Heinz Duttweiler
Die Geschichte der Schweizer Volksmusik ist seit 180 Jahren wesentlich von einem Instrument geprägt, das zwar weltweit einen Siegeszug erlebte, von der gesamten Musikwelt hingegen nie ganz anerkannt wurde. Volksmusikgeschichte – wenn auch in kleinerem Rahmen – schreiben Musikantinnen und Musikanten, die öffentlich auftreten und so für den Erhalt des musikalischen Erbes sorgen. Einer davon ist der 82-jährige Zürcher Heinz Duttweiler. Er beendet in diesem Jahr zwar seine aktive Musikantenlaufbahn, doch das ihm anvertraute historische Langnauerörgeli liess er dennoch liebevoll restaurieren!
23.03.2018 | VON HANSPETER EGGENBERGER
Schon kurze Zeit nach dem Erscheinen sorgten die Handorgel und hierzulande auch das Schwyzerörgeli für Aufruhr. Die Handharmonika nahm im alpenländischen Raum jenen Platz ein, den jahrhundertelang der Dudelsack – bei uns hiess er Sackpfeife – und die Drehleier ausgefüllt hatten. Die Erfindung der gut tragbaren und mehrstimmig mit Selbstbegleitung spielbaren Instrumente machte viele der bisherigen Volksmusikanten brotlos. Ebenso, wie man es bei den Sackpfeifen und Drehleiern bereits kannte, erlangte die Handharmonika in den gebildeten Kreisen nur Missachtung – eine Haltung, die in dieser Gesellschaft für die ganze Volksmusik galt und teilweise heute noch gilt. Im vielbeachteten Buch «Schwyzerörgeli» von Ernst Roth kann man es nachlesen: «Im Jahr 1886 liess sich ein H. Szadrowsky in seiner kulturhistorischen Skizze ‹Die Musik und die tonerzeugenden Instrumente der Alpenbewohner› dazu hinreissen, im Jahrbuch des Schweizer Alpenclubs den folgenden Text zu veröffentlichen. ‹Es wird nämlich grosses Vergnügen an der so genannten Handharmonika gefunden, die auch von den Sennen und Hirten mit einer verzweiflungsvollen Hartnäckigkeit in der Ausdauer gepflegt, das heisst gedruckt wird; spielen oder gar musicieren kann man eine solche Hantierung doch nicht nennen. Wenn es nicht schon der Fall ist, so dürfte es sich in kürzester Zeit vollenden, dass auf frequenten Wegen oder in den Hütten stark besuchter Gebirgsgegenden nur wenige Touristen von diesen qualvollen Tönen verschont bleiben würden›». Ähnliches Kriegsgeheul hörte man im Umfeld des Schwyzerörgelis immer wieder, auch in noch nicht so lange vergangenen Tagen. Wenn auch sehr gebildete Menschen eindrückliche Worte dafür einsetzten, konnten sie nicht darüber hinweg täuschen, dass es letztlich immer um einen Platzkampf im Markt und in der Kultur ging. Der Buchautor und Schwyzerörgeler Ernst Roth hat es selber erfahren, als er 1974 von einem Volksmusikanten einen Brief erhielt. Darin heisst es, dass «die Handorgel in den letzten hundert Jahren auf der ganzen Welt unermessliche Schäden angerichtet habe, indem sie zahlreiche, in jeder Hinsicht wertvollere Volksmusikinstrumente verdrängte. Sie ist, nach Charakter und Konstruktion beurteilt, ein zwar praktisches, jedoch recht farbloses Modeinstrument, das kaum in der einen Ausführungsart als zum Volksmusikmachen geeignet empfohlen werden darf, in der anderen aber nicht!». Dass die Handharmonika, das Akkordeon, das Schwyzerörgeli und viele andere Typen des Zungen- und Balginstruments indessen einen wahren Siegeszug vollzogen, ist eine nicht wegzudenkende Tatsache.
