Seit 65 Jahren schwungvoll unterwegs
Wer glaubt, dass Frauenjodelchöre eine Erfindung neuerer Zeit ist, ist auf dem Holzweg. Im Zürcher Unterland besteht seit 65 Jahren das Frauen-Jodelchörli Embrach. Und wer glaubt, dass es das Chörli, jetzt im Pensionsalter angelangt, etwas ruhiger nimmt, täuscht sich nochmals. Die musikalische Neuorientierung vor drei Jahren brachte neuen Schwung in die Reihen.
23.11.2016 | VON HANSPETER EGGENBERGER
In der Vereinschronik ist zu lesen: «Am 13. Juli 1951 trafen sich sechs sangesfreudige Frauen in der Stube der Familie Ganz-Schuler. Ziel und Zweck waren allwöchentliche Proben unter der Leitung von Herrn Ganz. Gründerinnen waren Frau Marie Brand, Frau Ganz-Schuler, Frau Schuler, Frau Haller, Frau Brändli, Frau Erna Kägi. Schon bald hat sich das kleine Grüppli vergrössert und so hielten sie am 24. Juli 1952 die erste Probe im neuen Gemeindehaus, Station Embrach. Am 22. September 1952 gab es eine ausserordentliche Versammlung. Bestimmung des Vorstandes und Statuten. Sie einigten sich auf den Namen Frauen-Quartett Heimatklang Embrach.» Zwei Sachen fallen auf: Zum einen die Höflichkeit, jedes Mitglied mit «Frau» zu benennen, die ein Hinweis auf den damaligen Geist im neuen Frauenchor ist. Zum anderen die Bezeichnung Doppel-Quartett, die den Zulauf zur jungen Gruppe etwas relativiert. Der Chor wuchs dann aber bis zu einer Grösse von etwa 25 Frauen an und wirkte an Festivitäten über das Zürcher Unterland hinaus mit. Das notabene in einer Zeit, in der das Jodeln in Frauengruppen noch nicht so populär war. «Das würde ich auch heute noch sagen», erklärt die aktuelle Dirigentin Gabriela Mathieu, «auch wenn in der Zwischenzeit da und dort Frauenjodelklubs entstanden sind.
Neuausrichtung
Die Wahl von Gabriela Mathieu im Jahr 2013 führte zu einer allgemeinen Neuorientierung. Zwar hatte sie bis anhin noch keinen Chor geleitet. Als Dirigentin jedoch hatte sie bereits reiche Erfahrung. In ihrem Palmares stehen die Dirigentenkurse im Blasmusikverband, etliche Jahre dirigieren einer Blasmusik im Wallis sowie 22 Jahre lang die Leitung des Mundharmonika-Orchesters Zürich. Bei Vreni Rubi in Winterthur besuchte sie den Gesangs- und Jodelunterricht. Die von ihr regelmässig durchgeführten Singwochenenden gaben auch Gabriela die Möglichkeit, Gleichgesinnte zu treffen und so war der Schritt zur Dirigentin des Frauenjodelchörlis Embrach nicht mehr gross. Mittlerweile hatte sich die Tatsache, dass auch Jodelchöre zumindest eine grundsätzliche Stimmbildung benötigen, durchgesetzt. Da in den Aus- und Weiterbildungskursen vornehmlich Frauen anzutreffen sind, liegt es auf der Hand, dass Frauen dafür mehr sensibilisiert sind. «Es war eine meiner Bedingungen», erklärt Gabriela Mathieu, «die neuen Erkenntnisse im Singfach auch im Embracher Chor anwenden zu können». Diesen Anforderungen konnten oder wollten sich nicht mehr alle Mitglieder stellen, was zu einer Gesundschrumpfung des Chores führte.
