Besuch in der Kerzenfabrik
Das kleine Feuer einer Kerze hat eine magische Kraft und versetzt uns augenblicklich in eine besondere Stimmung. Kerzen werden in allen Jahreszeiten angezündet, in den dunkleren Wintermonaten aber besonders gerne. Bei kirchlichen Festen, beim romantischen Dinner zu zweit, am Adventskranz und Weihnachtsbaum und bei vielen weiteren Gelegenheiten kommen wir an Kerzen nicht vorbei.
23.11.2016 | VON HANSPETER EGGENBERGER
Es ist völlig gleichgültig, wie gross oder klein eine Kerze ist. Alleine das kleine Feuer ist für den Gemütszustand verantwortlich, den es in uns erzeugt. Psychologisch gesehen ist es der warme Farbton und die – wenn meist auch nur geringe – Wärme, die unsere Gefühle positiv beeinflusst. Zudem wirkt eine Kerze immer feierlich, was an hohen Festtagen gerne genutzt wird. So schafft sie es, verschiedene Emotionen, wie beispielsweise die Romantik, weiter zu vertiefen. Um weniger Fantasie und Emotion, dafür aber um viel handwerkliches Geschick und unternehmerisches Handeln geht es in der Kerzenfabrik. «Ich habe aber die grosse Freude, etwas vom Schönsten herzustellen und zu verkaufen, das die Leute glücklich macht. Eines, das mit seinem Licht Atmosphäre und Harmonie schafft und die Leute in fröhlichen wie auch schwierigen Zeiten unterstützt», sagt Monika Felder-Brunner, CEO der Herzog Kerzen AG in Sursee.
Zunächst nur Lichtquelle
Zunächst hatte das Kerzenlicht schlichtweg nur den Sinn, Helligkeit zu schaffen. Schon immer nämlich hatte der Mensch Sehnsucht nach Licht. Man vermutet, dass im vorchristlichen Altertum Beleuchtungen durch Eintauchen eines Funale (Strick) – meist aus Binse, Schilfrohr, Papyrus oder Hanfabfällen – in Talg hergestellt wurden. Die Bezeichnung selber stammt aus dem lateinischen «Cereus», was «Wachslicht» bedeutet. Das Christentum und die Entwicklung seiner liturgischen Bräuche führten zu einer raschen Entwicklung der Kerze. So sind länglich-runde Kerzen mit Wergdocht für liturgische Zwecke seit der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts bekannt. Mit der Verwendung von Bienenwachs entfaltete sich die Kerzentechnologie im Mittelalter. Dieser begrenzt vorhandene und damit sehr wertvolle Rohstoff war jedoch vor allem den Kirchen und den reichen Fürstenhäusern vorbehalten. In privaten Haushalten benutzte man Talg- oder so genannte Unschlittkerzen. Sie wurden aus minderwertigem Rindernierenfett und Hammeltalg hergestellt, rochen dementsprechend ranzig, qualmten und russten. Erst Ende des 15. Jahrhunderts zog das Bienenwachs auch in die gute Stube wohlhabender Bürgerhäuser ein. Problemlose Wachslichter kannten unsere Vorväter aber nicht. Die Kerzen mussten fortwährend geputzt werden. Das nannte man «schnäuzen», wobei der abgebrannte Docht ständig gekürzt wurde, um das Russen und Tropfen zu verringern. Erst im 19. Jahrhundert entdeckte man die Kerzenstoffe Paraffin und Stearin, die heute noch verwendet werden. Im gleichen Zeitraum wurde der Docht entscheidend verbessert.
«Chumm, mir wei es Liecht azünte,
dass es hell wird i der Nacht.
Und es ganzes Meer vo Liechter
d Ärde hell und fründlech macht.»
