Jungspund mit Lust am Schwingen
Unter den jungen Bösen sticht Joel Wicki hervor. Er ist nicht der Grösste, nicht der Schwerste – sein Kämpferherz aber sucht seinesgleichen. Am Unspunnen-Schwinget 2017 hat der Entlebucher im letzten Jahr für spektakuläre Momente gesorgt.
23.03.2018 | VON FLAVIAN CAJACOB
entstanden in Zusammenarbeit mit der
Schwingerzeitung SCHLUSSGANG
Bilder werden heute kaum mehr in Kupfer gestochen. Längst geht alles «zssst» und «klick» mit Handy und Spiegelreflexkamera. Sollten unsere Nachfahren sich dereinst ein Bild vom Nationalsport Schwingen machen wollen, gut möglich, dass sie dabei auf jene Momentaufnahme vom Unspunnen-Schwinget anno 2017 stossen, als der Luzerner Joel Wicki den Berner Willy Graber im dritten Gang mit einer Kombination von Kurz und Fussstich bodigt. Was für ein Spektakel – beste Werbung für den Schwingsport!
Positives Fazit trotz Verletzung
Eine gute Minute fehlte an jenem Sonntag Ende August 2017, und der zwanzigjährige Entlebucher wäre in Interlaken zum Sieger ausgerufen worden. «Ich bin glaub noch nie zuvor so gut drauf gewesen wie an diesem Fest», erinnert sich Wicki. Ein Gestellter zwischen den Schlussgangteilnehmern Christian Stucki und Curdin Orlik hätte letztlich gereicht. Wäre, hätte … Joel Wicki mag sich nicht mit Eventualitäten aufhalten. Für ihn sei es im Grossen und Ganzen durchaus eine positive Saison gewesen, erzählt er während der Fahrt von seinem Arbeitsort in Hasle hoch ins heimische Sörenberg.
«Positiv» ist eigentlich ein erstaunliches Resümee, wenn man bedenkt, dass es ihn ihm letzten Jahr nach drei Kranzfestsiegen zum Saisonauftakt Anfang Juli auf der Rigi im Schlussgang arg erwischt hat und er fünf Wochen lang verletzt ausfiel. Zeitweilig stand sogar der Start am Unspunnen-Schwinget in Frage. Dank Stromtherapie, Blutegeln und viel Salbe heilte der lädierte Fuss indes schneller als erwartet und Wicki kehrte zwei Wochen vor dem Saison-Highlight wieder zurück ins Sägemehl. Und wie! Sein fulminanter Auftritt im Berner Oberland mit fünf Siegen – unter anderem gegen die Eidgenossen Bernhard Kämpf, Armon Orlik und Michael Bless – bestärkte manch gestandenen Schwingerfreund in der Ansicht, dass da im Tal der Waldemme ein ernsthafter Anwärter auf den nächsten oder übernächsten Königstitel heranreift.
Nicht lange fackeln
Mit seiner Grösse von 1,83 Metern weist der zwanzigjährige Luzerner nicht unbedingt schwingerische Gardemasse auf, mit 104 Kilogramm Kampfgewicht gehört er auch nicht zu den schwersten Brocken. Was Wicki jedoch so gefährlich macht, sind seine Unbekümmertheit, seine Spritzigkeit und sein beeindruckendes Kämpferherz. Betritt er irgendwo im Lande das Sägemehl, so spürt man sie förmlich, seine unbändige Lust am sofortigen Kräftemessen Mann gegen Mann. Dann wird aus dem umgänglichen Twen mit dem Lausbubenlächeln ein finster dreinblickender Krieger, dem man ehrlich gesagt im Dunkeln nicht unbedingt begegnen möchte. Wicki selber schreibt seine beeindruckende Ernstfall-Aura der Konzentriertheit zu: Dem absoluten Fokussiertsein auf den Moment, dem Lauern auf eine Möglichkeit, um den nächsten, den finalen Angriff zu lancieren. Allzu lange fackeln, nein, das will der Jungspund mit den charakteristischen schwarzen Bindern ums Handgelenk in der Regel nicht.
