Man liebt ihn oder man liebt ihn nicht …
Sein herber Geschmack ist nicht jedermanns Sache. Trotzdem kann der Schabziger auf eine fast 1’000-jährige Geschichte zurückblicken. Als ältester Markenartikel der Schweiz gilt er bis heute als ganz besonderer Botschafter für das Glarnerland, das seinetwegen auch «Zigerschlitz» genannt wird. Bei einer Betriebsbesichtigung der modernen Schabziger-Produktionsstätte oder auf dem «Schabziger Höhenweg» kann dieses würzige Stück Schweizer Tradition hautnah erlebt werden.
23.09.2016 | VON STEFAN SCHWARZ
Die typischen Glarner Zigerstöckli werden in der Region seit dem Mittelalter produziert. Während die GESKA AG auf ihren modernen Produktionsanlagen aus 4,6 Millionen Litern frischer Kuhmilch in Glarus heute pro Jahr rund 330 Tonnen verschiedenste Zigerprodukte herstellt, sah die Herstellung in alten Zeiten ganz anders aus. Damals waren die Alpen noch nicht so gut erschlossen wie heute und die Haltbarkeit von Produkten eine grosse Herausforderung. In diesem Zusammenhang kamen Glarner Bergbauern auf die Idee, neben der Herstellung von Käse, einen Teil der produzierten Milch zu Rohziger – eine Art Frischkäse wie der heutige Ricotta – zu verarbeiten. Dies war auf der Alp mit relativ einfachen Mitteln möglich und das Produkt blieb in dieser Form bis zum Transport ins Tal auch über längere Zeit ungekühlt haltbar.
Würze aus dem Klostergarten?
Der Schabziger entwickelte sich zu einer preiswerten Alternative zum teuren Käse und wurde bald auch als besondere Würze für allerlei Gerichte wie Polenta oder Gschwelti verwendet. Ursprünglich war der Ziger eine recht fade Angelegenheit, bevor er durch die Beigabe von Hornklee zu seinem unvergleichlichen Geschmack kam. Gemäss alten Überlieferungen sollen die Nonnen des Klosters Säckingen diese massive Geschmacksveränderung bewirkt haben. Der weisse Glarner Magerkäse, der damals auch als gängiges Zahlungsmittel diente, war den Damen auf die Dauer zu schal. Deshalb würzten sie das Produkt kurzerhand mit einem stark duftenden Kraut aus dem eigenen Klostergarten. Dieser Hornklee, welcher vermutlich von Kreuzfahrern aus Kleinasien in die Schweiz gebracht worden war, wurde zu einer der wichtigsten Zutaten des Glarner Schabzigers, auch wenn die nette Klostertheorie vor drei Jahren im Buch «550 Jahre Schabziger: Geschichten und Rezepte» vom Mitautor und Historiker Beat Frei widerlegt worden ist. Er ist der Meinung, dass die Zürcher massgeblich für den Erfolg des Schabzigers mitverantwortlich waren.
Ungeachtet geschichtlicher Details entwickelte sich der Schabziger für seine Herkunftsregion zu einem derart wichtigen Produkt, dass die Glarner Landsgemeinde am 24. April 1463 sämtliche Zigerhersteller verpflichtete, ihr Produkt nach genauen Qualitätsvorgaben zu produzieren und mit einem Herkunftsstempel zu kennzeichnen. Die weitsichtigen Bürger machten ihr Traditionsprodukt damit zum ersten Markenprodukt derSchweiz, das weltweit geschützt ist und in rund 50 Länder exportiert wird. Auch beim Verkauf ihrer grünen Schabzigerstöckli hatten die findigen Glarner einen guten Riecher. Gegen 300 urchige Zigermandli und Zigerfraueli waren bis 1950 in der Schweiz und im benachbarten Ausland unterwegs und kurbelten mit ihren träfen Sprüchen den Absatz des Kultproduktes an.
Moderne Zigerproduktion
Obschon der Schabziger natürlich längst nicht mehr in den Sennhütten auf der Alp hergestellt wird, ist das Prinzip in den letzten Jahrhunderten fast unverändert geblieben. Je nach Saison werden von den Glarner Milchbauern täglich insgesamt zwischen 3’000 und 8’000 Liter Milch angeliefert, die nach einer Qualitätsprüfung in grossen Tanks gekühlt werden. Für die folgende Rohzigerproduktion wird die Milch auf 50°C erwärmt und zentrifugiert. Die entrahmte Milch fliesst in ein 2’000 Liter fassendes Kupferkessi und wird dort auf 90°C erhitzt. Durch Beigabe von zirka 200 Litern Etscher (Milchsäurebakterien) separiert sich aus der Milch der Rohziger, sinkt auf den Kessiboden ab und wird dort abgeschöpft. Er bleibt dann rund sechs Stunden in den Abtropfwannen und kühlt aus. In diesem Stadium ist der Rohziger sehr anfällig, da zuvor sämtliche Bakterien abgetötet worden sind. Entsprechend hoch sind denn auch die hygienischen Vorschriften. In der Folge findet im Gärraum in unter Druck stehenden Stahltanks bei 24.5°C während drei bis fünf Wochen die Vergärung von Milch- und Buttersäure statt. Innerhalb dieses Reifungsprozesses entsteht aus der weichen feuchten Masse ein festes, trockenes Material.
