Basler Fasnachtsbrauch
Wenn es im Frühling darum geht, den Winter zu vertreiben, werden da und dort Umzüge mit Lärmgeräten gemacht. Oftmals ist daraus ein klar strukturierter Brauch mit viel historischem Hintergrund geworden. So auch in Basel, wo das Trommeln und Pfeifen geradezu den Sound von Basel symbolisiert.
23.01.2018 | VON HANSPETER EGGENBERGER
An der Basler Fasnacht – und darüber hinaus auch während dem ganzen Jahr – gibt es zwei Musikszenarien, nämlich die Trommler und Pfeifer sowie die Guggenmusiken. Wenn auch im Trommeln und Pfeifen tiefe historische Verbindungen zu erkennen sind, so ist die eigentliche heutige Szene erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden. Die Kombination mit Trommeln und Pfeifen ergibt eine spezielle und einzigartige Musik. Deshalb sind Trommler und Pfeifer sehr oft gemeinsam anzutreffen und bilden die Hauptbestandteile einer Fasnachtsclique.
Basler Piccolo
Das Piccolo ist neben der Trommel das traditionellste Instrument an der Basler Fasnacht. Die «kleine Querflöte» wurde Ende des 18. Jahrhunderts erfunden, das Spiel darauf nennt man im fasnächtlichen Umfeld pfeifen. Der Ursprung des Pfeifens und auch des Trommelns liegt im Dunkeln. Sicher scheint jedoch, dass die Tradition militärischen Ursprungs ist. Noch heute gehören alte Militärmärsche wie beispielsweise Morgestreich, Appenzeller, die Alten Schweizermärsche, Römer, Dreier, Sambre et Meuse, Saggod oder Retraite zum Standardrepertoire der Trommler und Pfeifer. Die Stücke, welche meist dreistimmig gespielt werden, sind heute jedoch langsamer und harmonischer als Militärmärsche. Die meisten können von Pfeifern wie auch von Tambouren gemeinsam gespielt werden.
In Basel tauchen erste Zeugnisse von Pfeifern um 1850 auf. Bis zum zweiten Weltkrieg spielten sie in Basel nur eine untergeordnete Rolle. In den Nachkriegsjahren aber entwickelte sich die Szene rasant und als Folge anspruchsvollerer Kompositionen entstand der Bedarf nach besser gestimmten und in der tiefen Lage voller klingenden Instrumente. Mit dem 1950 aus dem St. Galler Rheintal nach Basel zugewanderten Instrumentenbauer Erwin Oesch senior fand sich denn auch ein Spezialist, der die Wünsche der Basler Pfeifer erfüllen konnte. Während Jahren wurde in seiner Werkstatt mit den führenden Pfeiferchefs und anderen Spitzenpfeifern gepröbelt und gesucht. Es entstanden damals die heute gebräuchlichen zwei Standardtypen, die man Basler Piccolo nennen kann: Das vor allem für die oberen Stimmen gedachte «Basler Dybli» und das weiter gebohrte «Spezial» für die tiefen Lagen. Bestanden die Korpusse bis Mitte der 1970er-Jahre hauptsächlich aus Grenadillholz, so wurde dieses seither auch mit Kunststoff ergänzt. Das Kopfstück blieb aber immer aus Messing, wobei es auch hier verschiedene Entwicklungen gab, die zur Verfeinerung des Klangs oder der Spielbarkeit führten.
