Hans-Ulrich Stadler und die Älplerfründe Eggiwil
Eingängige, nachvollziehbare Melodien in Kompositionen aus einem Guss, rassiger Spielweise mit einer für Schweizer Volksmusik unüblichen rhythmischen Einteilung gespielt mit zwei Klarinetten, zwei Örgeli und Bassgeige ergibt eine Mischung aus Bündner- und Oberkrainermusik. Zu Beginn der 1980er-Jahre kam der Emmentaler Musiker Hans-Ulrich Stadler auf diese Idee, welche er zusammen mit seinen Älplerfründe Eggiwil umsetzte und die nachhaltig eingeschlagen hat.
23.05.2018 | VON HANSPETER EGGENBERGER
In der Volksmusik wird die Eigenheit einer Volksgruppe hörbar. Aus diesem Grund tönt Bündnermusik nicht gleich wie zum Beispiel die Innerschweizer-, Appenzeller- oder Bernermusik. Wer sich mit Sprachidiomen – den individuellen Eigentümlichkeiten und Ausdrucksweisen— auskennt, kann unschwer klangliche Verbindungen zwischen Sprache und Musik ausmachen, die jedoch einem stetigen Wandel unterliegen. Einflüsse aus der Vermischung der Volksgruppen und ganz stark auch jene der Unterhaltungsindustrie (Tonträger, Medien) sowie das Bemühen um die Publikumsgunst haben aus den ehemals sehr typischen Ausdrucksweisen sowohl in der Sprache als auch in der Musik markante Veränderungen und damit auch das Verwässern der eigenen Identität ergeben. Dieser Identitätsverlust hat wiederum der Globalisierung die Tore geöffnet – zunächst nur regional, dann landesweit und letztlich international. Und damit haben sich auch die Hörpräferenzen – also das, was man gerne hört – verschoben. Während sich die Ideologen zusammen mit den Puristen noch um den Erhalt von Sprache und Musikstil bemühen, hat das breite Volk längst entschieden, was ihm gefällt! Was in der Musik nach diesem Prozess herauskommt, ist letztlich eine neue Volksmusik. Eine dieser Strömungen wurde bezüglich Ländlermusik vom Emmentaler Klarinettisten Hans-Ulrich Stadler aus Bowil initiiert. Seine Musik könnte man «Bündner-Berner-Oberkrainer-Musik» nennen, was zugleich auf den Ursprung seiner «Erfindung» hinweist.
Musikalisches Elternhaus
Welcher Musikstil bei Stadlers in Bowil Vorrang hatte, ist klar auszumachen. «Ich hatte immer schon einen sehr starken Bezug zur Bündnermusik», erklärt Hans-Ulrich Stadler. Dieser begründete sich in seiner Kinderzeit, als er mit seinem Vater zu musizieren begann. Dieser spielte Schwyzerörgeli und brachte von jedem Marktbesuch in Langnau die neusten Platten mit, etwa jene von Peter Zinsli, der damals im Emmental sehr hoch im Kurs stand. Vater und Sohn Stadler spielten diese Musik zusammen mit den Bowiler Ländlerfründe gerne nach. Der am 15. Juni 1958 geborene Hans-Ulrich hatte als 10-Jähriger in der Jugendmusik Konolfingen mit dem Klarinettenspiel begonnen. «Die Blasmusik hat mich als Klarinettler zu wenig gefordert, weshalb ich schnell auch mit den Ländlertänzen meines Vaters begann!» Noch heute wohnt er in der Gemeinde Bowil etwas erhöht auf dem Hof in der Ackerweid, von wo er eine schöne Aussicht auf den ganzen Talkessel hat. Seit 37 Jahren ist er mit Marianne verheiratet und das Paar hat drei erwachsene Kinder. Nach der Ausbildung zum Verwaltungsangestellten arbeitete Hans-Ulrich einige Jahre in einer Bank und wechselte dann in die Verwaltung der Bernischen Kraftwerke BKW, die 35 Jahre lang sein Arbeitgeber waren. Vor zwei Jahren liess er sich frühzeitig pensionieren. Arbeiten im eigenen Wald und im grossen Garten, dank welchem die Stadlers mehr oder weniger Selbstversorger sind, Pilze suchen, Wandern, gelegentliche Hilfe bei nahestehenden Menschen und im Frühjahr jeweils das Ausfüllen von Steuererklärungen füllen neben der Musik seinen Alltag aus.
