Lenglerkapellä
Seit gut drei Jahren macht eine Familienkapelle im Bündnerland von sich reden. Englers haben das Musizieren im Blut, seit drei Generationen wird in der Familie auf hohem Ländlermusikniveau gespielt. Die Tradition halten auch die vier Kinder aufrecht, die bereits jetzt mit einem zünftigen Zick zu musizieren verstehen.
23.03.2017 | VON HANSPETER EGGENBERGER
Saas im Prättigau liegt auf knapp 1’000 Metern über Meer auf einer Anhöhe rund 100 Meter über der Talsohle mit schöner Aussicht auf das ganze Tal. Bis Ende 2015 war Saas eine selbständige Gemeinde, heute eine Fraktion der Gemeinde Klosters-Serneus. Das Territorium erstreckt sich von der Landquart über Wald, Wiesen und Weiden bis zu den Gipfeln des Rätikons. Oberhalb des Dorfes liegen die ausgedehnten Alpweiden der Saaser Alp, ein Gebiet, das noch heute oftmals nur zur Fuss erreichbar ist. Natürlich wird hier der typische Prättigauerdialekt – ein Idiom der seinerzeit eingewanderten Walser – gesprochen. Darum heisst es auf der Website der Familie Engler auch nicht «unsere» Musik, sondern eben «ünschi»! Und genau so spricht auch der 1974 geborene Paul Engler, der als ältestes von drei Kindern hier aufgewachsen ist. Seine Mutter ist eine gebürtige Saaserin, sein Vater hingegen war aus dem appenzellischen Urnäsch «eingewandert».
Musikalische Wurzeln
Da auch Pauls Vater erst im Prättigau mit dem Schwyzerörgelen begann, ist die Appenzeller Musiktradition nur noch marginal vorhanden. Zwar haben auch Englers Kinder bei Besuchen bei der Verwandtschaft noch Appenzellermusik mitbekommen und der zweitjüngste Luzi hätte deshalb auch sehr gerne Hackbrett gelernt. Aus praktischen Erwägungen aber hat er dann doch der Bündnermusik den Vorrang gegeben. Das ist sicher auch dem Umstand zu verdanken, dass sowohl Vater Paul wie auch Mutter Andrea bereits seit der Kindheit stark in der Bündnermusik tätig und auch erfolgreich sind. Die 1976 geborene Andrea wuchs zusammen mit einer älteren Schwester im Bündner Weindorf Zizers auf. Ihr Vater ist der in Ländlermusikkreisen bekannte Bläser Töni Bärtsch, der zusammen mit seinen damaligen Kollegen 1966 das Prättigauer Ländlerquintett gegründet hat. Noch heute besteht diese Kapelle unter dem Namen Prättigauer Ländlerfründa, bei welchen Andrea und Paul Engler ebenfalls mitspielen.
«Wenn man singt, hat man einen ganz anderen Zugang zum Publikum!»
Einen weiteren stilistischen Hintergrund kann man in der Entwicklungsgeschichte von Paul Engler ausmachen. Nach erfolglosen Versuchen auf der Blockflöte und dem Klavier kam er 1984 in Kontakt mit dem Schwyzerörgeler Heinz Ambühl, den man als exakten und ausdrucksstarken Bündner Musikanten kennt. Er brachte Paul das Spiel auf dem Schwyzerörgeli bei und zeigte ihm die Schönheiten der alten und neueren Bündner Ländlermusik. Zusammen mit Heinz Ambühl sowie seinen Söhnen Andreas und Peter wurde Paul schon in jungen Jahren Bestandteil der Kapelle Urchig. Das Bassgeigenspiel, welches bei ihm heute stark vorherrscht, erlernte er, als sein Vater die durch einen Autounfall der Stelserbuebä ramponierte Bassgeige übernahm und selber auf dem Stubentisch wieder zusammenleimte! Mit seinem prägnanten und fantasievollen Spiel wurde Paul bald ein beliebter Aushilfsbassist bei vielen Bündner Kapellen. Auf diesem Weg kam er auch in Kontakt mit Hans-Luzi Hunger und dessen Sohn Bernhard, mit welchem Paul die Kapelle Hunger-Engler bildete.
