Marie Theres von Gunten
40 Jahre hatte Marie Theres von Gunten die musikalische Leitung des Jodlerchörlis Geuensee fest in ihrer Hand. Die Doppel-CD «Mir säge Dank» ist das Abschiedsgeschenk des Chörlis, das Höhepunkte aus der langen Zusammenarbeit zum Klingen bringt. Die erfolgreiche Jodlerin, Komponistin und Chorleiterin hat schon andere Aufgaben in jüngere Hände gelegt und will diesen langsamen Abbau in den nächsten Jahren weiterführen.
23.03.2018 | VON HANSPETER EGGENBERGER
Die Jodlerin Marie Theres von Gunten ist in Fachkreisen dafür bekannt, dass sie hohe Ansprüche setzt. Dass das der richtige Weg war, zeigen unzählige Erfolge sowohl als Interpretin mit Auftritten auf der ganzen Welt wie auch als Komponistin, deren Lieder von Jodlerinnen und Jodlern im ganzen Land gerne gesungen werden. Auch die von ihr musikalisch geführten Jodelinterpreten von Solistinnen und Solisten über Kleinformationen
bis hin zu den Jodelchören zählen zu den Besten unseres Landes.
Bruder als fleissiger Texter
Komponisten und Textdichter erzählen in ihren Liedern oftmals das, was sie selber in ihrem Umfeld wahrnehmen. Das ist auch bei Marie Theres nicht anders, auch wenn viele ihrer Texte von ihrem Bruder Jules Walthert getextet sind. «Mein Bruder war Theologe und Sekundarlehrer und in der Textdichtung viel besser als ich», erzählt sie bescheiden. Die Bergwelt, die Natur, Lebenssituationen und auch der Glaube sind Themen, die auf der langen Liste ihrer Kompositionen vorkommen. Kein Geringerer als der Solothurner Mundartdichter Beat Jäggi (1915-1989) hat sie dazu ermuntert, eigene Lieder zu schreiben. Darauf entstand 1984 ihr erstes Lied «Wenn d Glogge lüüte». Es war nicht einfach, sich in der damals noch starken Männerdomäne der Liederschöpfer zu behaupten. So wurde ihr beispielsweise beim ersten Chorlied vorgehalten, dass sie im Jodelbegleit «bimbam» eingebaut hatte. «Dabei war ich doch nicht die erste: Das haben bekanntere Komponisten wie Emil Grolimund oder Hans Walter Schneller schon lange vorher auch gemacht!» Marie Theres von Gunten ging ihren Weg jedoch unbeirrt weiter: «Schliesslich musste ich mich bei niemandem rechtfertigen; wem es gefällt, dem gefällt es!» Mit dieser Einstellung hat sie es geschafft und wurde eine wichtige Vorreiterin für die Frauen an leitenden Stellen im Jodelwesen.
Heute sieht das ja ganz anders aus. An ihren Jodelkursen, die sie seit vielen Jahren im ganzen Land verteilt leitet, nehmen zu gut 80 Prozent Frauen
teil und manche von ihnen wurden später Dirigentinnen, Kursleiterinnen im Jodelverband und mittlerweile mehren sich auch die Frauen im Kreis der Liederschöpfer. Im Februar 1996 entstand ihr Lied «Mis Singe», dessen biografischer Text Jules seiner Schwester Marie Theres widmete. Es kann als Leitfaden für die kommenden Zeilen gelten.
«I ha scho als chlyne Nachtigall all Arte Lieder gsunge,
wo mir d Gschwüschterti vo überall hend hei i d Stube brunge.
Dinn im Hus oder Stall und veruss uf em Fäld hemmer gsunge
und gjodlet, s het üs a nüt gfählt, und das us voller Lunge!»
Marie Theres wurde am 8. November 1951 im luzernischen Baldegg geboren. Sie war die jüngste der 10-köpfigen Kinderschar. Man kann sich vorstellen, dass das Leben in der grossen Bauernfamilie materiell gesehen mit Entbehrungen verbunden war. Dass auch das Geld für das Erlernen eines Musikinstruments fehlte, war so ein Wermuthstropfen. Obwohl sie das Nesthäkchen war, sei sie auch nicht besonders verwöhnt worden: «Geh du den Most holen, du hast noch jüngere Beine», ist ein Satz, der ihr noch heute im Ohr hängt! Dennoch erinnert sie sich gerne an die fröhliche Kindheit zurück: «S het üs an nüt gfählt!» Ein viel bedeutsamer Schatz wurde ihr mit dem Singen und dem Gefühl für den Zusammenhalt gegeben.
