Ein Stück Schweizer Tourismusgeschichte

Wintersport-Museum Davos

Wer heute mit modernen Carving-Skis, Snowboards oder anderen Sportgeräten durch die weisse Winterlandschaft flitzt, denkt kaum an die wegweisenden Anfänge des Winter-Tourismus in unserem Lande. Ein Besuch des Wintersport-Museums in Davos jedoch bietet einen lebendigen Einblick in ein Stück Schweizer Tourismusgeschichte, die viele zumindest teilweise nochhautnah erlebt haben.

24.01.2016 | VON STEFAN SCHWARZ

Während ich komfortabel mit dem Auto von Landquart durchs Prättigau Richtung Landwassertal kurve, bin ich mir noch nicht bewusst, welch wichtige Pio­nierrolle Davos in Sachen Wintersport einst gespielt hat. Auch dass man für die gleiche Strecke per Pferdekutsche früher rund neun Stunden Zeit aufbringen musste, erfahre ich erst während der persönlichen Führung durchs Wintersport-Museum an der Promenade in Davos Platz. Alexander Spengler brachte die ersten Kurgäste nach Davos

Der spannende Rundgang durch die unzähligen nostalgischen Ausstellungsob­jekte macht mich vorerst mit Alexander Spengler bekannt; jener Person, welche die Entwicklung der einstigen 400-Seelen-Gemeinde zur heutigen Alpenstadt einleitete. Der Deutsche (1827-1901) ab­solvierte nach fünf Semestern Rechtswissenschaft ein Medizinstudium an der Universität Zürich und unterzeichnete am 10. November 1853 in Davos einen Arbeitsvertrag. Als so genannter Landschaftsarzt erhielt er jährlich 600 Franken Wartgeld und für jeden Krankenbesuch am Tag 85 Rappen und in der Nacht das Doppelte. Zu Fuss oder hoch zu Ross musste der junge Mediziner hierfür viele beschwerliche Wege durchs ganze Hochtal unternehmen. Dabei stellte er bald einmal fest, dass in Davos die damals europaweit stark verbreitete Infektionskrankheit Tuberkulose nicht existierte. Als Gründe für diese erfreuliche Tatsache machte er die Höhe auf gut 1’500 Metern über Meer, die trockene Luft sowie die optimale Sonneneinstrahlung verantwortlich. Diese vielversprechende Information publizierte er kurzerhand in verschiedenen Journalen in Europa und bald darauf trafen die ersten Kurgäste in Davos ein.



Die immer zahlreicher werdenden Pa­tienten mussten meist über Monate zur Kur bleiben und nahmen deshalb gerne auch gesunde Familienangehörige mit ins Landwassertal. Ab 1873 brachten die Nordländer erste Skis mit nach Davos und die Engländer machten die Einheimischen alsbald auch mit dem Bobsport bekannt. Viele dieser alten Utensilien können im Wintersport-Museum betrachtet werden und ich erfahre, dass die damaligen nordländischen Skis spezielle Metallspitzen aufwiesen, um sich beim Langlauf gegen wilde Tiere wehren zu können. Die weitere Entwicklung von Skis, Skistöcken und Skibindungen sind mit zahlreichen Objekten dokumentiert und die meisten Besucher finden darunter Stücke, die sie an die eigenen Anfänge im Skisport erinnern. So genannte «Fasstuben», alte Riemli- oder Kabelzug-Bindungen, Hasel- oder Bambusstöcke, längst vergessene Skimarken und anderes mehr, lassen auch mich eintauchen in schöne Erinnerungen.

Ich entdecke Langlaufskimodelle mit Schuppen, Fell- und Bindungsvarianten für den möglichst einfachen Aufstieg sowie Teile des allerersten Skilifts der Welt mit fixen Bügeln. Der Bolgenlift am Fusse des Jakobshorns wurde 1934 eröffnet und blieb bis 1971 in Betrieb. Eine Tageskarte für Kurgäste kostete in der Anfangszeit 50 Rappen. An der Decke hängen weitere Erinnerungen an einstige Transportmittel im Bereich des Skisports. Ein Unikat stellt der 1954 eröffnete Brämenbüel-Lift am Jakobshorn dar. Im Sommer beförderte er die Gäste mit Sesseln und im Winter mit Bügeln auf den Berg. Nach nur sieben Betriebsjahren wurde diese besondere Bahn jedoch durch einen neuen Lift ersetzt, weil das spezielle System nicht wirklich zu überzeugen wusste.

