arbeit aber noch zu wenig weit. Er stellte nämlich fest, dass viele ländliche Siedlungsformen mehr und mehr von der Bildfläche verschwinden und auch einst vertraute bäuerliche Hilfsmittel zu verstaubten Relikten alter Zeiten werden. So entstand in den Sechzigerjahren nach und nach die konkrete Vision eines nationalen Freilichtmuseums, wo an einem Ort die individuellen Hauslandschaften und die volkskulturelle Vielfalt der Schweiz dargestellt werden können. Mit Unterstützung der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde konnte Max Gschwend den Bundesrat dazu bringen, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, welche in der Folge diverse konkrete Projekte zu Papier brachte. Nach Prüfung mehrerer Varianten und Standorte entschieden sich die Entscheidungsträger rund um Max Gschwend im Jahr 1964 für ein kaum bebautes, idyllisches Wald- und Landwirtschaftsgebiet zwischen den beiden Berner Oberländer Gemeinden Hofstetten und Brienzwiler. Bevor es 1968 zur Gründung der Stiftung und 1978 zur Eröffnung des Freilichtmuseums Ballenberg kam, gab es jedoch noch einige Hürden zu nehmen. So stand beispielsweise die Lokalbevölkerung dem Projekt teilweise skeptisch gegenüber und der erforderliche Landkauf gab zu allerlei Diskussionen Anlass.
Lebendige Zeugen alter Zeiten
Mittlerweile ist der Ballenberg aus der Region nicht mehr wegzudenken und gilt längst nicht nur als bedeutende kulturelle, wissenschaftliche und touristische Institution, sondern auch als einer der bedeutendsten Arbeitgeber. Die rund 40 Festangestellten und 130 Saisonmitarbeiter sorgen dafür, dass die jährlich rund 200’000 Besucherinnen und Besucher ein facettenreiches Bild der ländlich-bäuerlichen Schweizer Kultur früherer Zeiten bekommen und diese auf dem Ballenberg immer wieder hautnah erfahren können. Die mittleren und jungen Generationen, für die ein Leben vor dem Zugriff auf Strom und fossile Brennstoffe heute kaum mehr vorstellbar ist, kann im Freilichtmuseum der Schweiz beispielsweise in anschaulicher Art und Weise erleben, wie Nachhaltigkeit dank Nutzung lokaler Ressourcen und menschlicher Kraft früher ganz selbstverständlich war. So werden auch Weiden, Wiesen, Äcker und Wald auf dem Ballenberg nach alter Väter Sitte vom eigenen Landwirtschaftsbetrieb bewirtschaftet. Dazu gehören über 250 heimische Bauernhoftiere, welche auf dem Gelände gackern, meckern, grunzen oder um die Wette muhen und laden zum Hautnah-Erlebnis ein. Und apropos muhen: Unter dem Motto «Cool! Die Kuh ist los» dreht sich in diesem Sommer auf dem Ballenberg alles rund um die Kuh. Neben vielen vergessen geglaubten Rassen, die beim Rundgang durch die regional und thematisch gegliederten Geländekammern entdeckt werden können, bietet auch die Sonderausstellung «Die Kuh. 1’000 Objekte und echter Mist» viel Wissenswertes im Zusammenhang mit dem typischen Schweizer Nutztier.
Lebendig geblieben sind in den diversen Werkstätten des Freilichtmuseums Ballenberg viele alte Handwerksberufe wie Korben, Schmieden, Flechten, Spinnen, Weben oder Schnitzen. Routinierte Fachleute von über dreissig traditionellen Fertigkeiten und Berufen lassen sich gerne bei der Arbeit über die Schulter schauen. Für Gruppen bietet der Ballenberg individuelle Führungen, Genuss- und Aktivprogramme an, die einen noch tieferen Einblick in bestimmte Themen erlauben.
