Sinn der Weiterentwicklung
Am Eidgenössischen Jodlerfest konnte man wiederum viele wunderschöne Vorträge hören. Mit geübter Gesangstechnik, kontrollierter Intonation und Hochmusikalischer Interpretation wurden beim Publikum Emotionen geweckt. Das ist Musikgenuss pur! Aber ist das auch noch Tradition? Ist das archaische Element, das auf der ganzen Welt Menschen berührt, nur noch im kommerziellen Bereich gefragt?
23.07.2017 | VON HANSPETER EGGENBERGER
FOTOS: SWISS-IMAGE.CH UND ZVG.
Land&Musig hat an ausgewiesene Jodelfachleute die pointierte Frage gestellt: «Schadet die Ausbildung der Stimme dem Ausdruck der natürlichen Stimme und damit auch dem ursprünglichen Jodeln? Ist Jodeln mit gebildeter Gesangstechnik dem Ursprung entsprechend?» Einige haben darauf sehr detailliert geantwortet, wir drucken hier nur Auszüge daraus ab.
Karin Niederberger, Jodlerin, Dirigentin und Präsidentin EJV:
Man kann ja nicht von «schadet» sprechen. Die Frage ist vielmehr, ob es Sinn macht, seine Stimme zu schulen oder nicht. Eine natürliche Stimme paart sich in der Regel mit einem guten Gehör. Somit ist die harmonische Reinheit, die nötig ist, um die Zuhörer zu begeistern, gegeben. Eine Stimmbildung macht aus meiner Sicht nur dann Sinn, wenn die Eigenart der persönlichen Stimme damit nicht verändert wird. Man sollte seine Stimme nicht «verbilden», sondern die eigene, natürliche Stimme so gut wie möglich behalten.
Das wichtigste beim Jodeln ist, dass eine Stimme von Herzen zu Herzen geht, dass die Freude und Ausstrahlung zum Ausdruck kommt und der Vortrag die Menschen so berühren kann. Ein Lied oder Naturjutz sollte in natürlicher Art erzählt und erlebt werden. Eben, wie die Natur selber.
«Man sollte seine Stimme nicht ‹verbilden›, sondern die eigene, natürliche Stimme so gut wie möglich behalten.»
Der Eidgenössische Jodlerverband (EJV) beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema der Verakademisierung unseres Brauchtums. Wir sehen hier – vor allem durch den Einfluss der professionellen Musiker, die in unseren Aus- und Weiterbildungen immer aktiver werden – eine gewisse Gefahr. Auf der einen Seite wollen und können wir von einer guten Stimmausbildung profitieren. Auf der anderen Seite könnte damit eben dieser für uns wichtige Kern, der nur durch Überlieferung von der einen zur anderen Generation möglich ist, verloren gehen. Für die Weiterentwicklung unseres Brauchtums braucht es beide Kräfte. Aber der angesprochene Kern gilt es in jedem Fall zu schützen, stützen und zu leben. Damit das auch so durchgesetzt werden kann, sind wir darauf angewiesen, dass die EJV-Mitglieder an den Versammlungen teilnehmen und nicht nur die Faust im Sack machen.
Ruedi Roth, Jodler, Dirigent und Juror:
Das Jodeln und die Jurierung an den Jodlerfesten ist eindeutig zu theorielastig geworden. Und was da manchmal auf der Bühne bezüglich Vibrato und Mundstellung zu hören und zu sehen ist, sprengt das Urtümliche des Jodelns. Dabei sind Forderungen des Umfeldes oder nichtjodlerische Vorbilder nicht selten Schuld an den fragwürdig klassisch angehauchten Tongebungen von oftmals jungen Jodlerinnen und Jodlern. Ein angemessenes Vibrato ist begrüssenswert. Damit ist die eigentliche Technik vom Gesang bezüglich Spannung, Atmung und Leichtigkeit der Stimme vorhanden, was sich meistens auch bezüglich harmonischer Reinheit niederschlägt. Die Organe führen die Stimme so fast automatisch zum gewünschten und richtigen Ton. Dies wäre der goldene Mittelweg.
