Hornussen
Wer in den Sommermonaten an Wochenenden durch das Berner Mittelland und Emmental fährt, sieht da und dort Mannschaften mit grossen Schaufeln in den Händen– man nennt sie hier Schindeln – aufgereiht auf dem Land stehen. Immer wieder kommt Bewegung in die Mannschaft und die Schindeln werden in die Luft geworfen. Nur das geübte Auge kann den fliegenden Nouss als Grund dafür erkennen: Es ist Hornusser-Saison!
23.05.2017 | VON HANSPETER EGGENBERGER | FOTOS: JÜRG LYSSER
Das Hornussen wird zusammen mit Schwingen und Steinstossen zu den Schweizer Nationalsportarten gezählt. Ob es jedoch als Sport, Spiel, Einzel- oder Mannschaftskampf gesehen wird, kommt auf die Betrachtungsweise an. «Klar ist», so der Präsident des Eidgenössischen Hornusserverbandes (EHV) Peter Widmer, «dass Hornussen auch im kulturellen Sinn zu den Traditionen gehört!» Deshalb ist der Verband erst kürzlich in die Interessengemeinschaft Volkskultur Schweiz (IGV) aufgenommen worden. Entscheidend hierfür sei dabei nicht die Auffassung der Aktiven alleine. Die Aktiven betreiben in erster Linie Sport und Spiel. Das Umfeld besteht jedoch ganz klar aus Leuten, die der Tradition nahe stehen. Aus diesem Grund gehört beispielsweise auch das Schwingen, trotz heute starken Tendenzen zum Spitzensport, nach wie vor zu unseren Traditionen. «Wir haben halt im Gegensatz zum Schwingen den Nachteil, dass unser Spiel viel statischer ist, was für die Massenmedien nicht attraktiv genug ist. Am grundsätzlichen Interesse und Spass der Aktiven aber ändert das gar nichts!», erläutert Peter Widmer weiter.
Aus dem Bernbiet
Die ersten schriftlichen Aufzeichnungen zum Hornussen findet man in Kirchenbüchern aus dem 16. Jahrhundert. Im Chorgericht von Lauperswil im Emmental wurde gerügt, dass Hornusser anstelle der Kinderlehre lieber ihrem Spiel frönten. Das erste bekannte Wetthornussen fand bereits vor 362 Jahren in Trub statt. Mit viel Leidenschaft wurde dann auch im 19. Jahrhundert «ghornusset», weshalb es nicht verwunderlich ist, dass bereits am ersten Schwing- und Älplerfest auch Hornusserwettkämpfe ausgetragen wurden. Der Name stammt tatsächlich vom Insekt Hornisse ab, weil der fliegende «Nouss» ein ähnlich brummendes, surrendes Geräusch macht. Auch in anderen Landesgegenden gab es vergleichbare Spiele, die ursprünglich vom heidnischen Brauch des geistervertreibenden Schlagens brennender Holzscheiter vom Berg ins Tal abstammen. Noch heute kennt man im Bündnerland und Wallis das «Hurnen». Grosse Breite aber fand das Spiel in den Tälern des Bernbiets, weshalb dieses als Ursprungsgebiet des Hornussens gilt. Auch die in anderen Kantonen des Mittellands entstandenen Hornussergesellschaften wurden ursprünglich von ausgewanderten Bernern gegründet. Wahrscheinlich ist das auch einer der Gründe, weshalb die Anzahl der dortigen Gesellschaften heutzutage stark schwindet. Ähnliche Bewegungen können ja auch im Jodelwesen beobachtet werden. Im Eidgenössischen Hornusserverband sind fast 8’000 lizenzierte Männer und Frauen registriert. Sie organisieren sich in vier Zweckverbänden, nämlich jenem des Emmentals, des Mittelands, des Oberaargaus und der Nordwestschweiz. Somit bleibt der Kanton Bern die Hochburg des Hornussens, denn etwa 80 Prozent der EHV-Mitglieder sind hier zu Hause.
Für jedermann
«Eine der Schönheiten des Hornussens ist die Tatsache, dass alle Generationen miteinander spielen», erklärt Peter Widmer. In der Altersklasse bis 25 Jahre sind laut den letzten Erhebungen 28 % der Mitglieder zu finden, die Übrigen verteilen sich ziemlich gleichmässig bis ins hohe Alter. Auch 80-jährige Hornusser sind keine Seltenheit. Möglich wurde das durch eine gute Organisation des Verbandes mit der Nachwuchsförderung in Zusammenarbeit mit Jugend und Sport sowie der Schaffung von Stärkeklassen und verschiedenen Ligen. Seit den 1990er-Jahren besteht die Nationalliga A mit 16 Mannschaften, die Nationalliga B mit zwei 16er Gruppen, vier Gruppen in der ersten Liga und der Aufteilung des restlichen Mitgliederbestandes bis zur 5. Liga. Die Spitze ist relativ klein. «Den Meister machen jedes Jahr eigentlich nur gerade drei Mannschaften untereinander aus», schmunzelt Peter Widmer. Und es gibt tatsächlich auch ein Transferwesen. Zwar geht es beim Hornussen nicht um das grosse Geld, aber natürlich um die Ehre, zu einer der besten Mannschaften zu gehören. Essenziell aber ist die grosse Breite. Nicht selten sind ganze Familien in die Gesellschaft eingebunden und so wird denn auch der grösste Teil des Nachwuchses in den eigenen Reihen gefunden. Gespielt wird in den Sommermonaten. Ab März bis Ende Juli läuft die Schweizer Meisterschaft. Anschliessend – wenn die Felder abgeerntet sind – folgen die grossen Verbandsfeste und im Herbst zum Saisonabschluss werden dann noch regionale Kleinanlässe durchgeführt.
