Sennensattler Thomas Rütsche

Handarbeit ist gefragt

Die beschlagenen Hosenträger sind der Stolz eines jeden Trachtenträgers im Alpsteingebiet. Ihre Tradition reicht weit zurück und produziert wurden sie einst von verschiedenen Sattlern. Heute sind die Werkstätten trotz grosser Nachfrage aber rar geworden. Der Toggenburger Thomas Rütsche betreibt seit über 30 Jahren eine davon.

Die Hosenträger gehören seit Langem zum Gebiet rund um den Säntis und bilden dort nebst dem roten Brusttuch das Markenzeichen der einheimischen Trachtenleute. In den regionalen Museen sind Modelle zu betrachten, welche schon vor über zweihundert Jahren angefertigt wurden. Damals bestand natürlich die Bevölkerung in den Gemeinden des Toggenburgs und Appenzellerlandes mehrheitlich aus Bauersleuten. Vornehmlich in diesem Berufsstand gehörte der beschlagene Hosenträger sowohl beim Arbeitskleid wie auch beim Sonntagsgewand zum fast obligaten Kleidungsgegenstand.

Allerdings bildete dieser Schmuck damals auch eine Art Statussymbol. Wer einen beschlagenen Hosenträger besass, war angesehen und verlieh dem Tragenden den Ruf eines finanziell gut Stehenden. Zudem galt das «Sennisch sein» auch als Gesellschaftsehre und hierfür musste ein Hosenträger mit einigen Messingbeschlägen zur Ausrüstung gehören. Es existierten aber auch immer Familien, welchen der finanzielle Aufwand für diese Art Schmuckbeschaffung eine zu hohe Hürde darstellte. Man begegnete den «Anderen» mit Achtung und diese eigentliche Gesellschaftstrennung blieb bis weit in das Zwanzigste Jahrhundert bestehen. So erzählt auch der in St.Georgen bei St.Gallen geborene Thomas Rütsche (56) aus seiner Jugendzeit. «Wir waren eine zwölfköpfige Arbeiterfamilie und finanziell nicht auf Rosen gebettet. Mein Vater besass keinen Hosenträger und an der alljährlichen Viehschau bestaunte man eben schon die Bauersleute mit ihren Trachten», erinnert sich der Sennensattler an seine ersten Begegnungen mit beschlagenen Hosenträgern.

Ein Traum, ein Ziel
Nach der Schule liess sich der junge Mann als Polsterer/Sattler ausbilden. Diese berufliche Verbindung wurde möglich, weil in jenem Lehrbetrieb beide Berufe getätigt wurden. Der Seniorchef schickte den Lernenden manchmal zu einem Militärsattler. Dort sei dann das genaue Nähen mit Leder praktisch geübt worden, bis nur noch gerade Nähte hinterblieben seien, wie Thomas Rütsche schmunzelnd aus seinen Erinnerungen erzählt. Zum Sattlerberuf führte ihn nebst handwerklichem Geschick aber schon das anerkennende Bestaunen von herrlich angefertigten Hosenträgern. So etwas wollte der bescheidene St.Galler unbedingt auch einmal anfertigen können. Damals hätte aber die Hosenträgeranfertigung als eine heilige Kuh der Appenzeller gegolten. Da könne man nicht mitmischen, sei die diesbezügliche Auskunft seiner damaligen Lehrmeister gewesen. Doch der junge Mann verfolgte unbeirrt seinen Traum. 1983 erwarb Thomas Rütsche einen heruntergekommenen Lagerraum mit Wohnung in Ebnat-Kappel. Zusammen mit seiner Frau und Kollegen erfuhr das Gebäude durch viel Eigenleistung eine nachhaltige Renovation. Eine Werkstatt wurde eingerichtet und die für eine Sattlerei nötigen Geräte wurden erstanden und montiert.

Am Anfang sei es bezüglich Akzeptanzfindung in der Sennensattlerei schon nicht einfach gewesen. Primär sei ein Einmischen in bestehendes Schaffen im Appenzellerland als zu wagemutig angesehen worden. Des Weiteren prophe­zeite man dem auf die vollständige Handarbeitsproduktion setzenden Neuling eine unüberwindbare Barriere in Sachen Preispolitik. «Es dauerte schon seine Zeit, bis die Bevölkerung meine Arbeit mit den Augen von Sachverstand betrachtete, welcher meine Preisangaben sehr wohl rechtfertigte», erzählt der bescheidene Berufsmann aus seinen Anfängen. Dann aber begann sich der Auftragskatalog zu füllen. Es sprach sich herum, dass in Ebnat-Kappel erstklassige Qualität fabriziert wurde. Restaurationen von Sennschellenriemen und Hosenträgern wurden alsbald nur zu gerne Thomas Rütsches Werkstatt übergeben. In diesem mit unzähligen verschiedenen Werkzeugen versehenen Raum verkehrten nun die Trachtenleute aus dem Toggenburg und angrenzendem Gebiet.

Die Spezialität des umtriebigen Sattlers ist die Anfertigung von neuen Hosenträgern mit eigens vom Kunden gewünschten Ornamenten. Ein sogenannter Tierliträger, welcher eigentlich als oberster Artikel in der Hosenträgergilde anzusiedeln ist, werde oft bestellt. Dieser Hosenträger zeige noch am meisten ähnliche oder gleiche Beschläge. «Hingegen wünschen sich Kunden nicht selten Unikate mit bildlichen Verzierungen persönlicher Neigung oder wählen Vorschläge aus meinem recht umfangreichen Zeichnungskatalog aus», erzählt der zufriedene Thomas Rütsche freimütig.

