Goldene Aussichten mit dem GoldenPass
Die Schweiz hat eine Vielzahl schöner Ecken, deren Besuch sich lohnt. Geradezu paradiesisch schön und ein Erlebnis sondergleichen war der Ausflug des Land&Musig-Redaktors auf der GoldenPass-Linie von Zweisimmen via Gstaad nach Montreux und zur Krönung noch auf den Rochers-de-Naye.
23.09.2016 | VON HANSPETER EGGENBERGER
Berglandschaften, Simmentaler Bauernhäuser, berühmte Feriendestinationen, verträumte Bergdörfer, Reise über den Röstigraben und atemberaubende Aussichten in der südlich wirkenden Stimmung am oberen Genfersee, sind jene Schlagwörter, die mir beim Zurückdenken an den kürzlichen Ausflug mit der Montreux-Oberland Bahn (MOB) einfallen. Weil die Rückreise nicht über die gleiche Strecke erfolgt, benutze ich von Anfang an den Zug. Das gibt mir Gelegenheit, ohne Verkehrsstress zu reisen und so ganz langsam von unserer hektischen, urbanen Welt in die Bergwelt des Simmentals einzutauchen und dann gefühlsmässig gut gerüstet, in Zweisimmen den GoldenPass Classic zu besteigen.
Technische Zeitreise
In Spiez verlasse ich das Netz der SBB und steige in jenen Zug ein, der auf der GoldenPass-Line von Luzern nach Montreux fährt. Es war einer der Träume der Erbauer dieser Linie, dereinst die Touristen von Montreux ohne Umsteigen nach Luzern fahren zu können. Knacknüsse waren und sind bis heute die Spurbreite und die Tatsache, dass über den Brünig mit Zahnradantrieb gefahren wird. Die Montreux-Oberland Bahn ist eine
Schmalspurbahn, damit man die engeren Kurven in den Bergtälern befahren kann. Im unteren Simmental fahren die Züge jedoch auf Normalspur. Man hatte die Idee, ein drittes Gleis bis nach Interlaken zu verlegen, was letztlich wiederum verworfen wurde. Fast 120 Jahre nach Baubeginn der Strecke konnte jetzt eine spektakuläre Anlage in Zweisimmen gebaut werden, auf welcher die Züge umgespurt werden. «Es geht dabei nicht nur um die Spurbreite», erklärt mir mein Reiseführer Niklaus Mani, der in der Marketingabteilung des Unternehmens wirkt. «Man muss die Wagenkasten anheben, um den Einstieg auf den höher liegenden Perrons zu ermöglichen!» Das sind Pionierarbeiten, welche noch heute in den Werkstätten der MOB geleistet werden und einen Laien wie mich, in einer Zeit, in welcher wir auf andere Planeten fliegen, gedanklich um gut 150 Jahre zurückversetzen, als die Eisenbahn das modernste Verkehrsmittel war. Aber nicht nur diese technischen Geschichten, sondern ganz besonders auch das stilvolle Ambiente im Classic-Zug, tragen zum historischen Erlebnis bei. Man reist sehr bequem – um nicht feudal zu sagen – in Polstersesseln, aus denen ich vorerst die herrliche Bergwelt im Saanenland in mich aufsauge. Niklaus Mani klärt mich darüber auf, dass es sich bei diesem Wagen um einen detailgetreuen Nachbau handelt. Längst hat «GoldenPass Services» den historischen Wert ihrer Anlage erkannt und diesen geschickt in die moderne Zeit transferiert. Und deshalb begegnen sich auf dieser Linie Züge im alten Stil und modernste Triebwagen.
