Das Wort hat Johannes Schmid-Kunz
Die Lancierung einer neugeschaffenen Interlakner Edelweisstracht rund um das letztjährige Unspunnenfest hat es wieder einmal deutlich gezeigt: das Trachtenthema ist nach wie vor hoch emotional. Während die Initianten die Neuschöpfung als Einsteigermodell preisen, bezeichnet die Mode-Redaktion einer grossen Schweizer Tageszeitung das Kleid aus dem Berner Oberland als «Dirndl mit Depressionen».
Blenden wir kurz zurück. Was wir heute als traditionelle Schweizer Trachten bezeichnen, besteht kurz zusammengefasst aus zwei Gruppen: Einerseits die Festtrachten, welche vor knapp 100 Jahren aus der Mode vor 200 Jahren rekonstruiert wurden und andererseits der Rest, welcher zur gleichen Zeit ganz einfach erfunden wurde. Es ist ein Ergebnis der schweizerischen Trachtengeschichte, dass man bei den Frauentrachten Wert auf die historisch korrekte Rekonstruktion legte, die historischen Männertrachten aber bewusst ins Museum verbannte. Das Ziel war ja, die Volkstrachten wieder zum Alltagskleid der bäuerlichen Bevölkerung der Schweiz zu machen und es war nicht vorstellbar, dass die Männer um 1930 in plissierten Kniehosen zur Kirche gegangen wären. Diese gesteuerte Volkskultur legte bereits den Grundstein für verschiedene Missverständnisse. Es war vor 30 Jahren quasi eine Emanzipationswelle, welche den Trachtenherren ihre historischen Männertrachten wieder zurückbrachte.
Die Erfindungen aus dem beginnenden 20. Jahrhundert (vor allem die Arbeits-trachten) basierten auf dem damaligen Zeitgeist sowie den Überbleibseln einer Bekleidungstradition aus dem 19. Jahrhundert. Motor dieser letzten bedeutenden Erneuerungswelle war der von der geistigen Landesverteidigung geprägte Landi-Geist und der Heimatwerkgedanke, was gleichzusetzen ist mit Qualität bei Material und Verarbeitung – eine frühe Ökophase unter dem Motto: «selber gesponnen, selber gemacht!».
Was und wie anpassen?
Der Wunsch, das schweizerische Trachtenrepertoire nach 100 Jahren der heutigen Zeit anzupassen, ist verständlich. Oft fehlten den entsprechenden Projekten aber die Visionen und Recherchen und so verschwanden Neukreationen meistens schnell wieder. Der Edelweissstoff – erstmals in den 70er-Jahren von der Firma Gugelmann im bernischen Roggwil hergestellt – kann im Ausland schweizerisch-identitätsstiftend wirken. Aber mal Hand aufs Herz: wir Föderalisten wollen keine Schweizertracht, wir wollen mit der Tracht die Verbundenheit mit einer Region deutlich machen!
Ein neu gestalteter Minibag zur Tracht, eine Erfindung des Heimatwerks Bauma, wurde zum Geheimtipp am Unspunnenfest. Das erstmals präsentierte Trachten-Accessoire kostet ohne Tracht zwar doppelt so viel wie ein Aldi-Dirndl, das aber beeindruckt die jungen Interessenten wenig. Wenn Bedürfnis, Design und Zeitgeist ideal kombiniert werden, verliert offensichtlich auch das Killerkriterium «Preis» an Bedeutung. Das könnte ein brauchbarer Denkansatz für eine Trachten-erneuerung sein. Eine Anbiederung an den Mode-Mainstream und die Orientierung an der «Geiz-ist-Geil»-Gesellschaft haben beim Thema Trachtenerneuerung nichts verloren!
Johannes Schmid-Kunz
Volksmusiker, Volkstanzleiter und Geschäftsführer der Schweizerischen Trachtenvereinigung
23.03.2018
VON JOHANNES SCHMID-KUNZ