Verschiedene Rohstoffe
Kerzen werden schon lange aus verschiedenen Rohmaterialien hergestellt. Am naheliegendsten ist natürlich Bienenwachs, ein Stoffwechselprodukt der Honigbiene. Die Arbeitsbienen fliegen noch nicht aus, sondern werden von älteren Bienen mit Pollen und Nektar gefüttert. Diese sogenannten Baubienen produzieren das Wachs in den Wachsdrüsen. Das Wachs wird an der Bauchseite ausgeschieden und von den Baubienen zum Wabenbau eingesetzt. Die Farbe und den angenehmen Geruch bekommt das Bienenwachs im Laufe der Zeit durch den Kontakt mit Honig und Pollen. Das Wachs wird aus den Waben durch Ausschmelzverfahren gewonnen. Für die Herstellung von Kerzen ist eine Reinigung des Wachses mit Hilfe einer Filtration erforderlich. Bienenwachs zeigt eine mässig harte Konsistenz. Es wird durch Handwärme knetbar und plastisch, ohne zu kleben. Traditionell ist Bienenwachs ein wesentlicher Rohstoff zur Herstellung von sakralen sowie hochwertigen Schmuck- und Zierkerzen. Die Brenneigenschaften vollständig gereinigten Bienenwachses sind problemlos, die gefertigten Kerzen brennen rückstandsfrei mit gleichmässiger Flamme. Beliebt sind sie wegen ihres süsslichen Duftes und der warmen, braun-gelben Farbe. Die Beschaffung von Bienenwachs ist aktuell ziemlich schwierig, wie uns Monika Felder erklärt. Krankheiten der Bienenvölker in den grossen Herkunftsländern China und Südamerika haben die Menge stark dezimiert, was somit auch einen enormen Druck auf den Preis erzeugt.
Zum Glück werden neben diesem Naturprodukt auch andere Stoffe zur Kerzenherstellung verwendet. Aus Erdöl wurde bereits in den 1830er-Jahren Paraffin gewonnen und eingesetzt. Durch ein aufwändiges Verfahren, zu welchem Entölung, Filterung, Destillation und Reinigung gehören, kann das Paraffin gewonnen werden. Es ist ungiftig, weiss und praktisch geruchsfrei. Etwa zehn Jahre länger kennt man das Stearin, das 1818 als geeigneter Kerzenrohstoff entdeckt wurde. Es wird hauptsächlich aus pflanzlichem Palmöl oder aus tierischen Fetten gewonnen und ist deshalb biologisch abbaubar. Da Paraffin günstiger und universeller einsetzbar ist, wird aber nur ein kleiner Teil der Kerzen aus Stearin hergestellt. Diese Rohmaterialien werden im internationalen Handel eingekauft und in eigenen, genügend grossen und passenden Lagerräumen aufbewahrt. Da auch die Endprodukte für die saisonale Verwendung vorproduziert werden müssen, nehmen die Lagerräume bei der Herzog AG in Sursee entsprechenden Platz in Anspruch.
Wichtigkeit des Dochtes
Das einwandfreie Brennen der Kerze hängt zum grössten Teil von der Beschaffenheit und richtigen Auswahl des Dochtes ab. Dieser wird aus einer Faser, vorzugsweise aus Baumwolle, geflochten. Man unterscheidet im Wesentlichen zwischen Flach- und Runddochten, die je nach dem zu verarbeitenden Rohstoff und Herstellungsverfahren zum Einsatz kommen. Die Präparation soll auch dazu dienen, das Nachglühen beim Auslöschen der Flamme weitgehend zu verhindern und für einen gleichmässigen Abbrand bei ruhiger Flamme zu sorgen. Die Dochtspitze muss sich zum äusseren Flammenrand biegen, wo Sauerstoff in die Reaktionszone einfliesst, so dass eine völlige Verbrennung stattfinden kann. Würde die Dochtspitze in der Flamme verbleiben, so wäre die Verbrennung unvollkommen, und es entstünden Russpilze. Ein zu schwacher Docht kann das geschmolzene Wachs der sogenannten Brennschüssel nicht aufsaugen, weshalb die Kerze rinnt. Ein zu starker Docht lässt die Flamme zu gross werden, die Brennschüssel ist ständig leer, die Verbrennung unvollkommen und die Flamme russt.