Montreux als Startort
Sitz der Bahngesellschaft ist seit jeher Montreux. In der Zeit des erwachenden Tourismus in der Schweiz war die Stadt am Genfersee weltbekannt als Feriendestination, in welcher sich die Schönen und Reichen aus aller Welt trafen. Noch sprach niemand von Gstaad, das damals lediglich ein kleines Bergdorf war und in der Rangordnung deutlich hinter Saanen lag. Die MOB-Gründer wussten jedoch, dass ihrer Klientelle die Bergwelt nordöstlich von Montreux gefallen würde. Und sie behielten Recht! Besonders die Lieblichkeit des Saanenlandes mit ihren Chalets und den landschaftlichen Kontrasten zwischen den hohen Bergen begeisterten die Gäste. Sie bauten dort ihre eigenen Ferienhäuser und brachten Wohlstand ins Berggebiet. Da es in Saanen zu wenig Landressourcen gab, wurde das nebenan liegende Gstaad gewählt, das sich dann zügig zum mondänen Ort im Berner Oberland entwickelte. Clevere Tourismus-Strategen sorgten sogar dafür, dass die Bahnlinie auf dem Weg ins Simmental nicht gradlinig von Rougemont auf die Hochebene von Schönried und Saanenmöser, sondern in einer Zusatzschlaufe über Saanen und Gstaad geführt wurde. Die attraktive Linienführung bringt die Zuggäste noch heute zum Schwärmen, besonders dann, wenn in weiten Schlaufen den sanften Berghängen entlang gefahren wird, vor welchen sich traumhafte Panoramen öffnen. Da ich meine Reise quasi gegen die Entstehungsgeschichte vom Oberland Richtung Montreux mache, kann ich jeweils von oben in die neuen Landschaften und Kulturen eintauchen. Im Tunnel kurz nach dem Flugplatz Saanen überfahren wir die Kantonsgrenze Bern-Waadt und damit auch den Röstigraben. «Im nachbarschaftlichen Leben spüren wir diesen aber nicht», sagt der in Schönried aufgewachsene Niklaus Mani. Im Pays d’Enhaut erreichen wird, weitere bekannte Orte wie Rougemont oder Château-d’Oex und fahren in einer Schlaufe bei Rossinière am Lac du Vernex, einer der sieben Staustufen am Flusslauf der Saane – hier heisst sie Sarine – vorbei. Gleich anschliessend überqueren wir wiederum eine Kantonsgrenze, jetzt jene zum Kanton Freiburg. Nach einer kurzen Schlaufe in nördlicher Richtung wendet sich die Strecke bei Montbovon definitiv dem Süden zu. In weiteren Schlaufen und Tunneln windet sich der Zug bergab seinem Zielort Montreux zu. Nicht aber ohne nochmals eine überraschende Aussicht zu bieten, nämlich jene auf den Genfersee und seine Riviera. Auf der andere Talseite und mit Blick zurück erkennen wir jetzt auch schon unsere nächste Teilstrecke mit der Zahnradbahn auf den Rochers-de-Naye. Die etwas mehr als zwei Stunden dauernde Fahrt, die mir dank der optischen Reize der Landschaft und interessanten Ausführungen meines Reisebegleiters – und vielleicht auch dank dem Zvieriplättli mit dem feinen Schluck Weisswein – viel kürzer erscheint, endet in einer völlig anderen Umgebung am Genfersee.
Bergerlebnis aus dem Zug
Im lebhaften Treiben auf dem Bahnhof Montreux, in welchem sich drei Bahnen begegnen (MOB, SBB, Bergbahn Rochers-de-Naye), steigen wir um, um schon bald fahrend und auf direktem Weg die steilen Südflanken oberhalb des Genfersees zu erklimmen. Zunächst befahren wir den Abschnitt nach Glion, der 1909 eröffnet wurde. Von dort bestand schon seit 1892 die Zahnradbahn auf den 2’042 Meter hohen Rochers-de-Naye, dem Balkon der Riviera. Im Gegensatz zur MOB, die seit Anbeginn elektrifiziert war, wurden hier die Züge in den ersten Jahren von Dampflokomotiven gezogen. Die Feriengäste weilten damals im nahe dem Schloss Chillon liegenden Territet, von wo eine Standseilbahn (Funi) nach Glion führte. Schnell gewinnen wir auf der knapp eine Stunde dauernden Fahrt an Höhe und geniessen an einem der schönsten und wärmsten Sommertage des Jahres die Aussicht auf den mächtigen Genfersee und die französischen Alpen am diesseitigen Ufer. Oben beim Gipfelhotel angekommen, kann man den Eiger ebenso erkennen wie den Mont Blanc.