An einem Jodlerfest kommt es ganz auf die jurierende Person der Tongebung an. Bei einem Jodellied haben diese Leute die Partitur zur Hand und schöpfen aus dem Vollen. Rhythmik passt nur, wenn alle Notenwerte genaustens eingehalten werden. Theorie versus Gestaltung! So ist es auch mit der Aussprache. Irgend jemand hat erfunden, dass gewisse Wortverbindungen stören könnten und notieren sich auf den Partituren, wo es erlaubt sei und wo nicht. Fertiger Blödsinn! Jeder ausgebildete Moderator spricht fliessend und Wortverbindungen sind da gang und gäbe. Die Deutlichkeit einer Aussprache kann also auch mit Wortverbindungen sehr wohl gewährleistet sein. Meiner Meinung nach ist die Theorie ein grosser Gegner des Gesamteindrucks von einem Vortrag. Hier sollten sich viele Juroren mehr abwenden von ihrem gelernten Wissen und dem Ursprung des Jodelgesangs seinen Platz lassen.
Nun, ich werde mich weiterhin mit vielen Theoretikern herumschlagen. Gleichzeitig muss ich aber diesen Leuten dazu gratulieren, dass sie sich überhaupt die Zeit für diese anspruchsvolle Arbeit nehmen. Da hinken all die vielen ausgezeichneten Jodelstimmen und Naturtalente in den Naturjodelgegenden leider hinten nach. Es kann zu einem Problem werden, wenn sich diese nicht auch um Theorie und Jodelfestjurierungen kümmern.
Sibylle Süess-Aeby, Jodlerin und Dirigentin:
Das heutige Jodeln ist für mich sehr vielschichtig. Von urchigen Interpreten über den gepflegten Jodelchor bis hin zu schlagerartigem Jodel finden doch alle etwas Gefälliges. Leben und leben lassen. Hauptsache, das Musizieren macht Spass und bringt Freude! «Lebe deinen Traum, träume nicht dein Leben» ist meine Devise. Das führt dann auch zu weniger Neid und Missgunst. Es gibt ja mittlerweile genügend Jodellehrerinnen und -lehrer, welche vielen Menschen den Traum erfüllen, selber jodeln zu können.
Franz Stadelmann, Jodler, Komponist und Jodel-Kursleiter:
Im Festbericht des 16. Eidgenössischen Jodlerfestes Aarau 1975 schrieb die Jury zu meinem Vortrag: «Das Tempo des Zungenschlag- und Trölljodels, eine be-
achtenswerte Atemleistung, mutet akrobatisch an und verletzt bereits das natürliche Jodelgefühl. Einmal mehr bestätigt sich hier die Erkenntnis: Nicht alles, was technisch ausführbar ist, dient unserem schweizerischen Jodelgesang.»
Was würden die damaligen Kampfrichter wohl schreiben, wenn sie heute noch in der Jury wären? Es ist ganz klar: Durch die heutigen musikalischen Aus- und Weiterbildungen, nicht nur an Jodlerkursen, sondern auch durch akademisch gebildete Gesangspädagogen, hat sich die Vortragsweise verändert. Oft mache ich mir Gedanken, wo das noch hinführt! Hinzu kommen die anspruchsvollen, musikalisch hochstehenden Kompositionen, bei welchen ein Vortragender im Vorteil ist, wenn er die Musikakademie durchlaufen hat.
Ja, wenn ich so auf über sechzig Jahre Aktivzeit zurück denke, dann muss ich sagen, es hat sich viel verändert. Klar, Stillstand bedeutet Rückstand. Doch da erinnere ich mich an Äusserungen von Zuhörern, speziell an Jodlerfesten, die sich beklagen, dass sie das alte, bescheidene Liedergut vermissen. Darum meine Meinung: «Auch mit einer einfachen Komposition kann man doch sein grosses Können beweisen»!
Aus dem Land&Musig-Shop:
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