Viel mehr als nur Beilage zur Berner Platte
Sauerkraut ist eines der ältesten Gemüse, das auch in moderner Verarbeitung als Fit-, Schlank- und Gesundmacher gilt. Im vergangenen Jahrzehnt hat sich das Armeleute-Wintergemüse zu einem trendigen Lebensmittel entwickelt, das in nicht nur traditionell orientierten Kreisen immer beliebter wird.
25.09.2017 | VON HANSPETER EGGENBERGER
Die Haltbarmachung von Lebensmitteln durch Milchsäure-Vergärung ist eine der ältesten Konservierungsmethoden. Bereits im ersten Jahrhundert vor Christus berichtete der römische Schriftsteller Plinius der Ältere vom Einsalzen des Kohls in Tonkrügen. Der griechische Arzt Hippokrates nannte Sauerkraut ein «gesundes Wonnekraut». Die Seefahrer in der Entdeckerzeit wussten, dass Weisskraut lange haltbar gemacht werden kann und schätzten es als haltbaren Proviant, der zusätzlich vor der Vitamin-Mangelkrankheit Skorbut schützte. So sagt man, dass es Kolumbus ohne Sauerkraut nicht bis nach Amerika geschafft hätte. Wilhelm Busch verlieh 1865 in seinem Werk «Max und Moritz» dem Sauerkraut literarische Unvergänglichkeit: Die Witwe Bolte ging in den Keller, «dass sie von dem Sauerkohle eine Portion sich hole …» und «…wovon sie besonders schwärmt, wenn es wieder aufgewärmt.» Interessant ist, dass das Sauerkraut auf der ganzen Welt als typisch betrachtet wird. So natürlich auch bei uns in der Schweiz, wo wir Surchabis als typische Beilage zur Bernerplatte kennen. Diese Aussage ist aber längstens überholt. Es gibt eine Vielzahl an Menüs, etwa Rindshuftwürfel auf Champagner-Sauerkraut, Wurst- und Sauerkraut-Sandwich, überbackene Sauerkrautknöpfli, Sauerkrautsuppe, Orangen-Rahm-Sauerkraut mit Würstchen, Lasagne mit Sauerkraut, Raclette mit Sauerkraut, Sauerkraut-Kartoffel-Auflauf, gebratener Zander auf Rahmsauerkraut, und noch viele mehr! Entsprechende Rezepte finden sich zu Hauf auf den Internetseiten und in Kochbüchern.
Chabisland Gürbetal
Neben den Anbauflächen im Berner See- und Mittelland sowie in der Ostschweiz ist das bernische Gürbetal immer noch das Hauptanbaugebiet für Weisskabis in der Schweiz. Es ist deshalb seit langer Zeit als Chabisland bekannt. Es ist schon ein spezieller Anblick, wenn im Herbst die blau-violetten Kabisfelder das Landschaftsbild dominieren. Das Flüsslein Gürbe sammelt sich am Nordhang des Gantrisch, bevor es sich nördlich der Ortschaft Blumenstein nach Norden wendet und durch das parallel zum Aaretal verlaufende Gürbetal fliesst. Im Westen wird es vom Längenberg und im Osten vom Belpberg flankiert. In dieser Gegend regnet es häufiger als an manchen anderen Orten, was der durstigen Kohlpflanze eine wichtige Grundlage bietet. Früher wurden die Kabisköpfe auf den Berner Märkten angeboten. Man findet den ältesten Hinweis bei Jeremias Gotthelf in seinen Kalendergeschichten von 1844: «Und die Kabinettsköpfe wachsen wie die Kabisköpfe im Thurnenmoos!» Ende des 19. Jahrhunderts begann man dort, die Kabisköpfe einzuschneiden und in Standen zu pressen. 1917 wurde die Produktion so gross, dass sich die Gürbetaler Kabisbauern genossenschaftlich organisierten. Die Sauerkrautfabrik in Mühlethurnen vermarktete das Sauerkraut in grossen Mengen und machte den Namen «Thurnen Sauerkraut» zu einem Qualitätsnamen, der auch heute noch neben einigen anderen ebenso erfolgreichen Produkten besteht.
Der Weg zum fertigen Produkt
Im Mai werden die Früh- und Spätsorten gesetzt, die dann ab August bis Dezember reife Kabisköpfe zum Ernten liefern. Der Kabis ist eine Kohlart, die zu von vier bis zu sieben Kilogramm schweren Köpfen heranwächst. Wie eh und je wird natürlich auch heute noch Kabis von Hand gehobelt und zum privaten Nutzen in Standen eingestampft. Die meisten Kabisköpfe aber finden den Weg in die Sauerkrautfabrik, wohin sie von den Bauern hoch aufgetürmt mit Traktor und Wagen gefahren werden. Nach dem Entfernen der letzten grünen Blätter wird dort der Strunk ausgebohrt. Die Kabisköpfe werden maschinell in Streifen geschnitten und mit Kochsalz beigemengt in grosse Gärbottiche
verteilt, eingestampft und dann unter Luftabschluss gepresst. Nach einigen Tagen setzt die Milchsäuregährung ein und bereits nach wenigen Wochen ist das Sauerkraut fertig. Roh, pasteurisiert oder gekocht wird es dann in den Verkauf gegeben.