Heikle Herstellung in diversen Arbeitssschritten
Die Anfertigung eines Hosenträgers beinhaltet zahlreiche Arbeitsschritte. Ist die Auswahl der Ornamente einmal getätigt, wird die Länge des Leders auf die körperlichen Masse des zukünftigen Trägers gemessen. Hierfür benötigt Thomas Rütsche Leder, welches auf einer Seite weiss ist, da ansonsten die gleichfarbigen Trachtenhemden bald mit unansehnlichen Spuren verschmutzt würden. Jetzt beginnt die Arbeit mit dem Messing. Wie auch bei anderen Werkstoffen präsentiert sich hier die Beschaffung optimalen Materials als immer schwieriger. «Viele nötige Artikel für das Herstellen von Sennschellenriemen und Hosenträgern werden nur noch in Einmannbetrieben hergestellt oder deren Import wird vom Händler plötzlich als nicht mehr möglich taxiert», beschreibt der Toggenburger das nicht einfache Umfeld. Nun beginnt das genaue Zeichnen der Verzierungen auf eine Messingplatte. Diese werden dann mit einer Handsäge präzise ausgesägt. Eine Arbeit, bei welcher auch mal ein Sägeblatt aufgrund eines Bruchs seinen Geist aufgibt. Sind die Ornamente in ihrer Form erstellt, beginnt das Ziselieren. So wird der Arbeitsvorgang genannt, bei welchem mit verschiedenen Punsen die Verzierungen und Motive in das Messing gehämmert werden. Bei all diesen Tätigkeiten sind eine ruhige Hand und ein gutes Auge unabkömmlich. Ein falscher Schlag und schon muss ein Ersatzplättchen angefertigt werden. Ist dieser Arbeitsvorgang erledigt, beginnt das Anheften des Messings auf dem Hosenträgerleder mittels feiner Nägel. Auch dies ist eine Arbeit, welche Genauigkeit erfordert. Sind die Plättchen auf dem Hosenträger nicht absolut synchron befestigt, so rekurriert das Auge sofort und ruft nach Verbesserung. Das Stanzen der Knopflöcher, das Befestigen der Fransen, das Ausschmücken des Trägerstegs und weitere kleinere Vorgänge müssen getätigt werden, bis schliesslich ein fertiges Trachtenobjekt präsentiert werden kann.

«Das Zeigen des gewünschten, fertigen Artikels ist für mich als Sennensattler zweifelsohne immer ein Höhepunkt. Einerseits bin ich natürlich selbst auch immer ein wenig stolz auf ein erschaffenes Produkt. Andererseits bildet für mich die Zufriedenheit des Kunden die grundsätzliche Philosophie in meinem Beruf», führt Thomas Rütsche aus. Sein wichtigstes Marktsegment bildet derzeit schon die Produktion von Hosenträgern. Diese würden heute sogar mehr bestellt als früher, was wohl mit dem gegenwärtigen Trend hin zur Ausübung von Traditionen zusammenhänge. Natürlich gebe es immer wieder Restaurierungen von in die Jahre gekommenen Modellen. Meistens müssten sie neu geledert werden oder es stehe auch mal die Herstellung eines Ersatzornamentes aus Messing an. Dies seien oftmals echte Herausforderungen, da man ja den Unterschied zwischen neuen Plättchen und den bestehenden optisch nicht erkennen will. Hin und wieder würden auch Sennschellenriemen als Patienten eintreffen. Im Allgemeinen habe sich aber in dieser Hinsicht eine Stagnation breitgemacht. «Es gibt ganz einfach genügend Sennschellenriemen. Diese leiden auch nicht unter einer starken Abnutzung und können sehr wohl über mehrere Generationen in ihrem Zustand belassen werden», erläutert der Toggenburger Fachmann.

Breites Angebot
In seinem hübsch eingerichteten Verkaufslokal lässt sich nebst vorerwähnten Artikeln auch anderes finden: Handtaschen, Hosengurte, Tabaksäckel, Sennenschmuck und weiteres steht zur Auswahl. Längst ist Thomas Rütsche auftragsmässig ausgelastet. Er will aber weiterhin ein Einmannbetrieb bleiben. Dies erleichtere den Ablauf in der Werkstatt eindeutig und lasse die Ruhe in demselben besser zur Geltung kommen. Zwar habe sich eine Tochter seiner insgesamt fünf Kinder das Sattlermetier ebenfalls angeeignet; da sie aber inzwischen selber eine Familie hat, ist ihre Zukunft in der Sennensattlerei noch nicht bestimmt. Wie die Zukunft der Sennensattlereien in der Ostschweiz aussieht, könne man ohnehin nicht genau sagen. Der Materialienmarkt sei undurchsichtig und Nachfolger seien schwierig zu eruieren. Vorderhand will Thomas Rütsche aber nicht kürzer treten. Der begeisterte Bergwanderer will sich noch viele Jahre in seiner Werkstatt den Aufträgen der zahlreiche Kunden widmen und ihnen mit seinem Schaffen Freude bereiten.

Kontakt

Sennensattlerei Rütsche
Sonneggstrasse 32a
9642 Ebnat-Kappel
Telefon 071 993 26 46

www.sennensattlerei.ch