Ein völlig verkanntes Tier
Spätestens seit den Shrek-Filmen mit dem Grossmaul «Donkey» ist der Esel definitiv zu einem Kuscheltier geworden. Als «Pferd des armen Mannes» verkannt, fristet er aber zu oft ein jämmerliches Dasein. Parallelen mit Hunden sind nicht zufällig und so landet er nach seiner Ankunft unter dem Weihnachtsbaum oftmals im Eselasyl. Dabei gibt es beim näheren Betrachten so viel Interessantes und Liebenswertes zu entdecken.
25.09.2017 | VON HANSPETER EGGENBERGER
Die Stichworte «stur» und «Esel» sind in unserer Sprache miteinander verbunden. Der Fehler aber liegt in der Zuordnung: Nicht etwa der Esel ist stur, sondern der Mensch – die Logik der Menschen läuft jener der Esel zuwider. Als ursprüngliches Wüstentier ist er darauf getrimmt, ruhig stehen zu bleiben, wenn Gefahr droht. Wer in der Hitze der Wüste, auf Sand und Geröll davonstiebt, bricht sich leicht ein Bein und riskiert einen elendiglichen Tod. Auch wenn der Esel Afrika längst verlassen hat, schützt er sich wie dazumal. Das ist auch deshalb sinnvoll, weil viele Greiftiere in der Wüste nur bewegte Objekte wahrnehmen. Beutetiere tun also gut daran, still zu halten. Genau daran hält sich der Hausesel noch heute. Auch sein Bau ist perfekt dem Leben in Wüste und Steppe angepasst. Seine langen Ohren dienen ihm zum Kühlen bei hohen Temperaturen. Mit seinen kleinen Hufen und dem speziellen Gang – man kann ihn mit dem Catwalk der Models vergleichen – kann er sich auf extrem schmalen Wegen sicher bewegen. Steppengräser, krautartige oder sogar verholzte Pflanzen bekommen ihm besser als Gras. Wie die Wiederkäuer können Esel zellulosehaltige Nahrung verdauen. Da sie keinen mehrteiligen Wiederkäuermagen besitzen, landet die verholzte und ballaststoffreiche Nahrung stattdessen im Blinddarm, der auf die verdauungstechnische Schwerstarbeit spezialisiert ist. Anders als die übrigen Pferdeartigen hält der Esel lange Durstperioden aus und kann im Gegenzug eine grosse Menge an Wasser aufs Mal saufen.
Zwerg-, Haus- und Riesenesel
Für die Klassifizierung eines Esels ist sein Stockmass ausschlaggebend. Dieses wird vom höchsten Punkt des Widerrists (Wölbung der Wirbelsäule am Übergang zwischen Hals und Rücken) senkrecht zum Boden gemessen. Zwergesel dürfen ein Stockmass von 105 Zentimetern nicht überschreiten. Normalesel – bei uns heissen sie Hausesel – haben ein Stockmass von mehr als 105 und maximal 130 Zentimetern. Der Hausesel ist ein weltweit verbreitetes Haustier, das vom afrikanischen Esel abstammt. Alle Esel mit einem Stockmass von über 131 Zentimetern werden als Riesenesel bezeichnet. Zwerg- und Normalesel kommen in allen Grau- und Brauntönen vor, können aber auch schwarz, gescheckt oder – eher selten – rein weiss sein. Die schwarze Linie entlang der Wirbelsäule – man nennt sie Aalstrich – oder das typische schwarze Schulterkreuz haben alle Esel. Weisse Beine und Abzeichen im Gesicht sind hingegen selten. Häufiger sind helle Mehlmäuler und Augenringe. Da das Fell des Esels nur geringen Schutz gegen Regen und Kälte bietet, muss den Tieren neben ganzjährigem Auslauf auch ein trockener und winddichter Unterstand angeboten werden. In der freien Wildbahn leben die Esel in kleinen Gruppen mit bis zu zehn Tieren.
Eselland Schweiz
Etwa 5’000 Esel werden in der Schweiz gehalten, vorwiegend im Tessin und im Kanton Bern. Da sie in den Nachbarländern Frankreich und Italien unter leichteren Bedingungen gehalten werden dürfen, sind sie auch bei uns in den grenznahen Gebieten öfter anzutreffen. Der Kanton Tessin subventioniert die Eselhaltung, was dem Tierwohl aber eher abträglich ist.