Superfood
Das Wissen um die vorbeugenden und heilenden Wirkungen von Sauerkraut ist altbekannt. So verordnete bereits Sebastian Kneipp frisches Sauerkraut bei Wunden und Entzündungen, und Kräuterpfarrer Künzle verschrieb es bei hartnäckiger Verstopfung. Der vorher schon einmal zitierte Wilhelm Busch reimte: «Nur der ist klug und weise, der auf Gesundheit schaut. Denk an die gesunde Speise, iss täglich Sauerkraut!» Unsere Grossmütter wussten zudem, dass Sauerkrautsaft nicht nur als Fleckenmittel taugt, sondern dass damit auch der Brotteig besser aufgeht. Neuere Untersuchen belegen, dass Sauerkraut die intakte Darmflora fördert, vorbeugend gegen Magengeschwüre und Krebs wirkt sowie den Blutdruck und den Cholesterinspiegel senkt. Da es die Substanz Acetylcholin enthält, funktioniert es zudem als natürliches Antidepressivum und schliesslich ist es dank den vielen Ballaststoffen und seiner abführenden Wirkung sogar ein Schlankmacher. Alle diese Erkenntnisse passen gut in das Bild von heutigem Superfood, das schnell zubereitet werden kann und zu allem noch ein preiswertes einheimisches Schweizer Produkt ist.
26. Chassis-Hoblete am 27. Oktober 2017
Chabis ist im Chabisland natürlich populär und allgegenwärtig. Rund um den Chabis hat sich eine Tradition gebildet. Das eigene Standeli mit Sauerkraut – so nennt man im Bernbiet ein Steingut-Gefäss – im Keller bringt nicht nur Nahrung im Winter, sondern erinnert auch an die eigene Kindheit, als das Standeli dort auch schon stand! Ist die Herstellung von grossen Mengen längstens Sache der Chabsifabriken, so gibt es auch noch die Privatkultur. Seit 26 Jahren hat die Bauern-familie Wälchli in Toffen daraus ein Volksfest gemacht, das alljährlich auf grosses Interesse stösst.
Sonja-Ruth Wälchli hat die Organisation fest in der Hand und erklärt: «Was man hier sieht, ist uralte Tradition, die seit Generationen gepflegt wird». Was sieht man denn? In erster Linie Menschenschlangen. Zunächst jene vor einem Anhänger voller Weisskohlköpfe. Das Anstehen macht den Leuten keine Mühe. «Tschou Housi», «Eh Lotti, wie geits?», «Sit ihr ou wieder da» und viel Lachen lockert das Warten auf. In der Luft liegt der typische süssliche Geruch von geschnittenem Kohl. Die Leute nehmen ein Paar Chabisköpfe und legen sie auf die Waage. Abgerechnet wird pro Kilogramm. Dann trifft man sich vor der überdimensionierten Bohrmaschine, die den Strunk – im Gürbetal sagt man Storzen – ausbohrt. Die nächste Maschine hobelt den Chabis in feine Streifen, die darunter in einem Waschzuber gesammelt werden. Damit geht man zum Gewürzstand, wo man einen Plastikbecher mit Salz, Wacholder und Gewürzen fasst. Schliesslich folgt das Einstunggen. In 10-Liter- oder 50-Liter-Steingutgfässe werden die Chabisstreifen geschichtet und gewürzt. Mit den Fäusten wird die Masse so lange tracktiert, bis der Saft die Masse wässerig macht. Dann folgt die nächste Schicht, die genau gleich behandelt wird. Ist das Standeli voll, kommt der Deckel drauf und das Standeli wird für die nächsten drei Wochen in Ruhe gelassen. Durch die Gährung entsteht darin in dieser Zeit das fertige Sauerkraut. Nun beginnt der gemütliche Teil, der ebenso fest zur Chabishoblete gehört: Das gemütliche Beisammensein im Festzelt bei einer Bärnerplatte und einem Gläslein Weissen. Die Ländlerkapelle macht Stimmung und lockt zum Tanz und so vergehen oftmals viele Stunden, bis der Heimweg angetreten wird.
Imposante Zahlen
Über 6’000 kg Kabis und an die 1’000 kg Rüben werden an der Cha-bishoblete verarbeitet. An die 130 Helferinnen und Helfer sorgen für einen reibungslosen Ablauf, beginnend beim Einweisen in den Parkplatz, weiter bei den Chabisposten bis zum Service im Festzelt. Für die Kinder gibt es Glücksfischen, für die Grossen den Treffpunkt an der Chabis-Bar. Um 7.30 Uhr ist offizielle Eröffnung des Fests, ab 10.30 Uhr gibt es Bärner Platte und ab 14.30 Uhr volkstümliche Unterhaltung.