Kinder singen und jodeln
Vor 50 Jahren war das Singen von Volksliedern in der Schule und in der Familie eine Selbstverständlichkeit. Heute sieht das völlig anders aus. Auch im Kanton Obwalden. Dem entgegen zu wirken, war ein Grundgedanke der Initiantin des letztjährigen Projekts «Klingendes Klassenzimmer», der Musikschulleiterin Stefanie Dillier sowie der jodelnden Schwestern Petra Vogler-Rohrer und Andrea Rohrer-Rohrer. Jetzt ist daraus noch viel mehr geworden!
23.09.2016 | VON HANSPETER EGGENBERGER
Mangel an Interesse bei den Kindern kann nicht behauptet werden. Guter Zulauf in Kinderchören – besonders auch in Kinder-Jodelchören – beweisen landauf, landab das Gegenteil. Sicher sind die Hintergründe von Region zu Region unterschiedlich und nicht überall die geeigneten Lehrpersonen vorhanden. «Ich bin aber überzeugt, dass unsere Idee auch in allen anderen Regionen unseres Landes funktionieren würde», sagt Stefanie Dillier.
Fällt das Stichwort Kinderchor im Zusammenhang mit Obwalden, so kommen einem natürlich die Kernser Singbuben in den Sinn, die schon seit den späten 1940er-Jahren bestehen und in der ganzen Welt aufgetreten sind. «Ich habe mir gedacht, was die Wiener mit ihren Sängerknaben können, können wir hier in Kerns auch!» Das ist ein Ausspruch des Gründers Jost Marty, der die Kernser Singbuben dann vier Jahrzehnte lang leitete. Zu Beginn lag das Schwergewicht beim kirchlichen Choralsingen – weshalb sie anfänglich auch Choralbuben hiessen. Bald schon sangen sie auch schweizerische und internationale Volkslieder auf heimatlichen, schweizerischen und internationalen Bühnen, an kirchlichen und weltlichen Festivitäten. Viele Tonaufnahmen sind klingende Zeugen einer legendären Karriere.
Da sich die Kinderchöre – insbesondere die Knabenchöre – während ungefähr fünf Jahren komplett erneuern, ist der Fortbestand und Erfolg weitgehend auf die musikalische Leitung zurückzuführen. Jost Marty hat diesem Chor einen grossen Teil seiner Schaffenskraft gewidmet. Zusätzlich war er auch als Lehrer, Musiker und Komponist ein unermüdlicher Schaffer. Nach seinem frühen Tod im 68. Altersjahr übernahmen Martin Odermatt und Sepp Ettlin die Leitung des Chores und konnten an die früheren Erfolge anknüpfen. Seit 2008 ist nun Myriam Ettlin-Bissig die musikalische Leiterin der momentan 16 singenden Kernser Buben. Aus dieser eindrücklichen Geschichte zu schliessen, dass das Singen von Volksliedern im ganzen Kanton Obwalden gute Wurzeln hat, wäre sicher überrissen, hat aber dennoch etwas!
Obwaldner Jung-Juizer
Nach mehrmaligen Anfragen von Kindern und Eltern sahen sich die Jodlerinnen Petra Vogler-Rohrer und Gerda Durrer im Frühling 2006 motiviert, in den Jodlerklubs und Schulen des Kantons eine entsprechende Anfrage zu lancieren. Eine Bombenidee, wie sich bald herausstellte, denn 29 Mädchen und Knaben besuchten im Sommer des gleichen Jahres die erste Probe der Obwaldner Jung-Juizer. Inzwischen ist der Chor auf 52 Mitglieder im Alter zwischen sechs und zwanzig Jahren angewachsen. Mit ihrem Sieg am nationalen Folklorenachwuchs-Wettbewerb im Jahr 2008 wurde man erstmals national auf die Jung-Juizer aufmerksam und sie durften für die Mitwirkung auf der entsprechenden CD-Produktion erstmals vor die Studiomikrofone treten. Die Erfolge mehrten sich weiter: 2011 folgte der Auftritt am Internationalen Euro Chor Treffen in Oberstaufen (D), im Mai 2013 gewannen sie in Luzern den Prix Franz, worauf sie im Kleinen Prix Walo mitmachen durften und diesen in der Sparte Jodeln dann auch prompt gewannen. Einen Auftritt bei Star TV aus dem Kongresszentrum Zürich hatten sie damit im Sack!