Älplerfründe Eggiwil
In der besonderen Besetzung mit einer Klarinette, zwei Schwyzerörgeli, einer Trompete und einem Euphonium bestanden die Älplerfründe Eggiwil bereits drei Jahre lang, als sie wegen dem Abgang des Trompeters einen Ersatzbläser suchten. Sie wurden auf den damals 16-jährigen Hans-Ulrich aufmerksam, den sie eines Tages zu später Stunde kurzerhand aufsuchten. Schnell war man sich einig und mit einem weinenden Auge liess Vater Stadler seinen Sohn eigene musikalische Wege gehen. Von nun an wurde bei den Eggiwilern Bündnermusik nach Vorbildern wie Engadiner Ländlerfründa, Prättigauer Ländlerquintett, Kapelle Oberalp und Peter Zinsli gespielt.
Der einst grosse Boom für Bündnermusik im Bernbiet flachte jedoch durch das Aufkommen vieler junger Schwyzerörgeliformationen nach und nach ab, weshalb sich Hans-Ulrich Gedanken für die musikalische Zukunft machte. «Es war schon immer mein Anliegen, die Veranstalter mit unserer Musik zu unterstützen, es musste für alle stimmen», erklärt er. So sei es vorgekommen, dass er Engagements abwies, weil er wusste, dass sich für die Musik seiner Kapelle dort zu wenig Publikum finden würde. Und weiter: «Peter Zinsli sagte einmal zu mir: Ihr spielt gut, aber nur mit einem Bündnerherz kann man richtige Bündnermusik machen! Darum suchte ich nach einem eigenen Stil, nach etwas, das es noch nicht gab und das uns von den übrigen Formationen abheben sollte. Grosserfolge beispielsweise vom Alpenland Quintett, den Mölltalern oder Beny Rehmann auf moderner Schiene inspirierten mich dabei». Ruedi Schmid, damals Bassist der Schmid-Buebe und Produzent beim Plattenlabel Helvetia, gab Stadler dann den entscheidenden Tipp. Das Oberkrainer-Trio Triglav Echo gastierte damals gerade in Bern, im Gepäck auch eine Musikkassette, auf welcher der Titel «Fröhliche Musikanten» zu hören war. Bei Hans-Ulrich Stadler machte es «klick» und mit Jernej Grozniks Polka «Fröhliche Musikanten» im neuen Volksmusikstil, dem rassigen Mix zwischen Berner-, Bündner- und Oberkrainermusik landeten die Eggiwiler einen ihrer beliebtesten Titel.
Wie bereits geschildert, war die Bündner Ländlermusik für den Bläser Hans-Ulrich Stadler schon immer von zentralem Interesse. Vorläufer der heutigen Bündner Ländlermusikanten sind der Schwyzerörgeler Josias Jenny und der Klarinettist Luzi Bergamin. Den Bündner Stil haben sie paradoxerweise von Bern aus zusammen mit ihrem Berner Ländlerquintett entwickelt. Grundlegend dazu war natürlich das Repertoire der «noch älteren» Bündner Komponisten. So spielte das Berner Ländlerquintett auch viele Stücke von Paul Kollegger, Lenz Majoleth und Luzi Brüesch, die als Ur-Väter der Bündnermusik gelten. Die zweite Wurzel des grossen Erfolges der Älplerfründe Eggiwil ist in der Oberkrainer Musik zu finden. Diese rassige, manchmal besinnliche und meistens fröhliche Volksmusik wurde vom slowenischen Musiker Slavko Avsenk (1929-2015) geschaffen. Er begann 1953 mit seinem Original Oberkrainer Trio zu spielen. Bald baute er die Formation zum Quintett mit Gesangspaar aus, mit welchem er eine beispiellose weltweite Karriere machte. Auch in der Schweiz fand er etliche Nachahmer, die damit ebenfalls sehr erfolgreich wurden, so zum Beispiel das Beny Rehmann Quintett, die Glarner Oberkrainer und noch einige mehr.