So geht’s
Das in 20 Sektoren eingeteilte Spielfeld heisst beim Hornussen Ries. Es ist 200 Meter lang, vorne 8 Meter und hinten 14,67 Meter breit. 100 Meter vor dem Ries steht der Bock, von welchem der Schläger den Nouss wegschlägt. Dieser fliegt dann bis zu 300 Meter weit und erreicht dabei eine Höhe von bis zu 70 Metern. Zum Schlagen verwendete man in alten Zeiten einfache Holzstecken oder -ruten. Heute ist auch der Stecken ein Hightech-Gerät, das eine optimale Übertragung des Schwungs bei geübter Schlagtechnik ermöglicht. Der Schläger muss dafür eine grösstmögliche Wendigkeit haben, holt er seinen Schwung doch aus einer vollständigen Drehung des Oberkörpers über 360 Grad. Letztlich muss er mit viel Gespür mit dem vordersten Teil seines Steckens, dem Träf, den Nouss treffen. Je nach Aufprallwinkel kann er die Flugbahn des Nouss beeinflussen. Dieser wird vorher vom so genannten Setz auf ein Lehmstücklein auf dem Bock gesetzt. Dieser kennt seinen schlagenden Mannschaftspartner bestens, weiss wie er schlägt und kann ihn kurz vor dem Schlagen auch noch mental in Form bringen.
Es geht dann darum, den Nouss so weit wie möglich ins Ries oder sogar darüber hinaus zu treiben. Für die gegnerische Mannschaft im Ries heisst es hingegen, den anfliegenden Nouss so früh wie möglich – spätestens jedoch vor dem Auftreffen am Boden des Spielfelds – mit der Schindel zu stoppen. Diese Aktion nennt sich Abtun. Es gewinnt jene Mannschaft, bei welcher weniger Hornusse ungestoppt im Spielfeld zu Boden gegangen sind. Dies bezeichnet man als eine Nummer. Wenn dabei ein Gleichstand erzielt wird, entscheidet das Mannschaftstotal der geschlagenen Weiten. Die Schlagweiten werden als Schlagpunkte auf einer Spielliste von den Schiedsrichtern notiert. Die beiden Schiedsrichter und die drei Spieler-Schiedsrichter beobachten natürlich auch sehr genau, ob nicht etwa ein Hornuss unabgetan im Ries gelandet ist.
An einem Anlass werden in der Regel zwei Umgänge gespielt, wobei jede Mannschaft pro Umgang einmal schlägt und einmal abtut. Jeder Spieler schlägt pro Umgang zwei Streiche, wozu er drei Versuche hat. Das Spiel mit zwei Umgängen dauert insgesamt zwischen drei bis vier Stunden. Eine Anforderung für die Abtuer ist die Fähigkeit, den heranfliegenden Nouss möglichst frühzeitig zu erkennen und dann seine Flugbahn richtig einschätzen zu können. Präsident Peter Widmer weiss es aus eigener Erfahrung: «Man kann ihn wirklich erst dann sehen, wenn er den Horizont überflogen hat und sich optisch vom Hintergrund absetzt.» Somit spielt die geographische Lage des Spielplatzes eine nicht unwesentliche Rolle. Genau so entscheidend sind schliesslich auch die Wetterbedingungen, respektive die Windverhältnisse, welche vom Setz und Schläger berücksichtigt werden müssen.
Unter seinesgleichen
Wie bereits anfänglich erwähnt, benötigt das Hornussen keine Zuschauertribühnen, denn es gibt für Laien kaum etwas zu sehen. Wer sich jedoch mit den Regeln auskennt und zusätzlich noch eine persönliche Beziehung zu einzelnen Hornussern hat, kann dabei manche spannende Stunde miterleben. An Festanlässen, bei denen gleichzeitig auf mehreren Spielfeldern gespielt wird, bilden hauptsächlich Kameraden aus anderen Mannschaften das Publikum. Hauptanziehungspunkt sind dabei dann auch die erfolgreichsten Schläger, um welche sich die Fans jeweils versammeln. Und ganz zum Schluss kommt auch das gemütliche Beisammensein nicht zu kurz. «Fotos von diesen Höcks geben eigentlich einen falschen Eindruck der Sportler,» lacht Peter Widmer, «denn nach einem heissen Sommernachmittag steht da meistens eine Flasche Bier auf dem Tisch!» Das ist nicht nur Sport, sondern auch wirklich gelebte Tradition.
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