Heute aber singen die Frauen in relativ kleiner Besetzung mit grosser Begeisterung. Die Integration des Musikers Luciano Stampa eröffnet zudem zusätzliche musikalische Möglichkeiten, die in der Frauenjodelchorszene als einzigartig gelten. Mit dem Kontrabass kann er jene tiefen Töne liefern, die einem Frauenchor fehlen. Das ist zwar nicht gleich, wie wenn eine Männerstimme eingesetzt wird. Das Singen zu einem Instrument, das nicht einfach eine harmonische Begleitung, sondern eine ergänzende Stimme spielt, stellt hohe Anforderungen auch an die Sängerinnen. Zum neuen Klangbild hat natürlich auch die Wahl des Repertoires beigetragen. Beliebt sind beispielsweise Werke von Peter Künzi oder Emil Wallimann, die neue Jodellieder im Frauenchorsatz komponieren und arrangieren. Während andere Frauenjodelchöre oftmals den Männerchorsatz verwenden, den sie dann jeweils in einer etwas höheren Tonlage singen, hat das Frauenjodelchörli Embrach schon immer den reinen Frauenchorsatz gesungen. Da solche Jodellieder im Gegensatz zum Männerchorsatz rar waren, präsentierte sich das Repertoire etwas einseitig. Ganz anders sieht das bei Duett- oder Terzettliedern aus. Nicht zuletzt deshalb haben sich auch im Embracher Chor zwei Terzette gebildet, die dann eben das Repertoire der traditionellen Komponisten vortragen können. Weil Luciano Stampa nicht bei allen Liedern mitspielt oder an Stelle des Kontrabasses auch mal das Akkordeon einsetzt, kann der Chor mit verschiedenen Klangvarianten zusätzliche Abwechslung in ihre Auftritte bringen. Mit Liedern aus anderen Sparten oder auch mal mit einem Kanon behält die Dirigentin das Interesse der Frauen zusätzlich wach und der Chor bekommt eine weitere Auftrittsvariante.
Bunte optische Erscheinung
Zur angesprochenen Neuausrichtung gehört aber auch eine Erweiterung im Erscheinungsbild. Jahrzehntelang trat der Chor einheitlich in der Zürcher Unterländer Werktagstracht auf. Die Vielfalt der Trachten ist bei den Frauen jedoch viel ausgeprägter, was die Embracher Frauen als Chance für ihr optisches Erscheinungsbild erkannten. Oftmals hatten sie schon privat eine eigene Tracht, die sich je nach Herkunft stark unterscheidet. An Auftritten in diesen unterschiedlichen Trachten entsteht heute nicht nur ein fröhliches Farbenspiel. Beim interessierten Publikum – beispielsweise bei Auftritten in Altersheimen – ergeben sich so zusätzliche Gelegenheiten zur Kommunikation. Mit dem Vermitteln ihres Wissens über dieses Kulturgut zeigen die Jodlerinnen ihr waches Interesse an den Wurzeln unserer Folklore, zu welchen sie sich trotz neuzeitlichem Singen bekennen. Nach wie vor sieht man das Frauenjodelchörli aber auch in einheitlicher Tracht. Dann nämlich, wenn es an einem der vielen Anlässe in Jodelkreisen auftritt. In der Zürcher Unterländer Jodlervereinigung machen die Frauen aktiv mit und an Festen des Eidgenössischen oder Nordostschweizerischen Jodlerverbandes waren sie seit 1954 lückenlos dabei.
Struktur und Vereinsleben
Im Vergleich zu Jodelvereinen im Mittelland oder in städtischen Gebieten kann das Frauenjodelchörli Embrach auf einen relativ jungen Mitgliederbestand stolz sein. Die Frauen treffen sich an einem der schon erwähnten Singwochenenden, melden nach Konzerten oder nach der Konsultation der Website ihr Interesse an. Wer sich eignet und die dafür nötige Zeit zur Verfügung stellen kann, – der Chor bewältigt neben den wöchentlichen Proben zwischen 15 und 20 Auftritte im Jahr – ist herzlich willkommen. «Gerne möchten wir noch einige weitere Sängerinnen in die verschiedenen Stimmen aufnehmen», bestätigt die Dirigentin, die so das Klangbild gerne etwas auffüllen würde.
Sieht man das hohe Pensum mit jährlich etwa 60 Einsätzen an, so erscheint es als logisch, dass der Verein nicht viele zusätzliche interne Anlässe durchführen kann. Neben dem gemütlichen Beisammensein nach der Probe gehört aber das Weihnachtsessen und dergleichen natürlich auch zum Vereinsleben. Die Frauen schätzen es sehr, dass sie von ihren Lebenspartnern gut unterstützt werden, wozu auch die nötige Rückendeckung gehört, die sie bei den vielen Absenzen zuhause benötigen.
