Laurent Girard
Musiker der jüngeren Generationen haben dank ihrer Ausbildung und ihres Könnens die Grenzen der Ländlermusik ausgeweitet. Nicht die Revolution, sondern das vollständige Ausleben ihrer Musizierfreude hat dazu geführt. Daraus ist der Begriff «Neue Volksmusik» entstanden, eine Szene, die sich nicht zuletzt dank eigenen Festivals immer mehr etabliert. Einer der Protagonisten ist der Pianist Laurent Girard.
22.03.2016 | VON HANSPETER EGGENBERGER
Klavierbegleiter sind daran gewöhnt, im Hintergrund zu sitzen. Bei Vorstellungen werden in erster Linie die melodieführenden Musikanten, die Bläser und Örgeler, genannt. Seit es die Elektropianos gibt, weiss man, dass auch Klavierbegleiter ein Gesicht haben. Und seither wird auch das Klavier in verschiedenen Klangfarben eingesetzt, mal dezent füllend in Sachen Rhythmus und Harmonie, mal groovig neuartig oder sogar aufmüpfig. Laurent Girard beherrscht beide Arten und setzt sie in den vielen Kapellen ein, in denen er laufend auftritt. So macht er quasi aus dem Hintergrund klanglich auf sich aufmerksam, malt Klangbilder und verbindet musikalische Elemente. In gleicher Manier agiert er auch als Organisator, wozu er seine eigene Firma «Logt GmbH» gegründet hat. Als Intendant ist er einer der Hauptverantwortlichen des neuen Folk Festivals Heiden.
In Thal am Bodensee ist Laurent Girard aufgewachsen. Auch darin kann man Symbolisches entdecken: Der offene Blick über das Schwäbische Meer vor der Nase und die sehr traditionsbewusste Appenzeller Volksmusikwelt im Rücken könnten ihn geprägt haben. Greifbar aber sind andere Tatsachen. Zum Beispiel, dass er in einem sehr musikalischen Umfeld aufgewachsen ist. Seine Eltern spielen Schwyzerörgeli und singen im Jodlerklub und Trachtenchörli. Sein Grossvater war 60 Jahre im Jodlerklub, seine 13 Jahre ältere Schwester spielt leidenschaftlich Klassische Musik auf dem Klavier und sein 10 Jahre älterer Bruder ist Gitarrist.
Kontakt zur Volksmusik und Studium an der Jazzschule
Als Schuljunge hatte Laurent Klavierunterricht an der örtlichen Musikschule. Schon als junger Primarschüler liess er sich von Heidi Wachter im benachbarten Rorschach in die Geheimnisse des Klavierbegleitens einführen. Zur Teilnahme am Folklore-Nachwuchs-Wettbewerb entstand dort 1996 die Formation «Firlefanz», mit welcher Laurent erste Erfolge als Kapellenmitglied feiern konnte. Bei Heidi Wachter besuchte er dann auch noch einige Schwyzerörgelistunden, bevor er dann zum Akkordeon wechselte. Er sei kein Übungstalent gewesen, berichtet er. Um ihn dazu mehr zu motivieren, wurde er von seiner Lehrerin zum Wettbewerb «Coupe Suisse de l’Accordéon», einem Solistenwettbewerb in klassischer Akkordeonliteratur, angemeldet, wo er prompt den 2. Rang erzielte! Unmittelbar danach aber gab er das Akkordeonspiel weitgehend auf. Es dient ihm jedoch heute als Klavierlehrer, wenn er seinen Schülern das Begleiten beibringt. Mit «Firlefanz» entwickelte er sich weiter. «Wir konnten uns ungehindert musikalisch ausleben», erinnert er sich, «vermischten unsere Volksmusik mit Rock- oder Jazzelementen oder spielten beispielsweise auch irische Titel. Noch heute zehre ich aus dieser lustigen, interessanten Zeit». Um eine existentielle Grundlage zu haben, entschied er sich nach der Schulzeit, das KV in der Gemeindeverwaltung Thal zu absolvieren. Gleichzeitig entwickelte sich auch seine musikalische Neigung in Richtung Jazz. Beim Jazzpianisten Roger Näf in Gebertingen besuchte er deshalb weitere Klavierstunden.