Nun wird dieser Rohziger zerrieben, mit Salz vermengt und zur weiteren Reifung für drei bis acht Monate in Silos eingelagert. Erst jetzt kommt mit dem Bockshornklee jene Zutat hinzu, welche dem Ziger die grüne Farbe sowie seinen einzigartigen Geschmack verleiht. Dieser «Zigerklee» wird übrigens sporadisch in Lachen im benachbarten Kanton Schwyz angebaut und bietet jeweils Vorrat für zwei bis drei Jahre. Dem besonderen Kraut wird nachgesagt, dass es viele heilende Wirkungen habe und zum Beispiel bei Impotemz, Haarausfall oder Bluthochdruck positiv wirke.
Am Ende des ganzen Produktionsablaufes wird der Ziger gepresst und in seine typische Form gebracht. 1’600 Zigerstöckli laufen pro Stunde über das Förderband, werden ebenfalls automatisch in Kunststoffbecher sowie anschliessend in grössere Transportkartons verpackt. Rund ein Drittel der Produktion wird ins Ausland exportiert. Neben Kunden in Deutschland und den Niederlanden gibt es auch Abnehmer in China, Japen, USA oder Kanada. Bei diesen Übersee-Stöckli wird dem Ziger noch mehr Wasser entzogen, wodurch die Haltbarkeit auf über 270 Tage erhöht wird.
Den Glarner Schabziger wandernd erkunden
Der Erfolg des Glarner Exportschlagers hat auch die Touristiker in der Region auf den Plan gerufen. Auf dem insgesamt zwölf Kilometer langen Schabziger-Höhenweg kann nämlich nicht nur die prächtige Landschaft mit Weitblick auf Walensee, Lindthebene und die abwechslungsreiche Bergkulisse bis hinein ins Klöntal und zum Tödi genossen werden. Auf insgesamt zehn Infotafeln entlang des Themen- und Erlebnisweges werden Geschichte, Produktion und Vermarktung des wohl berühmtesten Glarners ausführlich erklärt, und an einer der Stationen kann sogar eine mechanische Stöckli-Formungsmaschine aus dem Jahre 1910 bewundert werden.
Vom Startpunkt Habergschwänd oberhalb von Filzbach (Sesselbahn) führt die Höhenwanderung via Erlebniskäserei Nüenalp, über Mittlist Nüen zum Mullerenberg und von dort via Chummenwald zum Bergrestaurant Fronalpstock und dem nahen Naturfreundehaus. Die rund sieben Kilometer lange Strecke kann bei zügigem Tempo in knapp 2,5 Stunden begangen werden. Wer sich jedoch ausführlich informieren und unterwegs auch von den verschiedenen Verpflegungs- und Spielmöglichkeiten profitieren möchte, muss natürlich entsprechend mehr Zeit einplanen. Von der Fronalp kann man sich beispielsweise mit dem Taxi abholen lassen oder in etwas mehr als zwei Stunden den Bahnhof Glarus zu Fuss erreichen.
Alternativ können vom Parkplatz Mullern oberhalb von Mollis aus auch zwei Rundwege begangen werden. Der familienfreundliche Chummenwald-Rundgang dauert zirka eine Stunde, bietet unterwegs eine Feuerstelle zum Verweilen sowie drei Infotafeln des Schabziger-Höhenweges. Die längere Variante via Fronalpstockhaus dauert rund zwei Stunden und bietet neben Feuerstelle und fünf Infotafeln eine atemberaubende Aussicht.
Aus der Schabziger Küche
«Ziger-Höräli» für 4 Personen
350g Hörnli kochen. 4 dl Halbrahm zusammen mit 50g geriebenem Schabziger und 50g Reibkäse 3 Minuten köcheln. Mit Pfeffer, wenig Muskat und Tabasco abschmecken. Hörnli und Sauce vermischen und anrichten. Garnieren mit gedünsteten Zwiebelringen. Nach Belieben nachwürzen. Dazu passt Apfelmus oder Salat. Garniertipp: Apfelscheibe entkernt, roh oder kurz mit Butter und Zucker glasiert mitservieren.
«Schabziger Brütli» als Apéro oder als Zwischenmahlzeit
Zigerbutter (ca. 30-40g pro Person) zirka eine Stunde vor dem Gebrauch aus dem Kühlschrank nehmen (lässt sich warm leichter verarbeiten) und auf Brotscheiben oder Crackers streichen. Garnituren nach Wahl: Gehackte Zwiebeln, Schnittlauch, Eier, Trockenfleisch, Speck, geräucherter Fisch, Essiggurken, Baumnüsse, Fruchtstücke wie Ananas, Mandarine, Pfirsich, Kirschen oder Birne.
550 Jahre Schabziger
Geschichte und Rezepte
Nebst Stöckli und Zigerbutter ist Schabziger auch als Frischkäse aus Bergmilch unter dem Namen «Glarner Grüessli» erhältlich. Das reich bebilderte Buch feiert das Stöckli aus dem Zigerschlitz mit einer äusserst informativen Schabziger-Historie, schauerlichen Sagen sowie einer stimmungsvollen Hommage an die Alpwirtschaft und die Zigerherstellung.
Eine ganze Menge attraktiver Rezepte, in denen der würzige Schabziger für kulinarische Überraschungen sorgt, runden das Werk von Erika Lüscher und Beat Frei ab.
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