Mit der Umstrukturierung ist es dem Chor gelungen, die gute alte Zeit mit der heutigen zu verbinden. Besonders beim nicht jodelkundigen Publikum kommt die Frauentruppe sehr gut an. Sie erlebe es oft, erklärt die Dirigentin, dass die Zuhörenden positiv überrascht seien. Vorurteile, die man halt da und dort gegenüber Trachten tragenden und singenden Frauen noch spürt, werden jeweils schnell zu einer wachsenden Begeisterung. Und so können auch allfällige Animositäten, die in ganz traditionellen Jodelkreisen gegenüber Frauengruppen immer noch vorhanden sind, zum Verschwinden gebracht werden.
Eigene Tonträger hat der Chor bisher nicht, obwohl Bassist Luciano Stampa selber ein eigenes Tonstudio betreibt. Das hat aber mehr mit der Tatsache zu tun, dass dem Chor das Erlebnis am Live-Auftritt wesentlich wichtiger ist. «Ausserdem lebt ein Live-Vortrag viel mehr, als die zu Tode geübten Lieder aus dem Tonstudio», ist Gabriela Mathieu überzeugt. Eindrückliche Beispiele dafür stehen ebenfalls auf der Website zur Verfügung. Das stete Wachstum der Schweizer Frauenjodelchor-Szene, das Erweitern des Repertoires auch in andere Sparten und das musikalische Schaffen einschlägiger Komponisten zeigen auf, dass Frauenjodelchöre auch in Zukunft ein Wort in der Geschichte des helvetischen Jodelns mitreden. So, wie es der Frauenjodelchörli Embrach seit 65 Jahren schon macht!
Eine kleine Vereinschronik
1953: Am 31. Oktober findet die erste GV statt. Man beschliesst, dem Nordost–
schweizerischen Jodlerverband (NOSJV) beizutreten.
1954: Erste Teilnahme an einem NOSJV Jodlerfest. Tenü weisse Bluse, schwarzer Jupe und schwarze Schuhe!
1955: Erste Teilnahme an einem Eidgenössischen Jodlerfest in Fribourg.
1956: Erste Gesangsprobe mit dem neuen Dirigenten Kurt Süss.
1957: Zur ersten Abendunterhaltung im Gemeindehaussaal Freienstein haben sich die Frauen die ersten Zürcherunterländer Werktagstrachten genäht.
1959: An der GV vom 14. März wird beschlossen, den Beinamen «Heimatklang» wegzulassen und als Frauendoppelquartett Embrach aufzutreten.
1960: Erstes Ausland-Engagement in Pfullingen im Neckartal.
1962: Unter strenger Kritik singt das Chörli im Radiostudio Zürich sechs Lieder. Zwei davon werden aufgenommen.
1965: Am 18. April dürfen die Embracher Jodelfrauen in der Live-Sendung «Für Stadt und Land» mit drei Liedern vor die Kamera treten.
1966: Am 19. Februar wird die erste Abendunterhaltung im neuen Gemeindehaussaal in Embrach durchgeführt.
1972: Teilnahme mit zwei Liedern an der Direktübertragung «Kafi-Chränzli» von Radio Zürich in Embrach.
1976: 25-jähriges Bestehen des Frauen-Jodeldoppelquartetts. Höhepunkt ist ein zum Anlass stattfindendes Jodelkonzert im Gemeindesaal mit der Jodelvereinigung Zürcher Unterland (damals 9 Jodlerklubs) und der Alphorn- und Fahnenschwinger-Vereinigung.
1979: Die 25-jährige Mitgliedschaft im NOSJV wird gefeiert.
1980: Auftritt im Radiostudio Zürich für eine volkstümliche Sendung.
1981: Jodlerfest in Burgdorf mit Fernsehaufnahme des Wettliedes.
2001: Mit einem grossen Fest wird das 50-Jahr-Jubiläum gefeiert.
2007: Die Frauen nähen ihre neuen Trachtenschürzen.
2011: Auch der 60. Geburtstag ist Anlass zu einem Fest in Embrach.
2014: Als erstes männliches Mitglied wird Luciano Stampa als Begleitung am Kontrabass aufgenommen.