Jodelterzett Engiadina
Auf den ersten Blick sieht das Jodelterzett aus dem Engadin wie viele andere Terzette aus. In ihren hübschen Trachten stehen sie für traditionelles Brauchtum. Wenn man ihnen jedoch zuhört, entdeckt man zusätzliche Facetten und staunt über die grenzenlosen Interpretationen, welche weit über die traditionelle schweizerische Jodelwelt hinaus gehen.
23.01.2018 | VON HANSPETER EGGENBERGER
FOTOS JOACHIM ERNST
Ihr Traditionsbewusstsein haben Martina Gemassmer (1991) und die Schwestern Svenja (1990) und Sabrina Ernst (1992) von ihrem Werdegang als Jodlerinnen. Unter der Ägide der Jodlerin und Chorleiterin Johanna Bühler, die damals noch im Engadin lebte, haben sich die drei Mädchen als Mitglieder des Oberengadiner Kinderchörlis gefunden und das Jodelterzett Engiadina gegründet. 2003 und 2005 nahmen sie sehr erfolgreich am Schweizer Jodelnachwuchswettbewerb teil, was ihnen den Weg an die grosse Öffentlichkeit ebnete. So konnten sie schon in jungen Jahren Lieder im Studio aufnehmen und im Schweizer Fernsehen auftreten: 2003 in den Sendungen «Bsuech in Maloja» und «Bsuech in Samedan» sowie 2005 in der Sendung «Hopp de Bäse!».
Wirkung im Engadin
Im Kindesalter war der Wirkungskreis natürlich auf die nächste Umgebung beschränkt. Da das Jodeln grundsätzlich nicht zur gewachsenen Kultur in Graubünden gehört und weil das Bündner Hochtal topografisch von der übrigen Schweiz isoliert liegt, waren die drei jodelnden Mädchen eine Rarität im Engadin. Der Tourismus bescherte ihnen Auftritte in den rennomierten Hotels in und um St. Moritz, und an vielen privaten Festivitäten waren sie ebenfalls begehrt. Aber auch in der helvetischen Jodlerszene machten sie tüchtig mit und traten an den Eidgenössischen Jodlerfesten von Luzern und Davos im Terzett auf. Mittlerweile besuchten alle drei das Gymnasium in Samaden. Als Thema ihrer Maturaarbeit wählte Martina Gemassmer das Jodeln, wozu auch das Komponieren eines eigenen Lieds gehörte. Sie vertiefte sich in die Thematik, redete mit profilierten Vertreterinnen des Fachs und wurde so selber zu einer Kennerin des einheimischen Jodelns. Da sie sich schon früh auch für Pop und Folk begeistern liess, war ihr Entschluss, an der Musikhochschule in Luzern Jazzgesang zu studieren, keine Überraschung. Auch Svenja und Sabrina Ernst mussten für ihre beruflichen Laufbahnen das Engadin verlassen. Svenja wurde Lehrerin in Zürich, wo auch ihre Schwester Sabrina lebt und Wirtschaft studiert.
In die weite Welt
Natürlich bedeutete der Wegzug aus der Heimat das Ende der kurzfristigen Auftritte des Terzetts. Dennoch hielten sie ihr Ensemble am Leben und traten weiterhin vor allem im Auftrag der Tourismusorganisation Engadin/St. Moritz auf; so zum Beispiel in Istanbul, Stuttgart, Wiesbaden, Dubai oder Mailand. «Natürlich haben wir uns deshalb sporadisch zu Proben getroffen», erklärt Martina, die es gleichzeitig bedauert, dass die verschiedenen Lebenswege das Weiterbestehen des Terzetts stark erschwerte. Einen weiteren Auslandauftritt bescherte dem Terzett die Anfrage des berühmten Stanglwirts Balthasar Hauser in Going bei Kitzbühl, der dort seine wunderbaren Jodlertreffen durchführt. So kamen die jungen Engadiner Jodlerinnen in direkten Kontakt mit dem Tiroler Jodeln, das sie sofort faszinierte. Martina hat hierfür eine zusätzliche Affinität, stammt doch ihr Vater ursprünglich aus dem Südtirol. Da das Terzett das Repertoire ohnehin bereits mit rätoromanischen Volksliedern und mit Gospelsongs erweitert hatte, sangen die drei Frauen gerne auch Tiroler Weisen. «Uns hat die weiche, feinfühlige Interpretation dieses Gesangs sofort angesprochen», erklärt die heutige Musiklehrerin Martina Gemassmer, die damit nebst den harmonischen Eigenheiten einen weiteren Unterschied zum Schweizer Jodellied feststellt. Die drei haben auch gemerkt, dass ihnen diese Sangesart mit dem kaum hörbaren Kehlkopfschlag seit jeher näher lag.