Basler Trommel
Die älteste noch erhaltene Trommel nach Basler Bauart stammt aus dem Jahre 1571. Das schweizerische Brauchtum und kirchliche Feste wie beispielsweise die Fasnacht, das Zunftleben und öffentliche Anlässe mit Tanz, Spiel und Unterhaltung wurden meistens von Trommelklängen begleitet. In Basel ist das auch heute noch so. Trommeln kommen zum Einsatz, wenn ein Angehöriger oder eine Angehörige einer Fasnachtsgesellschaft heiratet, wenn hoher Besuch ansteht oder ein städtisches Fest gefeiert wird. Das Basler Trommeln hat seine Wurzeln im eidgenössischen Ordonanztrommeln, fand aber im Austausch mit französischen Militärtambouren und durch andere Einflüsse zu seiner eigenen, typisch baslerischen Art. In der Basler Umgangssprache wird die Trommel auch Kessel oder Kübel genannt, der Tambour heisst Ruesser und dem Trommeln sagen die Basler Ruesse. Die Basler Trommel ist seilgespannt. Es gibt die sogenannte Werktagstrommel, die aus Aluminium besteht und sehr leicht ist. Die Festtagstrommel hingegen besteht aus Holz, ist je nachdem individuell bemalt und kommt bei feierlichen und gesellschaftlich wichtigen Anlässen zum Einsatz. «Basler kommen mit Trommeln zur Welt»: Dieser Titel schmückte einst den Erzählband einer längst verstorbenen Basler Schriftstellerin. Das Buch erschien 1970 und die Behauptung, die im erwähnten Titel aufgestellt wird, hat an Wahrheitsgehalt bis heute nichts eingebüsst. Aktuell ist in Basel rund ein Drittel aller in der Schweiz registrierten Tambouren aktiv, das sind rund 2’500 an der Zahl. Zu hören und zu sehen sind sie allesamt an diversen Umzügen vom Morgenstreich über das Gässle bis zum grossen Cortège der Basler Fasnacht. Tausende von Schaulustigen säumen jeweils den Strassenrand, während an die 12’000 offizielle Fasnächtler nebst einer unbekannten Anzahl «Wilde» unterwegs sind. Nachts träumen diese Mädchen und Knaben, denen der Sound der Trommeln und Pfeifen noch im Schlaf nachklingt, von der eigenen glänzenden Trommel, und sie wünschen sich von den Eltern sehnlichst, endlich in die Trommel- oder Pfeiferschule einer Fasnachtsgesellschaft eintreten zu dürfen. Unterdessen ist die Trommel aber nicht nur Männersache. Immer mehr Mädchen und Frauen wollen die Trommel schlagen. Die Schulung bis zur Marschreife für die Teilnahme an der Basler Fasnacht dauert etwa drei Jahre.
Fasnachtsfamilie
Sabin und Jürg Omlin sind zwar in ihrem alltäglichen Leben beide Lehrer und Eltern von zwei kleinen Kindern, im Grunde genommen aber in erster Linie Fasnächtler. Sie stehen hier als ein Beispiel jener vielen Basler Familien, die vom Fasnachtsvirus befallen sind. Das Thema ist omnipäsent. Betritt man das heimelige Haus der Omlins, so fallen einem eine bunt gemalte Laterne und eine Maske an den Wänden auf. «Das ist bei allen Familien so, die ich in Basel kenne», lacht Sabin Omlin. Findet auch die eigentliche Fasnacht an den drei schönsten Tagen im Jahr statt, so gibt es das Leben mit der Clique durchs ganze Jahr. Sabin Omlin ist als Obfrau der Cliquen-Jugend – der Ableeger (7- bis 12-Jährige) und der Jungen Garde (12- bis 18-Jährige) – im Vorstand des Stammvereins der Breo-Clique für die Ausbildung des Nachwuchses zuständig. Die Breo-Clique ist die Zweitälteste in Basel und einer der insgesamt 36 dem Komitée unterstellten Stammvereine. In ihrer Clique sind momentan etwa 70 Kinder und 200 Erwachsene aktiv. Sie sorgen alle für ein reges Vereinsleben, zu welchem eben nicht nur die Fasnacht an sich gehört. Allwöchentlich trifft man sich im Schulhaus zur Probe. Es gibt Ausflüge, Sommerlager und zusätzliche Einsätze für den Verein bei Stadtfesten oder Ständeli. Mit wenigen Ausnahmen waren die Mädchen bis in die 1950er-Jahre nur bei den Pfeifern dabei. Das Trommeln war Männersache. Wie bei vielen anderen Vereinen hat sich das auch bei den Fasnachtscliquen verändert und die Mädchen machen heute etwa die Hälfte aus. Da das Marschieren an der Fasnacht eine nicht zu unterschätzende Konditionsfrage ist, können Kinder erst ab dem siebten Altersjahr aktiv mitmachen. Wie viele kleinere Kinder aber in Begleitung ihrer Eltern bereits erste Fasnachtserfahrungen sammeln, ist nicht bekannt.