Edith und Wolfgang Müller leben mit ihren Eseln in Grasswil im bernischen Oberaargau. Sie haben sich seit vielen Jahren mit dem Esel befasst, sein Wesen studiert und verschiedene Ausbildungen rund um das Thema absolviert. Auf ihrem Betrieb vermitteln sie den korrekten Umgang mit dem herzigen Tier und veranstalten allerlei Kurse und Events rund um den Esel. Zudem sind sie Mitglieder des Stiftungsrates von «Esel in Not», einer Organisation, die sich um kranke, misshandelte oder schlecht gehaltene und alte Esel kümmert. Edith Müller kennt viel Leid. «Es ist unglaublich, wie schlecht die Tiere auf der ganzen Welt gehalten werden. Die Geringschätzung hat dabei fast keine Grenzen», erzählt sie. Das alles habe mit dem grossen Defizit an Kenntnissen zu tun. «Es wäre einfach viel besser, wenn sich die Halter von Eseln vor der Anschaffung des Tiers besser orientieren würden», klagt sie. So ist die Haltung der Esel in keiner Weise mit jener eines Pferdes zu vergleichen. Ein Trockenplatz ist zwingend, der Stall muss auf drei Seiten zu sein und die Esel dürfen nur ganz kurze Zeiten auf einer Weide sein. Das dort wachsende Gras ist letztlich pures Gift für die Tiere, die an karge Gegenden gewöhnt sind. So verfetten sie und werden krank. In unseren Breitengraden wird Eselfleisch übrigens nicht gegessen, weshalb man es auch nicht beim Metzger findet.
Als Zug- und Tragtiere werden Esel bei uns darüber hinaus kaum mehr gebraucht. Vorbei sind die Zeiten, als sie wenigstens den Schmugglern noch gute Dienste leisteten. Und hier sind wir schon beim nächsten Irrtum: Esel können nicht riesige Lasten tragen. «Es sträuben sich mir die Haare, wenn ich beispielsweise an die armen Tiere auf Santorini denke, wo sie die Touristen Hunderte von Treppenstufen tragen müssen», sagt Edith Müller. «Bedenkt man, dass ein Esel etwa einen Fünftel seines Eigengewichts – das wären bei 150 kg Gewicht also gerade mal 30 Kilo – tragen kann, so kommen mir die Tränen, wenn ich sehe, dass sie 150 Kilo schwere Männer den Berg hoch schleppen müssen! Das hat doch mit Tourismus nichts mehr zu tun, sondern nur mit Tierquälerei! Und wenn wir schon beim Geld sind: Hier offenbart sich der nächste Grund für die Geringschätzung des Esels: Er ist zu billig. Bei einem Anschaffungspreis von etwa der Hälfte eines Hundes hat er quasi keinen Wert. Da steht jeder Tierarztbesuch in einem Missverhältnis zum Anschaffungspreis!» In ihrer Organisation «Esel in Not» leben zurzeit etwa 85 Esel, die solche Qualen erlebt haben und auf einen guten Platz hoffen. Edith Müller resumiert zum Schluss: «Es fehlt an Information über den Esel. In den Medien bekommt man ihn – wenn überhaupt – als lebendiges Vorurteil präsentiert. Zudem ist der Marktwert des Esels erniedrigend tief. Ein Esel im Stall ist also kein angestrebtes Statussymbol. So wird es ihm verunmöglicht, durch seine inneren Werte zu überzeugen.»
Freude mit dem Esel
Neben diesen Missständen, auf die man unbedingt hinweisen muss, gibt es natürlich auch viel Freudiges zu berichten. Einmal an die Menschen gewöhnt, ist der Esel sehr zutraulich, friedlich, gesellig und spielfreudig. Kinder trägt er gerne auf seinem Rücken und ebenso hat er Spass daran, vor einen Wagen gespannt zu werden. Die Pflege der Esel ist eine erfüllende Aufgabe. Mittlerweile hat man auch den Nutzen neu entdeckt. So gibt es beispielsweise in Eritrea das Hebammen-Projekt, in welchem Hebammen ein Esel zur Verfügung steht, der ihre Instrumente auch in unwegsame Gebiete trägt. Die Hebammen verpflichten sich lediglich, die regelmässigen Gesundheitschecks für die Esel zu absolvieren. Und schliesslich gehört zu den freudigen Dingen auch jene Aufgabe, die der Esel bei uns alljährlich erledigt: Als Begleiter des Samichlaus trägt er die Gaben für die Kinder und ist so ein fester Bestandteil des traditionellen Bilds zum Chlausentag. Bald ist es wieder soweit und vielleicht denken dann auch die Leserinnen und Leser dieses Artikels über das Leben des Eseleins nach, das nicht einfach ein billiger Pferdeersatz ist!
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Edith und Wolfgang Müller-Heiniger
Eggen 16
3365 Grasswil
Telefon 062 968 00 44
www.eselmueller.ch