Das Wort hat Hans-Jürg Sommer
Seit einigen Jahren wird zunehmend von Erneuerung der schweizerischen Volksmusik gesprochen und geschrieben. Die Ausübenden fühlen sich eingeengt und suchen deshalb nach Veränderung. Man saugt alles auf, was herumschwirrt, erweitert das harmonische Gerüst, implementiert Rhythmen anderer Musikarten, verwendet andere (auch elektronische) Instrumente und merkt nicht, dass dabei der typische Dialekt, das eindeutig Erkennbare und die prägende Spielmanier verloren gehen.
Typisch schweizerisch?
Volksmusik ist – wie ein Dialekt auch – Teil einer Kultur. Einer Kultur, die oft auf kleinstem Raum das Zusammengehörigkeitsgefühl stärkt, Identität und Halt gibt und deshalb von Aussenstehenden als typisch erkannt wird. Wer den gebräuchlichen Dialekt nicht beherrscht, wird sofort als «Nicht Hiesiger» erkannt. Parallel dazu wird uns suggeriert, dass, wer nicht alles Neue mitmacht, zu den Ewiggestrigen zählt, und dass Neues per se besser sei als das Bisherige. Innovation nennt sich dieses neue Heilsversprechen. Das führt unter anderem zum Fehlschluss, alles in der Schweiz produzierte sei automatisch schweizerisch.
So wird aus der ursprünglich schweizerischen Volksmusik plötzlich sogenannte Weltmusik. Ein globales Gemisch, das – ausser vielleicht dem Einsatz typischer Instrumente wie Schwyzerörgeli oder Alp-horn – nicht mehr musikalisch eingeordnet werden kann. Wenn ich einen hochdeutschen Text verfasse und darin beispielsweise die (schweizerische) Bezeichnung Frankatur verwende, wird ein Deutscher sofort merken, dass der Text von einem Schweizer verfasst worden ist. Aber reicht dieses eine Wort aus, um den ganzen Text als typisch schweizerisch einzustufen? Ist die Musik wirklich schweizerisch, nur weil sie mit einem Alphorn gespielt wird?
Kunst – auch Volkskunst – besteht nicht darin, alles zwanghaft auf Biegen und Brechen anders zu machen, sondern im Gegenteil darin, Gegebenes, Hergebrachtes zu vervollkommnen, zu variieren und auszukosten. Das heisst, sich in einem gegebenen, oft engen Rahmen zu entfalten. Was in der Regel anstrengender und schwieriger ist, als etwas zu «entlehnen». Virtuosität allein kann auch nicht als typisch schweizerisch bezeichnet werden.
Ich bin weder Nationalist noch Rassist und ich weiss, dass Zeit einhergeht mit Veränderung. Trotzdem bedaure ich den unmerklichen, langsamen Verlust einer einzigartigen Kultur, welche ich als Teil meiner selbst verstehe.
Hans-Jürg Sommer
Alphornkomponist
23.05.2018
VON HANS-JÜRG SOMMER