Regeneration ist wichtig. Joel Wicki nutzt die spärliche Zeit, in der er keine Verpflichtungen hat, auf seine Art und Weise und geht beispielsweise auf die Jagd. Was ihn die Jagd lehre? «Geduld, Konzentration – und keine Fehler zu machen», erklärt Wicki nach kurzem Überlegen. Und ja, genau solche Fähigkeiten seien tatsächlich auch im Schwingen gefragt. «Deshalb mache ich es aber nicht. Hauptsächlich geht es mir darum, auf andere Gedanken zu kommen, abzuschalten. Schwingen alleine kann es ja nicht sein, es gibt noch andere wichtige Dinge im Leben.» Zum Beispiel Freunde oder die Familie: Mutter Esthi, Vater Herbert, einst selber Schwinger, Bruder Kevin. Und dann natürlich noch der Job: Während der Saison arbeitet Joel Wicki zu 80 Prozent als Baumaschinenmechaniker bei der Arag Bau AG in Hasle. Dumper, Bagger, Walzen – müsste man ihn irgendwo zwischen all den starken Maschinen ansiedeln als Athlet, er wäre wohl ein Menzi Muck: kraftvoll, wendig und kaum aus dem Stand zu bringen!
Bergkranzfeste im Visier
Drei- bis viermal in der Woche stehen Trainings auf dem Programm. Das ist verglichen mit anderen Spitzenschwingern eher wenig. Wicki weiss das und winkt gleichzeitig ab: «Für mich stimmt es so optimal. Man kann meiner Ansicht nach auch zu viel trainieren. Mir ist es wichtiger, auch mal auf andere Gedanken zu kommen, so bleibt man locker.» Und Lockerheit gehört wohl auch zu Wickis Erfolgsrezept. Zusammen mit dem Bündner Armon Orlik etwa, dem St. Galler Samuel Giger oder dem Berner Remo Käser gehört Joel Wicki zum Rudel der «jungen Wilden», die in die Fussstapfen arrivierter Zwilchhosenathleten wie Christian Stucki, Arnold Forrer oder Schwingerkönig Matthias Glarner treten wollen – und dies auch tun werden. «Natürlich will ich um den Königstitel kämpfen», meint der vierfache Kranzfestsieger und Zweitplatzierte der letztjährigen Jahreswertung, «aber zuerst muss ich erst einmal gesund bleiben, und zweitens überhaupt die Chance dazu erhalten.»
Für dieses Jahr, in dem keine grossen Anlässe von eidgenössischem Charakter auf dem Programm stehen, hat sich Joel Wicki ein ganz besonderes Ziel vorgenommen: «Ich will an meiner Sammlung Bergfestsiege arbeiten», erzählt er. Nach Erfolgen am Schwarzsee 2015 und auf dem Stoos 2017, möchte er nun auch auf der Rigi, auf dem Weissenstein, dem Brünig und ganz besonders auf der Schwägalp gross auftrumpfen. Mit dem Fest zu Füssen des Säntis hat der Entlebucher sowieso noch eine Rechnung offen: 2016 verletzte er sich hier schwer am Unterschenkel, so dass ein Start am zwei Wochen später stattfindenden Eidgenössischen von Estavayer-le-Lac ins Wasser fiel. «Man muss als Schwinger seinen Lehrblätz bezahlen und einen Strich ziehen können», bemerkt Wicki lachend und meint für sein Alter erstaunlich abgeklärt: «Verletzungen und Niederlagen machen einen letztendlich stärker. Wenn man denn auch die richtigen Schlüsse daraus zieht!»
Man kann also getrost darauf wetten, dass der dritte Gang am Unspunnen-Schwinget nicht das letzte eindrückliche Sujet gewesen ist, das Joel Wicki als Zeugnis schwingerischen Spektakels für die Nachwelt abgeliefert hat. Freuen wir uns auf die Schwingsaison 2018!
Steckbrief Joel Wicki
Geburtsdatum
20. Februar 1997
Herkunft
Sörenberg
Geschwister
Bruder Kevin
Beruf
Baumaschinenmechaniker
Hobbys
Schwingen, Fischen, Jagd, Landwirtschaft und Freunde
Vorbild
Daniel Hüsler