Nach seiner kaufmännischen Ausbildung arbeitete er noch ein Jahr lang bei der Firma Lista als Kaufmann. Dann jedoch entschied er sich vollends für die Musik. Er absolvierte den einjährigen Vorkurs und studierte schliesslich an der Jazzschule St. Gallen während weiteren vier Jahren. Als Nebeninstrument wählte er den Kontrabass. So erarbeitete er sich sein «künstlerisch pädagogisches Lehrdiplom», das ihn dazu befähigt, an den Musikschulen als Lehrer zu arbeiten. In allen Lebensphasen war jedoch die Volksmusik immer präsent. «Während meinem Studium hiess das, dass ich unter der Woche Jazzmusik machte und am Wochenende zum Ländlermusiker mutierte!» Diese musikalische Spannweite hat er sich bis heute erhalten. «Überhaupt», sagt er, «machen das fast alle Vertreter der neuen Volksmusik so». Man dürfe nicht glauben, dass diese ständig crossovermässig unterwegs seien, sondern durchaus Freinächte mit urchiger, tänziger Musik kennen. Solche erlebte Laurent Girard beispielsweise in Arosa, als in den dortigen Musikferienwochen nach den Kursen nächtelang musiziert wurde.
Die bArde entstehen
Er kam in Kontakt mit weiteren Gleichgesinnten und daraus erwuchs mit dem Bläser Markus Beeler, dem Örgeler André Ott und dem Bassisten Marcel Lenggenhager die Formation «bArde». Diese hat sich als varianten- und einfallsreiche Ländlerkapelle etabliert, die beim Kenner diverse «Ahas» auslöst und bei Laien durch die spielerischen Einfälle da und dort ein Schmunzeln hervorrufen oder mit runden Rhythmen zum Tanzen animieren. Schon während dem Studium öffnete Laurent sich ein weiteres Feld: Er übernahm die Leitung des Damenchors Helvetia Rorschach, eine Aufgabe, die er jetzt bereits acht Jahre ausübt. Seine hauptberuflichen Musikstunden gab er damals an den Musikschulen von Einsiedeln und Mörschwil. «In Einsiedeln hatte ich mehr Leute in der Nähe, die Ländlermusik machen oder schätzen», erläutert er. Somit war die Innerschweiz schon seine Wunschdestination. Dort hat er auch seine Lebenspartnerin gefunden und mit ihr in Rothenthurm mittlerweile eine Wohnung bezogen.
Seine Verbindung zur Heimat in der Ostschweiz ist aber nach wie vor wach. Zum einen hat er in Mörschwil ja noch immer ein kleines Pensum als Musiklehrer, zum anderen lebt dort sein Geschäftspartner. Im Weiteren spielt er auch noch in der Kapelle Pfauenhalde im unteren Rheintal, und nicht zuletzt steht dort ja auch sein Elternhaus. Und dann gibt es da noch etwas: Als erstes Grossprojekt seiner Firma hat Laurent jetzt das Folk Festival Heiden aufgezogen. Es war ihm wichtig, dass auch in der äussersten Ostschweiz etwas aus der Szene der neuen Volksmusik passiert. Laurent ist es gelungen, sehr namhafte Formationen zum Festival einzuladen und die Infrastruktur in Heiden bietet beste Möglichkeiten, Genuss von Musik und Landschaft zu vereinen (siehe Kasten). Apropos Genuss: Auch dazu hat Laurent einen einzigartigen Event lanciert, nämlich «Ohren- und Gaumenschmaus». In einem erstklassigen Speiselokal wird dabei ein mehrgängiges Menü zu einem Thema serviert. Zwischen den Gängen präsentiert das «Artra Trio», zu welchem neben Laurent Girard der Schlagzeuger Thise Mayer und die Akkordeonistin Jacqueline Wachter gehören, die passenden Klänge, und Laurent erklärt dann auch die kulturellen Zusammenhänge. Da gibt es zum Beispiel «Tango Argentino» mit Essen und Musik aus Argentinien, oder die gleich erarbeiteten Themen «Bündnerland», «La dolce vita nella bella italia», «Paris – Aux Champs-Elysées» oder «Waidmanns Heil – Kulinarischer Jagdgenuss». Weitere Auskünfte dazu findet man auf www.logt.ch/ohren-gaumenschmaus.