Entwicklung in 40 Jahren
Während im Eröffnungsjahr 1978 vorerst 16 Häuser auf dem Ballenberg besichtigt werden konnten, bietet das Freilichtmuseum heute eine Vielfalt von insgesamt 109 historischen Gebäuden. Als vorläufig letztes wurde 2017 die Ziegelei aus Péry an ihrem neuen Standort im Berner Oberland eingeweiht. Obschon das bis heute als Basis dienende Konzept von Max Gschwend gegen 200 Häuser vorsah, sind gemäss den Verantwortlichen vorerst keine weiteren Bauten geplant. Grund hierfür ist die Tatsache, dass zwischenzeitlich fast alle Regionen der Schweiz passend dargestellt werden können und somit kein zwingender Bedarf nach Erweiterung besteht. Einzig in der Gebäudekammer Graubünden, wo bislang nur ein Heustall steht, wären typische Gebäude natürlich noch sehr willkommen. Da sich die Denkmalpflege Graubünden aber vor Ort selber für die Erhaltung bedeutender Einzelbauten stark macht, ist die Hoffnung auf die mögliche «Züglete» eines Hauses aus dem Bündnerland auf den Ballenberg derzeit illusorisch. Ganz generell ging der Ballenberg nie aktiv auf die Suche nach möglichen Objekten. Der Kodex sieht nämlich vor, dass ein passendes historisches Gebäude erst dann vom Freilichtmuseum übernommen werden kann, wenn dessen Erhalt am originalen Standort nicht mehr gewährleistet ist. Kopien und Rekonstruktionen sind bei Häusern überhaupt kein Thema.
Punkto Besucherzahlen konnte sich der Ballenberg nach seiner Eröffnung äusserst positiv entwickeln. Dank steter Erweiterung des Angebotes besuchten pro Saison teilweise bis zu 300’000 Personen das Freilichtmuseum der Schweiz. Von 2010 bis 2016 gingen die Zahlen jedoch kontinuierlich zurück, was die Betreiber unter anderem konjunkturellen Einflüssen, einer stetig steigenden Angebotsvielfalt im Freizeit- und Kulturbereich sowie zeitweise zurückhaltenden Marketingaktivitäten zuschreibt. 2017 konnte dank Gegenmassnahmen wieder eine Trendwende herbeigeführt werden, welche im Jubiläumsjahr hoffentlich andauern wird. Da die Eintritte die allergrösste Einnahmequelle des Ballenbergs darstellen, sind gesunde Besucherzahlen für die Stiftung von grösster Bedeutung. Bund und Kanton steuert dem Jahresbudget lediglich rund 17 % bei, weshalb auch die Unterstützung durch Fördervereine, Sponsoren und private Spender nach wie vor willkommen ist.
Am Eingang West in Hofstetten befindet sich seit 1996 das Kurszentrum Ballenberg. Es handelt sich dabei um die Nachfolgeinstitution der traditionsreichen Heimatwerkschule Mülenen in Richterswil. Das als eigenständige Stiftung etablierte Kurszentrum verpflichtet sich dem Handwerk, dem traditionellen Bauhandwerk sowie der zeitgenössischen Gestaltung. Da sämtliche auf dem Ballenberg gezeigten handwerklichen Themen im Kurszentrum erlernt werden können, schlägt der Partnerbetrieb einen willkommenen Bogen von der Vergangenheit in die Gegenwart.
Ebenfalls zu einem individuellen und lebendigen Zusatzangebot geworden ist ab 1991 das Landschaftstheater Ballenberg. In Folge der erfolgreichen Aufführung von «Romeo und Julia auf dem Dorfe» im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten «700 Jahre Eidgenossenschaft», bietet der Ballenberg seit 1993 jährlich die Kulisse für eindrückliche Theaterinszenierungen. Dieses Jahr wird vom 4. Juli bis 18. August das Stück «Steibruch – Zrugg us Amerika» mit Hanspeter Müller-Drossaart in der Hauptrolle gespielt.