Nachdem Andrea in Kinderjahren zunächst dem Schwyzerörgeli zugetan war, besuchte sie auf Anraten ihres Vaters bei Hans-Luzi Hunger Akkordeonstunden. Dieser wiederum schleuste Andrea in die Kapelle Calandabuaba ein, wo auch Berni Hunger mitspielte. Und so kam es, dass Andrea, Berni und Paul ab und zu miteinander musizierten. Der Rest ist Geschichte – jedenfalls war der Grundstein zur Familienkapelle von Andrea und Paul Engler gelegt!
Die 6-köpfige Familie Engler
Im Jahr 2001 heirateten Andrea und Paul. Damals haben sie noch in Jenins «ghuuset». Im gleichen Jahr kam Eva zur Welt, die somit dieses Jahr die ordentliche Schulzeit beendet. Sie wird anschliessend eine Schreinerlehre absolvieren. Wie alle Engler-Kinder begann sie ihre Musiklaufbahn auf der Blockflöte. Später wechselte sie auf die Klarinette, mit welcher sie bei René Oswald die Musikstunden besucht. Ihre Schwester Lea ist zwei Jahre jünger. Nach anfänglichem Akkordeonunterricht bei Renato Allenspach wurde sie Schülerin von Heinz Ambühl. Neben der Liebe zu Akkordeon und Schwyzerörgeli ist sie zusätzlich vom Gesang begeistert. Sie besucht deshalb Gesangsstunden bei einer Lehrerin in Landquart.
Im Jahr 2004 zügelte die Familie nach Saas, nachdem dort der «Eni» von Paul verstorben war und das «Nani» das grosse Haus nicht mehr benötigte. Sie wohnt aber heute noch in ihrer kleinen Wohnung im Haus und ist auch in ihrem 98. Altersjahr noch ein beliebter Anlaufpunkt für die ganze Familie. Aus Platzgründen steht in ihrer Wohnung auch der einzige Fernsehapparat, der für viele soziale Kontakte für die Familie sorgt. Zusammen mit ihren Urenkeln ist sie sportbegeistert und verpasst kaum einen Eishockey-Match. Ob die Prättigauer Luft dafür verantwortlich ist, kann man nicht ausmachen. Jedenfalls aber wurden bei Englers fortan ausschliesslich Buben geboren! Wiederum zwei Jahre später kam nämlich Luzi zur Welt. Auch er besucht bei René Oswald die Klarinettenstunden. Und schliesslich gehört auch der 2008 geborene Lenz zur Familie, der neben dem Singen und Löffelen jetzt auch Gitarre spielt. «Eigentlich wollte ich ja eine Original Bündner Formation haben, wozu wir fünf Kinder gebraucht hätten», scherzt Paul Engler und Andrea schüttelt leicht den Kopf. Dass bei soviel Musikalität auch in der Familie mehr und mehr musiziert wurde, liegt auf der Hand. Die Kinder zeigten schon früh Gefallen an der Ländlermusik. So konnten die Eltern beobachten, dass die Jungmannschaft beim Lego-Spielen immer auch Ländlermusik hörte. Nach und nach konnten die Kinder auch bei Auftritten an Familienfesten und passenden Gelegenheiten in der Umgebung dabei sein. 2014 war es dann soweit: Die Familie durfte bei einer CD-Produktion der von Andrea begleiteten Jodelformation «Echo vor Rätschäflueh» zwei Titel im Tonstudio aufnehmen. Im gleichen Jahr erfolgte ein Auftritt mit der Familie an einem privaten Fest auf dem Mont Vully bei Murten. Für beide Anlässe brauchten sie einen Kapellennamen. Da die Englers eben Ländlermusik machen, kam es zum Wortspiel «Lenglerkapellä», das seither zu einem Begriff in der Bündner Ländlerszene heranwächst.