Innovative Produkte aus Davos
Bei der Skischuh-Sammlung erfahre ich, dass die Schuhmacher-Dynastie Heierling in Davos bereits seit 1885 Skischuhe produziert. Nach dem Muster norwegischer Lauperschuhe stellte Franz Heierling damals die allerersten Schweizer Skischuhe her. Sein Sohn Hans kreier­te parallel mit der Entwicklung des Skisports ab 1910 diverse Modelle und spezialisierte sich alsbald auf massgeschneiderte Skischuhe. Ab 1941 engagierte sich auch Hans Heierling II im Familienbetrieb und baute als neuer Inhaber des Geschäftes bereits ab 1953 die ersten Versuchsmodelle mit Schnallen. Drei Jahre später wurden in den noch immer von Hand hergestellten Heierling-Schuhen die ersten Olympia-Medaillen eingefahren. Richtig durchsetzen konnte sich der Schnallen­skischuh erst ab 1964 und bald darauf wurden in Davos – mittlerweile in Serienproduk­tion – jährlich bis zu 6’000 Paar Skischuhe produziert. Bahnbrechende Innovationen wie Vollkunststoff-Skischuhe, geschäumte Innenschuhe, ein neuartiger Drehverschluss oder die erste Skischuh-Heizung fanden Akzeptanz in der ganzen Szene. Die vierte Heierling-Generation widmete sich wegen wachsender Konkurrenz wieder vermehrt der Massproduktion und der individuellen orthopädischen Anpassung von Skischuhen. Innovative Neuerungen wurden ab 2005 unter anderem in Zusammenarbeit mit der Firma Atomic auf den Markt gebracht und seit 2014 ist als Ergebnis intensiver Forschungs- und Entwicklungsarbeit unter der Bezeichnung «H1» wieder ein eigenständiger Skischuh der Davoser Marke Heierling auf dem Markt.

Der Davoser Innovationsgeist offenbarte sich auch im Schlitten- und Bobbau. Bereits 1865 entwickelte der einheimische Wagner Emanuel Heinz-Friberg Schlitten nach norwegischem Vorbild weiter und gilt damit als Vater des weltberühmten Davoser Schlittens. Der leicht konisch konzipierte Holzschlitten hatte schon damals hochgezogene Kufen mit Stahlbändern und eine aus fünf Latten bestehende Sitzfläche. 18 Jahre später brausten tollkühne Piloten erstmals an einem offiziellen Rennen auf der verschneiten Strasse von Davos-Wolfgang nach Klosters hinunter; eine Strecke, die später auch für internationale Bobrennen genutzt wurde. In Sachen Bob- und Skeletonbau machte sich ab 1907 der aus Deutschland eingewanderte Schlosser August Hartkopf (1873-1953) einen internationalen Namen. Seine Gefährte kamen nicht nur auf der neuen Schatzalp-Schlittelbahn zum Einsatz, sondern wurden von erfolgreichen Olympia-Piloten aus Russland, Schweden, Deutschland, Österreich, USA und der Schweiz gefahren. Für die Olympiade 1928 in St. Moritz wurden 17 Vierer- und 17 Zweierbobschlitten der Marke Hartkopf hergestellt. Die freundliche Führerin im Wintersport-Museum Davos erzählt mir auch von der einstigen Bobbahn von der Schatzalp nach Davos, die man zeitweise mit grossen schwarzen Tüchern vor der starken Sonneneinstrahlung schützen wollte. Ich bewundere gepolsterte sowie gefederte Schlittenmodelle und höre erstmals in meinem Leben, dass gewisse Schlitten früher mittels einer langen, nach hinten reichenden Stange gelenkt worden sind.

Ein neuer Skisprungstil und die ersten Snowboards
Bis ins Jahr 1970 gab es am Bolgen in Davos eine Sprungschanze. Neben diversen Utensilien zum Thema erblicke ich Bilder des einheimischen Skispringers Andreas Däscher (1927). Er entwickelte in den 1950er-Jahren eine neue Sprungtechnik, die sich bis zur Einführung des V-Stils im Jahre 1985 als Skisprung-Standard halten konnte.

Auf dem weiteren Rundgang bekomme ich mit, dass die Vorläufer der heute wieder populären Schneeschuhe in den alten Valser Siedlungen von grosser Bedeutung waren. Weil es keine grossen Ställe gab, musste das Heu in teils weit entfernten kleinen Gaden gelagert werden. Alte Bilder zeigen, dass im Winter für den Transport dieses Tierfutters sogar den Maultieren Schneeschuhe montiert wurden, damit sich diese im tiefen Schnee überhaupt fortbewegen konnten. Ein alternatives Transportmittel für diesen Zweck war das so genannte «Heuschit». Wer nämlich sein Heu vom Berg ins Dorf bringen wollte, montierte ein grosses Tuch auf ein Holzbrett, knöpfte das gefüllte Tuch zu und bretterte mit dieser Ladung im wahrsten Sinne des Wortes zu Tale. Ob dieses «Heuschit» als Vorläufer des Snowboards bezeichnet werden kann, lassen wir im Raum stehen. Jedenfalls etablierten sich ab 1970 als Alternative zu den Skiern die ersten richtigen Snowboards. Diese junge Wintersportart wird in Davos mit Vorliebe am Jakobshorn ausgeübt und das Wintersport-Museum zeigt mir auch in diesem Bereich die verschiedenen Entwicklungsschritte. Zu den Modellen, die sich nicht etablieren konnten, zählt ein Snowboard, das einem Skateboard nachempfunden wurde. Ziel dieser Erfindung war es, die jungen Städter auf die Pisten zu bringen.