Jubiläumsjahr 2018
Jedes Jahr bereichern viele andere Veranstaltungen, wie zum Beispiel der traditionelle Schwinget zum Saisonauftakt, den volkskulturellen Jahreslauf auf dem Ballenberg. Im Kulturerbejahr 2018 feiert die Stiftung des Freilichtmuseums Ballenberg ihr 50-jähriges Bestehen mit zusätzlichen Kooperationen und Angeboten. Unter dem Motto «Kultur teilen» werden alle Besucherinnen und Besucher, die Herkunftsgemeinden der Gebäude, Kulturschaffende, Handwerker und Wissenschaftler aus allen Landesteilen dazu eingeladen, sich aktiv mit den Themen des Ballenbergs auseinanderzusetzen. Daraus sollen unvergessliche Begegnungen, Momente, Bilder und Geschichten entstehen, die deutlich machen, «dass Kulturerbe nicht einfach nur da ist, sondern wir etwas mit ihm machen können und es auch etwas mit uns macht», erzählt Beatrice Tobler, Leiterin Wissenschaft und stellvertretende Betriebsdirektorin, voller Vorfreude. Auch der aktuelle Slogan «Dein Museum voller Leben» deutet an, dass die Besucherinnen und Besucher auf dem Ballenberg Dinge ausprobieren, mitmachen und vom traditionellen Handwerk bis hin zur neuzeitlichen Tierhaltung alle Elemente anschaulich erleben können. Wer den Besuch des unvergleichlichen Freilichtmuseums der Schweiz in den letzten vierzig Jahren verpasst hat oder erneut mal aus dem Alltagstrott ausbrechen und einen Tag in traditionellem volkskulturellen Umfeld verbringen möchte, kann das Jubiläumsjahr jetzt zum Anstoss nehmen für einen sicherlich unvergesslichen Ausflug auf den Ballenberg.
Veranstaltungen 2018
15. April: Ballenberg-Schwinget
6. Mai: Natur und Kultur im Dialog
12. Mai: Schweizer Mühlentag
26. Mai: Grosses Jubiläumsfest
2. Juni: Traditioneller Schweizer Gesang
3. Juni: Trachten und Tänze
16./17. Juni: Seilerei gestern und heute
30. Juni / 1. Juli: Heilkräutertage
20.-22. Juli: Faszination Seide
22. Juli: Wundertage Feuerzauber
1. August: Nationalfeiertag
17.-19. August: Waschtage
25. August: «Prix Jumelles» für gutes Handwerk
25. August: Windenmachen im Bauernhaus der Gemeinde Wila
2. September: Maultiere, Esel und Berner Sennenhunde
9. September: Das Klappern der Zoggeli
15./16. September: Herbstmarkt mit Trottenfest
29./30. September: Festival der Pferde
7. Oktober: Köchin sucht Bauer
13./14. Oktober: Brächete
28. Oktober: Chlefele, Löffele, Bäsele
Meilensteine der Museumsgeschichte
Ende des 19. Jahrhunderts
In Skandinavien entstehen erste Freilichtmuseen
1963
Der Bundesrat setzt eine Expertenkommission ein, die Schaffung eines nationalen Freilichtmuseums zu prüfen
1968
Gründung der Stiftung Schweizerisches Freilichtmuseum Ballenberg
1978
Eröffnung des Freilichtmuseums Ballenberg mit 16 Gebäuden und ersten Handwerksvorführungen
1992
Gründung des Vereins Landschaftstheater Ballenberg
1996
Eröffnung des Kurszentrums Ballenberg; über 200 Bauernhoftiere halten Einzug auf dem Ballenberg
1997
Einweihung des ältesten Gebäudes: Wohnhaus aus Schwyz SZ aus dem Jahr 1336
2003
Einweihung des grössten Gebäudes: Gutshof aus Novazzano TI mit über 50 Zimmern
2007
Modernisierung des über 400-jährigen Wohnhauses aus Matten BE
2010
Bezug des von Gion Caminada entworfenen neuen Verwaltungsgebäudes
2017
Einweihung des vorläufig letzten Gebäudes: Ziegelei aus Péry BE
2018
Im Jubiläumsjahr stehen insgesamt 109 historische Gebäude im Freilichtmuseum Ballenberg
Kontakt
Ballenberg
Freilichtmuseum der Schweiz
Museumsstrasse 131
3858 Hofstetten bei Brienz
Telefon 033 952 10 30
www.ballenberg.ch