Zeitzeugen
Die Entstehungsgeschichte des Schwyzerörgelis dürfte der Leserschaft von Land&Musig bekannt sein und kann ansonsten im Buch «Schwyzerörgeli» von Ernst Roth nachgelesen werden. Neben den grossen Zusammenhängen sind einzelne kleine Geschichten aber das, was die Historie interessant macht. So zum Beispiel das Zusammenkommen von zwei Zeitzeugen; einem aus den ersten Jahren der Schwyzerörgeligeschichte sowie einem aus der heutigen Zeit. Kommen wir zunächst auf den heutigen Zeitgenossen, nämlich auf Heinz Duttweiler zu sprechen. Der 1936 geborene Musikant wuchs in Zürich-Altstetten auf. Zu jener Zeit stand die Handharmonika in voller Blüte. An vielen Orten der Schweiz bestanden Handharmonikaklubs mit grossen Mitgliederbeständen. Begabte Spielerinnen und Spieler liessen sich in privaten Musikschulen zum Handharmonika-Lehrer ausbilden. So auch Heinz Duttweiler. Auf Anraten seiner Eltern ergänzte er diese Ausbildung aber mit einer kaufmännischen Lehre, ein Entschluss, der sich auch in Betracht der späteren Entwicklung des ganzen Handharmonikawesens als richtig erwiesen hat. Seine berufliche Laufbahn absolvierte er anschliessend bei der Philips AG in Zürich, bei welcher er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1998 in verschiedenen leitenden Funktionen tätig war. Natürlich aber liess Heinz Duttweiler die Musik nie ganz los. Als Diatoniker stand ihm das Schwyzerörgeli sehr nahe, und so kaufte er sich 1989 sein erstes Örgeli. Zehn Jahre später suchte die damals bereits arrivierte Schwyzerörgeli-Musig Mutschellen (SöMM) einen neuen Mitspieler. In Heinz sahen sie den idealen Partner, eine Tatsache, die sich in den folgenden fast zwei Jahrzehnten bewahrheitete. Mit seiner reifen Spieltechnik kann er sein feines Gespür für das Zusammenspiel und die Interpretation des Repertoires voll entfalten, womit er zu einem Mitgestalter des typischen SöMM-Stils wurde. Darüber hinaus schuf er selber zahlreiche Tänze, welche nicht nur auf Tonaufnahmen der Schwyzerörgeli-Musig Mutschellen zu hören, sondern auch in Griffschrift im Eigenverlag erhältlich sind. In diesem Jahr beendet Heinz Duttweiler das aktive Auftreten.
Aus seinem privaten Umfeld wurde er letztes Jahr gebeten, seine Meinung zu einem Musikinstrument aus einer Erbmasse zu äussern. Die Besitzer wussten nicht recht, ob das ziemlich kaputte Ding noch einen Wert habe und ob es überhaupt noch spielbar sei. Heinz erkannte aufgrund der Bezeichnung auf den Balg «Christian Tillmann, Harmonikafabrikant in Langnau, Ct. Bern» sofort, dass es sich um ein Langnauerörgeli der allerersten Generationen handeln muss. Heinz nahm sich der Sache an und liess das Instrument bei der Spezialistin, der Örgelibauerin Magdalena Blaser im Emmentalischen Schüpbach, restaurieren. So wurde also das Instrument aus der Region Zürich, das vor mehr als 150 Jahren gebaut worden ist, nur etwa sechs Kilometer von seinem Geburtsort entfernt zu neuem Leben erweckt. Und so fanden eben auch zwei Zeugen aus der Geschichte des Schwyzerörgelis zueinander.
Die Harfenmacher aus Langnau
Als «Harfenmacher» bezeichneten die Emmentaler früher die Instrumentenbauer, welche die «Harpfe» oder «Handharpfe» herstellten. Wahrscheinlich wurde die erste dieser Langnauer Harpfen im Jahr 1836 von Johann Samuel, Friedrich oder Gottlieb Herrmann gebaut. Sind diese Anfänge nicht ins Detail belegt, so weiss man jedoch, dass der 1813 geborene Friedrich Herrmann ein Meister seines Fachs war. 1848 war in einem Bericht über die zweite allgemeine Industrie- und Gewerbeausstellung zu lesen: «Eine Handharmonika mit verbesserter Construction, mannigfaltiger als die bisherige, das Zugwerk und Balg ist sauber und brav; der Ton sehr angenehm, und das Ganze wurde als eine schöne, des Meisters würdige Arbeit erklärt.» Technisches Geschick wird auch Friedrichs Bruder Gottlieb zugesprochen, der ebenfalls als Erfinder des Langnauerlis gelten darf. Als Friedrich 1864 im Alter von 51 Jahren verstarb, wurde sein Sohn Ulrich der bestimmende Harpfenmacher in Langnau. Neben ihm wirkten weiterhin Gottlieb sowie der 1838 geborene Gottfried Herrmann.
Um 1851 erscheint aber auch Christian Tillmann auf der Bildfläche. Und genau von diesem stammt das anno 2017 in Zürich aufgetauchte Örgeli, das von einem Mitarbeiter des Abfuhrwesens aus dem Kehricht samt Truckli gerettet wurde. Der Zustand des etwa 160-jährigen Instruments war jämmerlich und es mussten diese und jene Teile neu angefertigt werden. Erstaunlich gut erhalten waren jedoch der Balg sowie die Grundkonstruktion.
