Das Wort hat Melanie Oesch
Musik braucht keine Schubladen
23.03.2016 | VON MELANIE OESCH
Das Wort hat Melanie Oesch
23.03.2016 | VON MELANIE OESCH
Musik ist die harmonische Verbindung von uns Menschen. Viele können sie hören, aber nur sehr wenige hören zu. Und von den wenigen, die zuhören, haben viele den Drang, das Gehörte in erster Linie zu bewerten, zu kritisieren und zu schubladisieren. Ab und zu gehöre ich leider selber zu denjenigen. Dann fällt es mir richtig schwer, mir einen Titel einfach «nur» anzuhören, ohne zu denken, wo mir was nicht gefällt und was ich wo anders machen würde. Sicherlich hat dieses Verhalten auch mit meinem Beruf und meinem grossen musikalischen Interesse zu tun. Wir alle wollen ständig Neues entdecken, wollen uns entwickeln und neue Ziele erreichen. Und doch stelle ich fest, dass unser Schubladendenken sehr oft nichts als eine blöde Angewohnheit ist.
Natürlich bin ich mir bewusst, dass das Zuhören in unserem lauten Alltag und bei der Massenberieselung schwieriger ist, denn je. Dennoch darf diese Feststellung keine Ausrede sein. Warum müssen wir Menschen immer alles erklären, definieren und bestimmen können? Finden wir denn ein Lied besser oder schlechter, wenn der Moderator im Radio sagt, ihr hört nun eine Rock-Ballade oder jetzt kommt ein Schlager oder ein traditionelles Jodellied? Wie und warum kann ein einziger Begriff unser Hörverhalten derart beeinflussen? Mit dieser Frage habe ich mich schon sehr oft beschäftigt. Und ich glaube, dass es keine grundsätzliche Antwort auf sie gibt, weil Musik immer auch Geschmackssache ist.
Interessant für mich ist zu erfahren, worüber sich ein sogenannter Geschmack definiert. Nehmen wir das Beispiel einer ungeöffneten Flasche Wein ohne Etikett. Wer erfahren will, was für ein Wein drin ist, wie er schmeckt und ob er dem persönlichen Geschmack entspricht, muss die Flasche aufmachen und kosten. Steht aber auf dem Etikett ein Name, ein Hersteller, ein Wein-anbaugebiet, ein Land, eine Marke, ein Jahrgang und vielleicht noch, wo und zu welchem Preis der Wein gekauft wurde, dann behaupte ich, dass die Hälfte von uns allen, aufgrund dessen die Flasche schon gar nie aufmachen würde, weil die Informationen in ihrem Kopf drin schon das Signal ausgelöst haben: magst du nicht, gefällt dir nicht.
Was ich mit diesem Beispiel sagen will ist, dass wir uns alle unbedingt bewusster der Musik widmen sollten. Für mich persönlich besteht der Sinn des Musikhörens und des Musikmachens nämlich auch darin, sich seinen Emotionen hinzugeben, befreit von Bezeichnungen, Formeln und Regeln. Musik machen heisst für mich, über Gefühle zu agieren und zu kommunizieren. Das betrifft Anfänger, wie Könner. Denn ich finde, dass es – egal in welcher Sparte und egal in welcher Ecke unserer Schweizer Volksmusik – unbedingt mehr persönlichen Interpretations-Spielraum geben darf. Ausstrahlung, Charme, Witz, Originalität, Feingefühl, Leidenschaft und Hingabe sind die Gewürze, die einen Musiktitel überhaupt geschmackvoll machen. Nicht die Sparte als solches!
Sonst nehmen wir uns alle die Möglichkeit, Emotionen über Sprach- und Altersgrenzen hinweg zu transportieren und nachhaltig etwas zu hinterlassen.