Der Rochers-de-Naye bietet eine Vielzahl an Freizeitaktivitäten. Der Alpengarten und das Murmeltierparadies sind einzigartig. Die beinahe 1’000 verschiedenen Blumen und Alpenpflanzen lassen einem in eine Welt der Farbenpracht und Aromavielfalt eintauchen. Die neugierigen und liebenswerten Alpenmurmeltiere bewohnen sechs Murmeltierparks auf dem Gipfel. Eine ganzjährige Ausstellung, ein Film und verschiedene Spiele im didaktischen Zentrum ermöglichen dem Besucher, interaktiv und spielerisch mehr von 14 verschiedenen Murmeltierarten zu erfahren. Kameras und kleine Fenster geben den Blick ins Innere der Murmeltierbauten frei. Ein etwa 200 Meter langer Armee-Stollen führt durch den Fels unterhalb des Gipfels und mündet direkt ins Felsenrestaurant «Plein Roc», von wo man auch die Freiluftterrasse hoch über dem Genfersee betreten kann. Noch ist es heller Tag, aber ich kann mir schon vorstellen, wie romantisch das Lichtermeer der Riviera in der Nacht von hier oben sein muss! Wer will, kann auf dem Rochers-de-Naye auch übernachten. Und wer es noch spezieller wünscht, macht das in einer der mongolischen Jurten. Gegen Nordosten blickt man zurück in die Berner Bergwelt und direkt unter der Bahnlinie liegt eine grosse Alp mit verschiedenen Bergwanderwegen. Im Winter findet man hier auch Skipisten und freie Abfahrten. Gerne würde ich hier noch verweilen! Mein beruflicher Auftrag hindert mich aber daran und nach einem kühlenden Bierchen mache ich mich auf die Heimfahrt. Voll von Eindrücken und mit tausend Ideen, mein heutiges Erlebnis mit der Leserschaft zu teilen, verabschiede ich mich von Niklaus Mani und tauche wieder in die ganz andere Welt ein. Nämlich in jene, in der ich wohne, in der die überfüllten Züge sich verspäten und in der sich die Menschen mit Kopfhöhrern in den Ohren und starrem Blick auf ihre kleinen Bildschirme in einer scheinbar anderen Welt wähnen. Wenn die wüssten …
Die Geschichte der MOB
Die Montreux-Berner Oberland-Bahn (MOB) ist eine Schweizer Schmalspurbahngesellschaft mit Sitz in Montreux. Ihre 75 Kilometer lange Strecke verbindet Montreux am Genfersee mit Zweisimmen und Lenk im Berner Oberland.
Am 26. Juni 1899 wurde die MOB in Montreux gegründet und am 22. Dezember 1899 erteilten die eidgenössischen Räte die Konzession für eine Strecke zwischen Montbovon und Zweisimmen. Die Linienführung nach dem genehmigten Projekt folgte im Wesentlichen der heutigen Trasse. Anfangs 1900-er Jahre fand der erste Spatenstich für den ersten Abschnitt bis Les Avants statt. Der Rest der Strecke nach Zwei-simmen wurde in mehreren Teilabschnitten fertiggestellt.
Am 5. Juni 1904 ging ein weiteres Baugesuch für eine Eisenbahnlinie von Zweisimmen über Lenk, den Hahnenmoospass nach Adelboden und Frutigen ein. In dieser Form konnte das Projekt jedoch nie verwirklicht werden. Stattdessen erhielt die MOB am 30. März 1906 die Konzession für die Strecke von Zweisimmen nach Lenk, welche im Jahr 1912 eröffnet wurde.
1906 versuchte die MOB, ihre Linie in Montreux bis hinunter zur Schiffländte zu verlängern. Das Verbindungsgleis vom Bahnhof Montreux zum See sollte mittels einer dritten Schiene auch von den Zügen der Bahnstrecke von Montreux auf den Rochers-de-Naye mitbenutzt werden können. Das Projekt wurde jedoch nie umgesetzt. Dafür wurden 1906 bei der MOB – erstmals bei einer Schweizer Schmalspurbahn – drei Speisewagen in Betrieb genommen und von der schweizerischen Speisewagengesellschaft betrieben. 1911 kam bereits ein vierter Speisewagen hinzu.