Happy End
Die Geschichte des kleinen Langnauerlis wird wohl ewig verborgen bleiben und der Fantasie über deren Verlauf sind keine Grenzen gesetzt. Klarer hingegen ist die Zukunft, denn die erfahrene Restauratorin Magdalena Blaser hat daraus wieder jenes Bijou gemacht, das es einst war. So hauchte Heinz Duttweiler dem Instrument am Ende seiner Musikantenlaufbahn mit Interesse und finanziellem Engagement neues Leben ein, so dass sein sicher schon viele Jahrzehnte verklungener Ton die Zuhörenden erneut verzücken kannt. Schöner kann eine Geschichte doch nicht enden!
Ruhn, abträtte!
Nach rund 20 Jahren möchte Heinz Duttweiler altershalber seine aktive Zeit in der Schwyzerörgeli-Musig Mutschellen (SöMM) im Juni 2018 beenden. Heinz ist seit 1999 Mitspieler und hat in dieser langen Zeit unsere Örgeliklänge mitgestaltet und mit der Formation in die helvetische Landschaft hinausgetragen. Wir blicken gemeinsam mit Heinz auf ganz besondere musikalische Momente zurück. Bis nach Rom in den Vatikan haben uns die Volksmusikwellen getragen. In den vergangenen Jahren haben wir viele tolle Auftritte verschiedenster Gattungen hingelegt, leider ohne eine einzige Vorstellung als Strassenmusikanten. Die feinen konzertanten Auftritte auf Kleinbühnen und Festivals haben uns am Erfolg und den Ansprüchen grosser Bühnenkünstler schnuppern lassen, und uns dazu motiviert, unsere musikalischen Grenzen auszuloten. Die unzähligen und unvergesslichen Begegnungen mit dem Publikum sowie der Applaus haben uns gut getan!
Bereits als Siebenjähriger begann der Stadtzürcher und spätere Fourier mit dem Handorgelspielen. Das war 1944 – mitten im Krieg – ein grosses Opfer für seine Eltern. Der junge «Dutti» musste versprechen, jeden Tag inklusive Wochenende mindestens eine Stunde zu üben. Und daran hat er sich bis heute – selbstverständlich mit erhöhten Trainingseinheiten – gehalten. Heinz ist ein echter Team-player. Er steht für korrekte musiktheoretische Gepflogenheiten ein, ist und bleibt aber zu jeder Zeit ein leidenschaftlicher Musikant, der seine eigenen musikalischen Grundsätze für unsere gemeinsamen musikalischen Ideen gerne zurückstellte.
Er hat unbestritten auch eine Vorliebe für die Volksmusik unseres östlichen Nachbarlandes. Aus der Freude am Spiel auf seiner steirischen Harmonika ist eine Liebe fürs Leben geworden. Nebst den bisher veröffentlichten rund 80 Eigenkompositionen für Schwyzerörgeli sind daher weitere Eigenkompositionen, Bearbeitungen (von Volker Derschmidt) und Aufnahmen in alpenländischer Prägung entstanden. Die spontanen Einlagen mit der «Steirischen» fanden beim Publikum immer wieder grossen Anklang. Wir haben uns lange Zeit gegenseitig inspiriert und musikalisch, wie auch freundschaftlich, die gemeinsame Harmonie genossen. Zusammen haben wir gelacht, über Buurezmorge diskutiert und vor allem ganz feini Muusig gmacht.
Mit seinen 80 Lenzen steht Heinz noch voll im Leben. Mittendrin, nicht nur dabei.
Ein herzliches Dankeschön!
«Lieber Heinz, für die schöne gemeinsame Zeit sagen wir dir von Herzen ‹Dankeschön›. Nicht nur für den vorbehaltlosen Einsatz im Dienste unseres eigenen Musikdialektes, sondern vor allem für deine Freundschaft, Herzlichkeit, Geselligkeit und für all die liebevollen kleinen und grossen Aufmerksamkeiten. Mit dem Segen von oben wünschen wir dir weiterhin viel Glück, Gesundheit und Wohlergehen auf deinem weiteren Lebensweg!»
Es würde uns Mannen der Schwyzerörgeli-Musig Mutschellen natürlich freuen, wenn möglichst bald ein Nachfolger von Heinz auf unserem Musigbänkli Platz nehmen würde: auf dem Stuhl rechts von der Mitte aus gesehen (nicht politisch gemeint). Nur keine Hemmungen! Es ist nie zu spät das Richtige zu tun. Für weitere Auskünfte stehen wir jederzeit gerne zur Verfügung.
Schwyzerörgeli-Musig Mutschellen
Tristan Gremper, www.sömm.ch
Kontakt
Heinz Duttweiler
Zopfstrasse 19
8965 Berikon
Telefon 044 821 19 34