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Pendeln zwischen Entlebuch und Uri

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Volkslied –«Gilberte» im wundersamen Brennpunkt

Ein altes Lied, ein neues Sachbuch. Doch was ist wahr am «Lied von Courgenay»? Eine kritische Auseinandersetzung.

Aus einer gründlichen Urheber-Recherche sei ein «kleiner Tatsachen-Thriller» geworden, erklärt Franz Burgert, Autor des Buches «Das Lied von Courgenay», das im Dezember 2015 erschien. «Es geht um die Wahrheit wie in einem Krimi. Dies ist jedoch ein Sachbuch und keine Fiktion», schreibt er. Es handle sich um die «wahre Entstehungsgeschichte, das wundersamste Liederschicksal». Das Buch beweise «erstmals hieb- und stichfest», wer das Volkslied «La petite Gilberte de Courgenay» komponiert und getextet habe.

Für Franz Burgert ist klar: Das Lied stammt nicht von Soldatensänger Hanns In der Gand (Ladislaus Krupski), dem Urner, sondern von vier Entlebucher Soldaten. Zu dieser Erkenntnis kommt er «unter anderem mit unkonventioneller, doch erprobter und wissenschaftlich erläuterter Methode», wie er schreibt, das heisst mit Pendeln und in telepathischer Verbindung. Gemäss Franz Burgert stimmen zwei Pendler darin überein, «dass der Soldatensänger an der Melodie gar nichts gemacht, aber optimierend in den Text eingegriffen hat».

Wissenschaftlich nicht nachvollziehbar
Für Volksmusikforscher Peter Gisler ist die Beweisführung des Autors alles andere als überzeugend und das Hilfsmittel des Pendelns, um Informationen zu erhalten, wissenschaftlich nicht nachvollziehbar. «Herkunft und Rechte damit zu klären, das ist wenig glaubhaft und genügt einem musikwissenschaftlichen Anspruch nicht.» Als einzige Quelle liegt eine Postkarte aus dem Jahr 1916 vor. Sie zeigt vier Soldaten mit zwei Trommeln und zwei Blasinstrumenten. Da nur zwei von ihnen eindeutig mit Namen zugewiesen werden konnten, werden die beiden anderen mit Hilfe des Pendels identifiziert. Peter Gisler: «Damit es ein schöne Geschichte wird, behauptet Franz Burgert, dass die zwei in der Mitte des Bildes die Hauptautoren und die zwei anderen die Randautoren seien. Keiner der vier Entlebucher Soldaten hatte jedoch Notenkenntnisse oder hat Kompositionen aufzuweisen.» Bei Volksliedern mache es nur begrenzt Sinn, nach der Urheberschaft zu suchen, da sich das Kulturgut je nach Interpret stark unterscheiden könne, erklärt Peter Gisler. «Und die eine Zeugenaussage aus dem Jahr 2008, die allein mit dem Buchautor entstand, genügt auch nicht, um zu beweisen, was vor 100 Jahren passiert sein soll.»

 Ein Kulturgut
«Die Geschichten zum Lied sind absurd», meint Peter Gisler. Beim Lied «La petite Gilberte de Courgenay» gehe es nicht um das Entlebuch, seine Soldaten oder Uri, sondern um ein Kulturgut, das dank des Films und Hanns In der Gand zu einem grossen Erfolg wurde. Peter Gisler. «Vor allem zu Zeiten von Hanns In der Gand ist mit dem Kulturgut sehr frei umgegangen worden. So war es nichts Aussergewöhnliches, wenn ein Lied von damals bei der Tonaufnahme nicht genau mit dem Notentext übereinstimmte, auch wenn der Komponist und der Interpret der Gleiche war.» Dass der Verlag die Urheberrechte an Hanns In der Gand zugeschrieben haben soll, ist frei erfunden. Nach Auskunft von Peter Gisler kann auch nicht bewiesen werden, ob Hanns In der Gand das Lied als Idee (Cantus firmus) aufgegriffen und verarbeitet hat. «Wenn er es nicht komponiert hat, stellt sich die Frage, ob er es so stark bearbeitet hat, dass nur noch er als Komponist in Frage kommt? Denn der rhythmische Charakter der Melodie hat auch etwas Eigentümliches von der Monferrine, die beispielsweise in der französischen Schweiz vorkommt. Hanns In der Gand hat sie im 2/4-Takt statt in der typischen Monferrine-Art im 6/8 aufgeschrieben.»

Zum Beispiel «Der urchig Muotathaler»
Es sei früher keine Seltenheit gewesen, populäre Melodien oder Hits in ein anderes Stück einzuflechten und so eigentlich wieder etwas Neues entstehen zu lassen. So gebe es viele bekannte Stücke wie zum Beispiel «Der urchig Muotathaler». Peter Gisler: «Diese Melodie gab es in einer leicht anderen Art schon vor Fredy Zwimpfer. Freuen wir uns doch, dass wir diese Melodie dank Fredy Zwimpfer heute noch kennen!»

Der Wert des Buches ergibt sich letztlich durch den Autor selbst, wenn er gegen Schluss unter dem Zwischentitel «Die ganze Story ein bisschen märchenhafter erzählt», schreibt: «Immer wieder stand die Wahrheit der Lied-Entstehung auf Messers Schneide, und immer wieder ergab sich eine überraschende Fortsetzung.» Hanns In der Gand hat ein grossartiges Liedgut aus allen Sprachgebieten der Schweiz hinterlassen. Peter Gisler: «Wäre es nicht sinnvoller, das Liedgut wieder neu zu beleben, als sinnlos Zeit über Fragen der Urheberschaft zu verschwenden, was schliesslich niemandem etwas bringt?»

 

Für Volksmusikforscher Peter Gisler ist der Inhalt des Buches alles andere als überzeugend.

Foto: Erich Herger