Mit einer derartigen Laufbahn ist auch ein gewisser Leistungsdruck verbunden. Hatte Petra Vogler-Rohrer seit Anbeginn die alleinige musikalische Leitung, so holte sie sich 2014 die Hilfe ihrer Schwester Andrea Rohrer, mit welcher sie nicht nur im Jodlerklub Fruttklänge Kerns für die führende Jodelstimme singt, sondern auch als Jodelduett Geschwister Rohrer sehr erfolgreich ist. Nun feiert die fröhliche Jodelschar ihr 10-Jahr-Jubiläum. Extra hierfür wurde das Freiluft Kinder-Jodelmusical «Zyt und Liäbi statt Gäld» eingeübt. Dieses wird vom 1. bis 14. Oktober auf dem Bauernhof Widi bei Maxon in Sachseln aufgeführt.
Klingendes Klassenzimmer
Auf Initiative von Musikschulleitungen im Kanton Obwalden bietet die kantonale Kulturförderung im Bereich Musik seit 2011 ein Projekt für Obwaldner Schulklassen an. Ziele der alljährlichen Projekte sind bewegende, motivierende und lustvolle Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler in der Welt der Musik, Impulse für den Musikunterricht und der Mehrwert für die Volks- und Musikschulen im Kanton. Für das Jahr 2015 reichte die Musik- und Bewegungspädagogin und Musikschulleiterin in Alpnach, Stefanie Dillier, die Idee des Volksliedersingens ein. «Ich habe mich daran erinnert, wie wir zuhause oft gesungen haben und konstatiert, dass das heute nicht mehr so ist», erklärt die Pädagogin, deren Mutter noch bei Jost Marty gesungen hatte. Die Idee fand bei der kantonalen Kulturförderung Gefallen und Stefanie Dillier machte sich auf die Suche. Sie fand den Kontakt zu Petra Vogler und Andrea Rohrer, deren Kinder sie schon bei anderen Projekten kennengelernt hatte. Die Schwestern liessen sich unter der Bedingung für die Idee begeistern, dass dabei nicht nur Volkslieder, sondern auch Jodellieder integriert werden. Nach diesem Beschluss machte sich das Team an die Arbeit. «Wir wussten ehrlich gesagt nicht, was auf uns zukommt», sagen die beiden Schwestern heute mit einem Lächeln. Sie wählten sieben Lieder aus, setzten die Noten, machten eine Anleitung für die Singlehrer, bereiteten den dazugehörenden Workshop für diese vor und nahmen die Lieder zu Demozwecken selber zusammen mit den Musikern Edy Wallimann und Clemes Gerig auf.