Die Familienformation
Mit ihren vielen Instrumenten und dem Gesang kann die Lenglerkapellä ein breites Spektrum an Musikstilen vortragen. Natürlich steht die Bündnermusik an erster Stelle. Es erklingen aber auch Handorgelduett-Stücke, zum Beispiel vom Echo vom Kinzig, Schwyzerörgelitänze verschiedener Herkunft und diverse Lieder. «Ich war schon in der Kindheit von der Musik von Hans Oesch und auch von den Stauffenalp-Jodlern begeistert», schildert Andrea. Deshalb sind natürlich auch Titel von diesen Formationen ins Repertoire eingeflossen, wozu auch der Gesang gepflegt wird. Paul weiss es: «Wenn man singt, hat man einen ganz anderen Zugang zum Publikum!» Da Lea ein Fan von Melanie Oesch ist, darf natürlich «Der alte Jäger» nicht fehlen. Von Slavko Avsenik wird «Hinterm Hühnerstall» gesungen und auch «Am Sepp sei Chatz» gehört ins Programm! So kann jedes Familienmitglied das einbringen, was es gerne hört und spielen möchte.
Den Eltern ist es wichtig, dass die Kinder ihre Liebe zur von Hand gemachten Musik – «unplugged» ist auch in der Volksmusik ein willkommener Trend – weiter tragen. Sie scheuen sich aber nicht, den Computer zum Notenschreiben oder für Tonaufnahmen einzusetzen. Die fleissige Arrangeurin für die Familienkapelle ist dabei Eva, die ein gutes Gespür für die Einsatzmöglichkeiten aller Mitglieder hat. Wie weit sich die Kapelle noch entwickeln kann, steht in der Sternen. Ganz unverkrampft überlassen die Eltern das dem Lauf der Zeit. «Es kann ja auch sein, dass die Kinder dereinst mit Altersgenossen eine eigene Formation bilden», sagen beide übereinstimmend. «Wir möchten unsern Kindern einfach jene Freude weitergeben, die wir selber beim Musizieren erleben.» Gerne erinnern sich beide an unzählige gemütliche Stunden und schöne Bekanntschaften. Von den wunderbaren Momenten bei Strassenmusik oder bei spontanen Zusammentreffen in einer Ländlerbeiz zehrt Paul heute noch. Und so sind Andrea und Paul all jenen dankbar, die ihnen das Tor zu dieser wunderbaren Musikwelt geöffnet haben und heute noch aufbauend zur Seite stehen.
Weitere Lebensinhalte
Ist mit der Lenglerkapellä bereits ein sehr sinnvoller Lebensinhalt definiert, so gibt es davon bei Englers noch mehr. Gelegenheiten dazu ergeben sich beispielsweise auf dem eigenen Maiensäss hoch über Saas, wo die etwa 70 Schafe der Familie vom Frühling bis Anfang Winter leben. Im Sommer muss an den steilen Hängen das Heu eingebracht werden, das im Winter verfüttert wird. Der Ort ist notabene nur zu Fuss erreichbar! Hilfe der ganzen Familie beansprucht auch der eigene Weinberg in Zizers, der von Andrea als gelernte Winzerin mit der praktischen Unterstützung ihrer Eltern unterhalten wird. Und schliesslich ist da auch noch die Imkerei, welche hauptsächlich von Paul und Luzi betreut wird. Überall ist die Hilfe der Kinder willkommen und auch nötig. «Wir wissen alle, dass wir nur dann weiter kommen, wenn wir einander helfen. Und wenn wir dann wieder ein Ziel gemeinsam erreicht haben, sind wir auch alle miteinander stolz darauf!» Man darf dem Schreibenden Sentimentalität vorwerfen, wenn er zum Schluss behauptet, dass man diesen Zusammenhalt bei Auftritten der Lenglerkapellä hört und auch sieht. Ein schönes Mosaiksteinchen unserer Folklore aus dem Bündnerland!
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Kontakt
Paul und Andrea Engler
Feschgelsgasse 2
7247 Saas im Prättigau
Telefon 081 332 22 41
www.lenglers.ch