Platz für anderes
Ein weiteres Engagement betrifft sein Mitwirken in der Fernsehsendung «SRF bi de Lüt», in welcher er der Pianist des Echo vom Leutschenbach ist. Und weiter hat er sich bereits als Arrangeur und Komponist in Szene gesetzt. Man kann sich fragen, ob denn neben diesem umfangreichen Pensum auch noch Platz für anderes ist. «Aber ja, unbedingt», sagt er schnell. Es sei ihm wichtig, nicht einseitig zu werden. «Wenn man mit mir nur noch über Musik reden kann, ist mein Leben arm und ich glaube auch, dass ein Teil der Kreativität aus einem möglichst breit gefächerten Umfeld kommen kann». Ausserdem muss man bedenken, dass manche seiner oben beschrieben Einsätze in Projekten stattfinden, die nicht regelmässig durchs ganze Jahr laufen. Wenn er sich auch nicht gerade als Fanatiker bezeichnet, so bedeutet ihm der Sport sehr viel. Biken in der Umgebung von Rothenthurm ist sehr reizvoll, im Winter fasziniert ihn der Langlauf, in einer Altherrenmannschaft spielt er noch regelmässig Fussball und während der Championsleague ist vor dem Fernsehgerät Sperrzone für alle Störenfriede. Ausserdem interessiert er sich für gesellschaftliche und politische Themen, ohne sich aber aktiv darin zu engagieren. Hört man dem sympathischen Ostschweizer mit seiner sonoren, ruhigen Stimme zu, betrachtet man gleichzeitig seine vielen Engagements und sieht man sein geerdetes Wesen, so darf man zum Schluss kommen, dass der Name Laurent Girard trotz der welschen Wurzeln – sein Vater stammt aus Le Locle – in der Musikszene Schweiz und besonders in allen Schattierungen der Schweizer Volksmusik in Zukunft immer mehr aus dem Hintergrund an die Front klingen wird.
Aktuelle CD
Folk Festival Heiden
Dem neuen Folk Festival haben die Initianten ein Leitbild gegeben, das sich von anderen Anlässen dieser Art unterscheidet. So sollen erstklassige Bands und Interpreten auftreten, die schon selber als «Grenzgänger», aber auch als sattelfeste Volksmusikanten bekannt sind. Das Programm soll im Mai dieses Jahres die Liebhaber von traditioneller Volksmusik ebenso ansprechen, wie die Freunde von neuer Volksmusik sowie von Jazz oder konzertanter Musik. Neben den Protagonisten, welche im Inserat auf Seite 16 ersichtlich sind, treten beispielsweise auch ein Akkordeonorchester oder ein Jugendorchester auf. Am Samstag Abend gibt es auch eine Ländlerchilbi im Hotel Linde mit der Appenzeller Musik «Echo vom Schwendital», zünftige Partystimmung gibt es im Festzelt mit den «Fäschtbänklern». Im Kino Rosental wird der Film «Fremdfözelige Musikanten» im Beisein von Markus Flückiger gezeigt. Das Artra-Trio präsentiert im Hotel Heiden seinen Ohren- und Gaumenschmaus. Am Sonntag steht ein ökumenischer Gottesdient im Programm und dann erfolgt ein gemeinsames Schlusskonzert aller Formationen. Hinzu kommt, dass diese noch nie dagewesene Mischung in Heiden an einem schönen Ort hoch über dem Bodensee stattfindet, der allein schon jeden Besucher entzücken wird.