«Vo mim Vater hani s Jodle glehrt im Stall bi sine Tiere.
Amne Sunntig het är nid lang gwehrt und afo musiziere:
het si Orgele guet uf de Chneune zwäg grückt
und mit Walzer und Märschli üs Chinder beglückt,
mit s Neros Proteschtiere!»
Kurz vor ihrem 20. Geburtstag trat sie in den Jodlerklub Echo vom Seetal in Hochdorf ein und schon im Jahr darauf sah man sie erstmals an einem Jodlerfest im Duett auftreten. Jodlerfeste wurden zu regelmässigen Begleitern in ihrem Leben. Mit ihren Kleinformationen, als Solojodlerin und mit ihren Chören stand sie regelmässig auf den Teilnehmerlisten und sie engagierte sich auch als Jurorin. Im damals neu gegründeten Jodlerklub Santenberg wurde sie 1976 die erste Jodlerin und es entstand das Jodelduett mit Hans Schöpfer, mit welchem sie viele Auftritte bestritt. In dieser Zeit kam es auch zum Zusammentreffen mit Alex Eugster, das als schicksalhaft bezeichnet werden darf. Er wurde nicht nur ihr Produzent für viele Tonträger, sondern auch ihr Gesangslehrer. Sie weiss seither, dass mit geschulter Gesangstechnik nicht nur leichter und deshalb besser, sondern auch länger gesungen werden kann. Diese Erkenntnis vermittelt sie natürlich auch als Jodellehrerin. «Ich habe heute sogar noch 80-jährige Sänger in den Reihen, die mit Kraft und Ausdruck singen», sagt sie erfreut.
Während vielen Jahren erlebte sie mit Ruedi Renggli schöne Duettauftritte. In ihrer langen Karriere als Dirigentin betreute sie diverse Klubs. In den 1980-er Jahren lebte sie in Langenthal, wo sie im Nachbardorf Roggwil in den Jodlerklub eintrat, dessen Leitung sie von 1982 bis 1996 übernahm. 1984 gründete sie dort eines der ersten Kinder-Jodlerchörli, das als wegweisend für die heute grosse Kinderchörli-Bewegung des ganzen Landes gilt. Sie erkannte, dass der Umgang mit Kinderstimmen eine eigene Disziplin ist. Auf der einen Seite sehr erfreut über die allgemeine Entwicklung der Nachwuchsförderung ist sie oftmals auch enttäuscht darüber, wie leichtsinnig die Chorleitungen mit dem Thema umgehen. «Man kann im Kindesalter die Freude am Volkstümlichen und am schönen Singen wecken.» Mit diesem Erstkontakt wird es möglich, dass es später zum Eintritt in einen Jodlerklub kommt oder sogar – wie bei manchen ihrer ehemaligen Jodelkinder – Kursleiter und Jurymitglieder werden Auch mit den Jodlerinnen aus den jeweiligen Chören entstanden erfolgreiche Kleinformationen. Von 1995 bis 2008 stand Marie Theres dem Jodlerklub Aefligen vor und von 2006 bis 2015 übernahm sie die musikalische Verantwortung des damals 6-köpfigen Wäberchörlis Bärn. 2011 folgte schliesslich – mittlerweile war sie nach Beatenberg gezügelt – mit dem Oberländerchörli Interlaken ihr erster gemischter Chor.
«Es git Täg, do bini strahlend froh, dass ich fascht möcht verspinge.
Wönd mal dunkli Schatte i mi cho, is bange Härz ydringe,
sofort suech ich e passendi Melodie,
zure jedere Stimmig fallt mir öppis y,
muess eifach afo singe!»