Kulturtreffen
Kulturelle Gegebenheiten kann man zwar feststellen, jedoch nie ganz überwinden. «Ich kann mich mit Gospel oder Jazz zwar auseinandersetzen und diese Musik auch interpretieren», erklärt Martina. «Es wird aber immer mein eigenes Singen mit meinem eigenen Ausdruck bleiben!» Unter dem Künstlernamen Martina Linn singt sie mit ihrer Band Country-Folk-Songs und hat bereits eine EP und zwei Alben veröffentlicht. Es liegt auf der Hand, dass Martina bald zum musikalischen Kopf des Terzetts wurde. Der gemeinsame Anspruch an ihre Musik jedoch verbindet die drei nach wie vor. Es liegt ihnen am Herzen, nicht einfach Lieder zu covern und nach den Vorstellungen von Dritten zu singen, sondern ihr eigenes Ding zu machen. Melodie und Worte müssen einen übereinstimmenden Ausdruck haben und eine gewollte Stimmung – heute redet man neudeutsch von «Mood» – wiedergeben. Erst wenn ein Titel diese Ansprüche erfüllt, wird er vom Engadiner Jodelterzett ins Repertoire genommen. Diese Sichtweise ist für junge Musikergenerationen gerade auch in der Volksmusik typisch. Es geht nicht darum, geistige Landesverteidigung zu betreiben, sondern mit Musik – egal, von welcher Art diese ist – Gefühle zu vermitteln. Dazu gehören auch für das Jodelgenre mutige Einsätze von Agogik (Tempo und Rhythmik) und Harmonie. Das alles hat das Jodelterzett denn auch auf seiner ersten CD konsequent durchgezogen. Mit einer eigenwilligen und spielfreudigen Interpretation des André von Moos-Hits «Steinmanndli-Juiz» wird das Programm eröffnet und gleichzeitig schon angedeutet, was noch zu erwarten ist. Unter Mitwirkung der Musiker Fränggi Gehrig (Akkordeon), Simon Iten (Kontrabass), Selina Cuonz (Harfe), Nicolas Senn (Hackbrett), Simon Althaus (Piano), Pascal Fernandes (Flügelhorn) und Valeria Zangger (Schlagzeug) sind elf Titel aufgenommen worden. Man muss dabei wirklich von gemeinsamer Interpretation reden, denn was die Musikerinnen und Musiker hier bieten, geht weit über eine Liedbegleitung hinaus. Martina erklärt dazu, dass alle Titel live eingespielt wurden, wodurch der gegenseitige Einfluss auch hörbar wurde. Neben «Uf der Alpweid» von Hans Aregger erklingen zwei traditionelle Jodler aus dem Tirol, das sehr einfühlsame Lied «Wulche» von Jürg Röthlisberger und Hanni Brachers Evergreen «I chume dürs Wägli». Mit «Üsi Heimat» zeichnet Martina Gemassmer als Komponistin und bei den folgenden zwei Titeln aus dem romanischen Liederschatz sowie zwei Gospelsongs als Arrangeurin. Dass sich die drei Freundinnen trotz grosser Vielfalt immer noch Jodelterzett nennen, liegt in der Tatsache begründet, dass sich die drei im Jodelfach gefunden haben und nach wie vor hauptsächlich Jodellieder interpretieren. Ihre Verbundenheit mit der Heimat demonstrieren sie nach wie vor auch mit dem Tragen der Engadiner Tracht.
Meilensteine
Mit dem Erscheinen dieses Albums ist ein weiterer Meilenstein in der 15-jährigen Geschichte des Jodelterzetts Engiadina gesetzt. Wie die Zukunft aussehen wird, steht noch in den Sternen. Für unsere einheimische Musikwelt und auch für das progressive Entwickeln unserer Jodlertradition jedoch wäre es schön, wenn dieses vielseitige und wohlklingende Ensemble noch lange zu hören wäre.
Kontakt
Jodelterzett Engiadina
c/o Musikbüro Boesiger/Gmür
Hirschmattstrasse 30a
6003 Luzern
Telefon 041 210 66 44
www.jodelterzett-engiadina.ch