Wintersport auf dem Eis
Eishockey hat in der Davoser Wintersport-Geschichte einen ganz besonderen Stellenwert. Der Davoser Arzt Carl Spengler – Sohn des einstigen Landschaftsarztes Alexander Spengler – war ein begeisterter Anhänger des 1921 gegründeten HC Davos. Im Bestreben diesen Klub zu unterstützen sowie die durch den ersten Weltkrieg verfeindeten Nationen mittels sportlicher Kontakte wieder zusammenzuführen, iniitierte er in der Altjahrswoche 1923 erstmals einen internationalen Wettbewerb. Dieser hat als Spengler-Cup bis heute Bestand und ist für Davos von unschätzbarem Wert. Dementsprechend finden sich im Wintersport-Museum Davos auch rund um den HCD und den Spengler-Cup viele spannende Zeitzeugen und Informationen.

Andere Eissportarten wie Curling oder Eisstockschiessen sind in Davos seit Beginn des Wintertourismus ebenfalls präsent. Während vielen Jahren wurden sogar interna­tionale Wettbewerbe im Eisschnelllaufen und Eiskunstlauf veranstaltet. Seit die grossen Wettkämpfe dieser Art nur noch auf Kunsteis durchgeführt werden, steht die mit 18’000 Quadratmetern grösste Natureisbahn Europas zur Freude der Gäste vorwiegend den Wintersporttouristen zur Verfügung.

Ein Besuch des seit 1987 existierenden Wintersport-Museums Davos ist nicht nur den dortigen Gästen zu empfehlen. Auch ausserhalb der offiziellen Öffnungszeiten – Sommer und Winter jeweils Dienstag und Donnerstag zwischen 16.30 und 18.30 Uhr – sind im Rahmen von Extraführungen auch Gruppen herzlich willkommen. Im anmächeligen Ambien­te inmitten greifbarer Schweizer Tourismus-Geschichte wird auf Wunsch auch gerne ein gemütliches Apéro organisiert. Und wer zuhause im Estrich allenfalls noch ein einmaliges Relikt aus alten Wintersportzeiten liegen hat, trifft beim Wintersport-Museum Davos ebenfalls auf offene Ohren!

Ein paar Jahrzahlen…

  • 1873: Die ersten Skis – lappländische Jagdskis – kommen nach Davos.
  • 1877: Eröffnung Natureis- und Schlittelbahn.
  • 1880: Bau Eisstadion und Gründung Schlittschuh-Club.
  • 1898: Weltmeisterschaften im Eisschnelllaufen für Herren.
  • 1899: Eröffnung Standseilbahn Davos-Schatzalp mit Schlittelbahn.
  • 1903: Gründung Ski-Club Davos.
  • 1907: Eröffnung Bobbahn Schatzalp.
  • 1909: Inbetriebnahme Bolgenschanze.
  • 1918: Erstes Eishockeyspiel in Davos: Resultat Davos-St.Moritz 0:14.
  • 1921: Gründung Hockey-Club Davos.
  • 1923: Erstes internationales Eishockey-Turnier um den Spengler-Cup.
  • 1932: Gründung Skischule Davos.
  • 1934: Erster Bügel-Skilift der Welt wird am Bolgen eröffnet.
  • 1935: Eishockey-Weltmeisterschaften.
  • 1960: Inbetriebnahme Kunsteisbahn.
  • 1965: Letztes Skispringen in Davos.
  • 1976: Gründung Langlauf-Club Davos.
  • 1977: Die Weltmeisterschaften im Eisschnelllaufen werden wegen Wärmeeinbruch verlegt.
  • 1980: Die zu einer Halle umgebaute Kunsteisbahn fasst neu 8’000 Personen.
  • 1987: Eröffnung Wintersport-Museum.
  • 1988: 1. Davoser-Olympia-Medaille (Bronze) für Paul Accola.
  • 1988: Gründung Snowboard-Club.
  • 1991: Das 1934 erbaute Eisbahngebäude wird ein Raub der Flammen.
  • 1991: Erste Snowboardschule wird in Davos eröffnet.
  • 1992: Paul Accola gewinnt Gesamt-Weltcup Alpin.
  • 1996: Eröffnung neues Sportzentrum mit neuem Eisbahngebäude.
  • 1997: Eröffnung Schweizerisches Sport-Gymnasium in Davos.

Kontakt

Wintersport-Museum Davos
Promenade 43
7270 Davos Platz
Telefon 081 413 24 84

www.wintersportmuseum.ch