Optisches Erscheinungsbild
Die Farbgebung in der Kerzenindustrie unterliegt heute den verschiedensten Modetrends. Immer mehr Farben und Farbnuancen werden kreiert und sind ausschlaggebend für den Verkaufserfolg oder Misserfolg. Technisch wird zwischen Farben zum Übertauchen und zum Durchfärben unterschieden. Um Kerzen besonders dekorativ zu gestalten, wird die Oberfläche mit Lack und Farbe veredelt. So entstehen hochglänzende, gold-, silber- oder perlmuttlackierte Kerzen. Auch aussergewöhnliche Effekte der Kerzenoberfläche sind mit einer Lackierung erreichbar, wie Metallic-, Eiskristall- und Flittereffekt. Diese sehr dekorativen Kerzen sind gut als Tisch- und Raumschmuck kombinierbar. Bei Grossserien werden die Kerzen mit Tauchautomaten, bei individuellen Sonderanfertigungen von Hand getaucht. Um die empfindliche Oberfläche zu schützen, sind diese Kerzen zumeist einzeln in Folien verpackt. Es wäre zu schade, wenn die hauchdünne Lackschicht schon vor der Verwendung beschädigt würde. Die dünne Schicht sorgt auch dafür, dass die Brenneigenschaft nicht beeinträchtigt wird. An die Umwelt wird bei der Oberflächenveredelung ebenfalls gedacht. Wasserverdünnbare Lacke sind auf dem Vormarsch. «Als ich vor 21 Jahren in dieses Geschäft einstieg, gab es mehr ausgefallene Formen, die dann nicht so schön abbrannten. Zum Glück sind heute schlichte Formen mit feiner Oberflächenbehandlung modern», freut sich Monika Felder.
Handarbeit ist gefragt
Der grosse Anteil der Arbeiten, die bei der Herstellung von Kerzen anfallen, ist nach wie vor Handarbeit. Zwar gibt es diverse Maschinen, die eine rationale Herstellung ermöglichen. Dazu gehören einfache Fräs- und Bohrmaschinen, solche, die den weissen Kerzenrohling mit Farbe übertauchen oder die imposante Zugmaschine, die zwischen 220 und 440 Meter lange Kerzen zieht. Für die Weiterverarbeitung ist hingegen Handarbeit gefragt. Da werden die Längen der fertigen Kerzen gesägt, das Bohrloch (für den Dorn am Kerzenhalter) gemacht, der Kopf gefräst und natürlich allerlei Verzierungen oder auch Malereien angebracht. Man kann sich vorstellen, welch’ feines Geschick dafür notwendig ist. In Deutschland werden noch Wachszieher und Wachsbildner ausgebildet, eine Berufsgattung, die aufgrund der Automatisation langsam verschwindet. Vielmehr setzt die Branche heute auf Leute, die sorgfältig, geduldig und dennoch effizient arbeiten können oder bereits ähnliche Erfahrungen gesammelt haben. So bevorzugt die Kerzenfabrik Herzog für die filigranen Arbeiten beispielsweise Konditoren.
Das richtige Gespür für kommende Trends und frühzeitige Reaktion darauf sind für den Kerzenfabrikanten existenziell. Heute ist der Surseer Kerzenmacher Marktführer im Bereich der liturgischen Kerzen, welche etwa 60% des Produktionsvolumens ausmacht. Früher brauchte man mehr liturgische Kerzen, als es noch mehr Messen gab. Heute sind es jedoch mehr Opferlichter. Manche Kerzen sind saisonal gebunden. Bereits nach der Produktion der Osterkerzen beginnt bei der Herzog AG die Herstellung der Baumkerzen, um die Lager bis zur Weihnachtszeit füllen zu können. Kunden der Kerzenfabrik sind neben den Kirchgemeinden Händler, wie Drogisten, Gastronomen, Floristen und allgemeine Handelsgeschäfte.
Im Kerzenshop der Herzog AG kann sich aber jedermann inspirieren lassen und Kerzen für den Eigenbedarf aussuchen. Eine spezielle Gattung sind die Duftkerzen, für welche sich einzelne Kerzenhersteller spezialisiert haben. Es ist imposant zu sehen, welcher Aufwand die Herstellung und welche Sorgfalt und Liebe zum Detail von den Mitarbeitenden der Kerzenfabrik erforderlich sind. An das alles denkt man natürlich nicht, wenn man sich beim hell erleuchteten Weihnachtsbaum oder beim stimmungsvollen Candellight-Dinner am wärmend wirkenden Kerzenschein erfreut.