Die Clique stellt Leihinstrumente zur Verfügung und sorgt für die Grundausbildung. Die Gruppe der Kleinen, die Ableeger, verfügen über ein Repertoire von vier Titeln, die junge Garde spielt dann schon zwölf Märsche und die alte Garde kann jederzeit mit allen 35 Märschen auftreten. Es gibt Märsche wie der Arabi oder Morgestraich, die alle spielen können, und es gibt auch spezielle Kompositionen, die jeweils nur innerhalb der Clique gespielt werden. Wenngleich jede Woche geübt wird, ist für die Fasnächtler der gesellschaftliche Aspekt noch wichtiger. So natürlich auch bei Omlins, die sich in der Organisation engagieren. «Wir pflegen sehr enge und langjährige Freundschaften, die sich durch die Fasnacht ergeben haben», erklärt Sabin Omlin. Und dass die Omlins an der Fasnacht im Kostüm geheiratet haben, ist jetzt doch schon fast logisch.
Allerlei Instrumente
Die Basler Fasnacht kennt aber nicht nur den weltweit bekannten Sound der Trommler und Pfeifer. Auch die Guggenpmusiken haben hier eine Wiege. In früheren Darstellungen findet man allerlei Instrumente wie etwa Laute, Posaune, Fagott, Horn, Trompete, Violine und Pauke. Der Kulturwissenschaftler Dominik Wunderlin hat 1985 einen umfangreichen Bericht zum Thema verfasst. Darin erfährt man unter anderem Details über Gruppen, die gemäss einem Karneval-Bericht von 1852 den Morgenstreich «zusammentrommelten, pfiffen, trompeteten und schrien». Zudem ist die Rede von einer Janitscharen-Musik, gekleidet in Schlafrock und Zipfelkappe mit Trompeten und Pauken, und von Schnurrantens mit Piccolo und Bombardon, Kornet und Pauke usw. Um 1870 lesen wir in den Fasnachtsberichten wiederholt vom nachmittäglichen Mitwirken einer «humoristischen Zukunftsmusik, die mit ihren Produktionen die Aufmerksamkeit auf sich zog».
Während man weiterhin nichts gegen eine Beteiligung von Blasmusiken am Nachmittag einzuwenden hatte, so wollte man solche Musiken am Morgenstreich anscheinend nicht mehr dulden: «Mehrere gute, echte Basler haben uns aufgefordert, gegen die Verwendung von Blasinstrumenten am Morgenstreich zu protestieren, der Morgenstreich sei einzig und allein nur fürs Ruessen und nicht für’s Blasen!» Solche Proteste haben allerdings keinen Niederschlag gefunden, und so findet man 1884, dass das Auftreten einer Blasmusik am Morgenstreich polizeilich gestattet wurde. In der Folge lesen wir in der Presse regelmässig von Musikbanden (durchaus nicht abwertend zu verstehen, sondern als Gegensatz zu den grossen Musikgesellschaften) und von improvisierten Musiken, die am Morgenstreich teilnahmen. Blasmusik an der Fasnacht entwickelte sich weiter und 1906 liest man in Basel im Verzeichnis der Fasnachtszüge erstmals den Begriff Guggenmusik. Waren es in den ersten Nachkriegsjahren noch sieben offiziell gemeldete Guggenmusiken, so zählte man 2017 immerhin deren 67! Die Stadt am Rheinknie gilt als Ursprungsort der Guggenmusik-Bewegung, die inzwischen Landes- und Sprachgrenzen überschritten hat.
Trotz dieser grossen Guggenszene gibt und gab es natürlich immer Befürworter und Ablehnende. In Basel aber hat man sich arrangiert. Bereits 1962 haben die Guggenmusiken den Morgenstreich den Trommler und Pfeifern überlassen und auch sonst ist genügend Platz für beide typischen Musikwelten. Sie alle tragen dazu bei, dass die Basler Fasnacht zum anerkannten Brauchtum gehört, weshalb sie im Dezember 2017 in die UNESCO-Liste des Immateriellen Weltkulturerbes aufgenommen wurde.