Eigene Wege
Ab 1983 begann Hans-Ulrich Stadler, eigene Titel in diesem Stil zu komponieren. Prägendes Element sind dabei die Schnellpolkas, die in einem Tempo von mindestens 128 Schlägen pro Minute gespielt werden. Die Melodie wird zweistimmig von Klarinetten gespielt, ein Örgeli oder Akkordeon begleitet dazu in Oberkrainer-Art, das zweite spielt dazu den Nachschlag und übernimmt somit quasi die Funktion der Gitarre in der Oberkrainerbesetzung. Die Titel leben nicht von Virtuosität, sondern von viel Melodie. Bis heute umfasst Stadlers Komponistenmappe 70 meist instrumentale Titel, aber auch einige Lieder sind dabei. Seine Titel entstehen immer nur sehr zielgerichtet. «Ich muss wissen, für welche Kapelle ich den Titel mache und welche Geschichte er erzählen soll!» Nur Melodien, die ihm über Tage oder Wochen im Kopf herumschwirren, ohne dass er sie vergisst, verfolgt er weiter. So entstanden heute bekannte Titel wie «Für d’Älplerfründe-Fans», «Achtung, fertig, los!», «Dr Törli-Jäger» oder «Has gib Gas».
Der Erfolg der Älplerfründe Eggiwil stellte sich sofort ein. Schon 1985, kurz nach dem Erscheinen des ersten Tonträgers, wurden sie in Wysel Gyrs Samstagabend-Sendung «Gala für Stadt und Land» eingeladen. Wysel bezeichnete den neuen Stil damals als helvetische Oberkrainermusik. Es folgte die eigentliche Blütezeit der Kapelle, während der über die Hälfte der Eigenkompositionen entstanden, acht erfolgreiche Tonträger produziert und unzählige Auftritte bis hin zu Grossanlässen wie Schwing- und Jodlerfeste bestritten wurden. Sogar im Bündnerland, der Hochburg ihrer einstigen Vorbilder waren die Eggiwiler gern gesehene Gäste. Dann aber – nach fast 25 Jahren und über 1’500 Auftritten – wurde die Kapelle etwas musikmüde, obwohl die Musikanten alle erst gut 40-jährig waren. «Wir hatten das Gefühl, alles erreicht zu haben, was in unseren Möglichkeiten stand und dass es eigentlich nur noch abwärts gehen konnte. Die Konkurrenz unter den inzwischen vielen Formationen war viel grösser als noch in den 1970-er und 1980-er Jahren und viele andere komponierten und spielten nun auch Schnellpolkas nach meinem Muster», erläutert Hans-Ulrich. Deshalb endete Ende 1997 quasi auf dem Höhepunkt die offizielle Karriere der Älplerfründe Eggiwil.
15 Jahre später produzierten sie zusammen mit der neuen Bassistin Christine Steiner nochmals eine CD, auf welcher neue Titel präsentiert wurden. Die Szene vermutete ein Comeback der Eggiwiler, was aber auch trotz der Teilnahme an einer Kreuzfahrt von der Kapelle nicht so gedacht war. Allerdings bestreiten sie seither zur grossen Freude ihrer immer noch vorhandenen Fangemeinde alljährlich einen Plauschauftritt. In diesem Jahr wird dieser am 18. August anlässlich eines Risottoplauschs vom VSV Kanton Bern im Restaurant Neuhaus in Dieterswil über die Bühne gehen.
Die Wurzeln schlagen aus
Die Älplerfründe Eggiwil mit ihrem Frontmann Hans-Ulrich Stadler haben es nicht nur geschafft, eine eigene musikalische Identität zu haben. Sie haben einen veritablen Musikstil kreiert, der in genau gleicher oder auch adaptierter Form von vielen Musikantinnen und Musikanten in der ganzen Schweiz gerne gespielt wird und der schon viele stimmungsvolle Anlässe begleitet hat. Stadlers Idee kann deshalb durchaus als legendär bezeichnet werden. «Ohne meine Mitspieler wäre es aber nie soweit gekommen», sagt Hans-Ulrich, «und ich bin ihnen dankbar dafür, dass sie mich während all den Jahren begleitet, unterstützt und meinen Stil mitgetragen haben». Natürlich komponiert er auch heute noch neue Titel, die von so renommierten Kapellen wie Enzian, Soldanella, Stelser Buaba oder Davoser Ländlerfründa gerne gespielt werden. So hat die Bündnermusik mit Oberkrainereinfluss durch einen Emmentaler auch wieder zurück in ihre Heimat gefunden!
Aktuelle CD
15 Jahre nach der Auflösung haben die Älplerfründe Eggiwil 2013 fünf neue Titel eingespielt.