Geht man davon aus, dass ihre Texte oft auch biographisch sind, so merkt man schnell, dass im Leben von Marie Theres nicht nur Sonnentage zu verzeichnen sind. Das sind dann aber Themen, die sie nicht in der Öffentlichkeit breitschlagen will. Sie weiss sich meistens selber zu helfen oder hat viele gute Leute in ihrem persönlichen Umfeld. Mit dem Lied «Gloub dra» sei sie aber auch ein bisschen ihr eigener Psychiater gewesen. Sehr gute Zeiten hingegen hat sie mit dem Jodlerchörli Geuensee erlebt. Nachdem sie den Dirigentenkurs absolviert hatte, übernahm sie im Januar 1978 diesen Klangkörper, den sie während vier Jahrzehnten sehr erfolgreich leitete. 40 Jahre lang besuchte sie mit dem Chor jedes Jodlerfest und 40 Mal erntete sie dafür die Höchstnote. Zum Abschied und als Dank hat das Chörli nochmals eine CD produziert. Darauf sind neben Neuaufnahmen auch typische und beliebte Lieder aus früheren Produktionen enthalten. Es erklingen neben dem Chörli auch diverse Kleinformationen; eine Eigenheit aller Programme von Marie Theres von Gunten. So hört man da beispielsweise das Lied «E helle Strahl», welches sie zusammen mit ihrer Nachfolgerin Yvonne Fend singt. «Mir war es immer wichtig, dass es nach mir gut weitergeht», erklärt sie. Die Tatsache, dass sie viele Jodler und Jodlerinnen selber ausgebildet hat, hilft ihr dabei.
Als Chorleiterin betreut Marie Theres von Gunten jetzt noch das Oberländerchörli. Als Jodellehrerin arbeitet sie in einem Teilpensum an der Musikschule Oberland sowie an jährlich vier Mehrtageskursen in Wilderswil, im Münstertal, in Saas-Almagell und an ihrem Wohnort Beatenberg. «Ich bin jetzt wirklich am abbauen», sagt sie, «altershalber, wie man sagt!» Sie sei jetzt auch wirklich glücklich, wenn sie einfach zuhause bleiben könne – ein Umstand, der für die unternehmungslustige Frau nicht logisch ist.
Wunderschöne Erinnerungen sind verknüpft mit Auftritten an Auslandsreisen nach Deutschland und Österreich, England, Japan, Korea, Südafrika, Malta, Hongkong und Kanada. Auch die regelmässigen Fahrten nach Geuensee waren für sie nie eine Belastung. Erst als es klar war, dass sie aufhören wird, habe sie manchmal gedacht, dass es jetzt dann auch gut sei so! Jetzt wird Marie Theres noch mehr Zeit für ihre weiteren Interessen finden. Ein besonderes Hobby ist dabei das Töfffahren. Nie hätte sie gedacht, dass sie einmal auf so eine Maschine sitzen, geschweige denn, selber damit fahren würde. Im Alter von 47 Jahren aber ergab sich die Gelegenheit dazu. Ihrem damaligen Partner vertraute sie voll und ganz, sass zunächst gerne auf dem Soziussitz und hat dann auf seine Beurteilung hin, dass sie dazu absolut fähig sei, selber den Führerschein erworben. Heute fährt sie mit ihrer 1100-er Yamaha gerne auch alleine durch die von ihr geliebte schöne Schweiz.
Jodeln ist Herzblut
Das Jodeln mit allen Facetten bedeutet für Marie Theres von Gunten mehr als das halbe Leben. Es habe ihr immer wieder Halt gegeben, sie sei damit selbstbewusst geworden und es habe ihr unzählige schöne Momente beschert. Für ihren Einsatz wurde sie verschiedentlich geehrt, so auch 2006 mit dem Goldenen Violinschlüssel. «Jodeln ist wirklich mein Herzblut!» In die Zukunft blickend hofft sie, dass noch mehr Jodlerinnen und Jodler dieses Herzblut für unsere Tradition haben. Die momentane Welle mit starken kommerziellen Einflüssen und damit verbundenen Stilbrüchen bis in die Schlager- und Popmusik hinein bereiten ihr Sorge. «Damit zieht man immer mehr Leute aus der Tradition weg, was für unsere Kultur negative Folgen haben wird», ist sie überzeugt. Da kann man nur ihrem Rat folgen, den sie bereits in ihrem beliebtesten Chorlied formuliert hat: «Lueget, loset, gniesset!»
Aktuelle CD
Auf der Doppel-CD sind in Erinnerung an 40 gemeinsame Jahre das Jodlerchörli Geuensee und seine Kleinformationen zu hören. Beliebte Choraufnahmen aus früheren Produktionen ergänzen das neu aufgenommene Programm von insgesamt 18 Titeln
Aktuelles Notenheft
Kompositionen für Solo, Duett und Terzett sind eine Spezialität von Marie Theres von Gunten. Im bereits sechsten Notenheft Heft sind 15 neue Lieder und Bearbeitungen zu finden.
Kontakt
Marie Theres von Gunten
Mon Repos, Tiefe 349c
3803 Beatenberg
Telefon 033 841 19 84
www.mthvg.ch