Die Begeisterung bei den Lehrpersonen war gross, wobei insbesondere das Jodeln eine tiefe Wirkung hatte. Als Ziel des Projekts wurde in fast allen Gemeinden ein öffentliches Konzert in der jeweiligen Kirche oder Aula gegeben. Am Morgen trafen sich Schülerinnen, Schüler und Lehrpersonen sowie die Initiantinnen und Musikanten zur Stellprobe und am Abend traten sie «gsunntiget» zum Konzert an. «Da waren wohl alle Kindertrachten des Kantons im Einsatz», freuen sich die Schwestern Rohrer rückblickend, «und wer keine auftreiben konnte, trat im weissen Hemd an!» Der Gesang und das Jodeln, aber auch der farbenfrohe Auftritt begeisterte alle Beteiligten inklusive die Eltern. Stefanie Dillier freute auch die Tatsache, dass die Lehrerinnen und Lehrer mitten in der Kinderschar standen und mitsangen – ein Faktum, das in der heutigen Zeit nicht mehr selbstverständlich ist. Sie weiss, dass auch die jüngeren Lehrpersonen nicht zur Volkslieder singenden Generation gehören. Dass mit Jodeln auch Leute angesprochen werden können, die sonst dem Volkstümlichen nicht so nahe stehen, wissen die Jodlerinnen Petra und Andrea auch von ihren eigenen Auftritten. Da sieht man dann schnell einmal glänzige Augen, weil das Jodeln doch eine eigenartige, fast mystische Verbindung zu unserem Ursprung schafft und ein Stück Heimat in der globalisierten Musikwelt darstellt. Kürzlich haben dies die Schwestern anlässlich ihrer Reise nach China beim Singen in der Schweizer Botschaft in Peking erlebt, und genau Gleiches passierte auch beim Singen und Jodeln der Schulkinder im eigenen Kanton. Als krönender Abschluss des ganzen Projekts wurden die Kinder für einen Auftritt am Jodlerfest in Sarnen nochmals zusammengerufen. So kam es, dass dort 370 Kinder mit Volks- und Jodelliedern auftraten. Man war sich einig, dass «das klingende Klassenzimmer» noch nie einen derart breiten Erfolg hatte und man kann davon ausgehen, dass damit ein erster Schritt für die Rückkehr des Volkslieds in die Schulhäuser, aber auch in die Stuben der Kinder gemacht wurde.
Mehr als nur ein Notenbuch
Ganz bewusst wurde das in diesem Zusammenhang realisierte Buch in einer hohen Qualität hergestellt. Es zeigt auf 32 Seiten Inhalt 17 Lieder mit einstimmigem Notensatz. Diese Einfachheit lässt der Fantasie der Singenden – und das werden wohl nicht nur Kinder, sondern dem Wunsch der Initiantinnen entsprechend auch ganze Familien sein – freien Lauf und macht Berührungsängste niederschwellig. Zur weiteren Unterstützung wurden alle Lieder von Andrea und Petra – teilweise ergänzt durch die Obwaldner Jung-Juizer und begleitet von den vier Volksmusikanten Edy Wallimann (Klarinette/Saxophon), Clemens Gerig (Akkordeon), Daniel Vogler (Akkordeon) und Béat Studer (Kontrabass) – eingespielt und auf einer CD im Buchdeckel ins Werk integriert. Dort findet man auch eine zweite CD, die lediglich die instrumentale Begleitung enthält, was sicher zum fröhlichen Singen alleine oder in der Familie animiert.
Am Abä durap is Tal, dr Wäg
isch stotzig, steinig und schmal.
Doch s Härz isch voller Freid,
ä Juiz klingt uber d Weid.
Ja dr Mittelpunkt gid Chraft und Muät,
chumm uf Älggi, s tuäd diär guät!
Ein weiteres Element bilden die extra angefertigten Zeichnungen von Marianne von Ah-Kneubühler. «Wir wollten nicht einfach so allgemeine Illustrationen», erklärt Andrea Rohrer, «sondern solche, die auf unser Umfeld Bezug nehmen.» So zeigt der Buchumschlag die Älggialp, die als Mittelpunkt der Schweiz bekannt ist und zu welcher Andrea Rohrer ein eigenes Lied geschrieben hat. Fast schon symptomatisch für die vielfältige Arbeit beim Erstellen dieses Buchs mit CD wirkt die dritte Strophe (oben). Nicht zuletzt dank der schönen Resonanz bei Sponsoren kann nun am 19. November 2016 um 14.30 Uhr im Schulhaus Mattli in Sachseln die Vernissage von «Jodlä us em Härz vo dr Schwiiz» stattfinden.
Unermüdlich im Einsatz
Petra Vogler-Rohrer und Andrea Rohrer-Rohrer haben mit unermüdlichem Schaffen und mit viel Enthusiasmus das Volkslied im Kanton Obwalden neu thematisiert und mit der Herausgabe des Liederbuchs eine Grundlage zum Erhalt in der Zukunft geschaffen. Dass die beiden Hausfrauen und Mütter alles neben ihren täglichen Verpflichtungen in der Familie und im Geschäft, aber auch neben ihrem Engagement als Jodelduett und als Jodlerinnen im Jodlerklub gemacht haben, ist besonders zu würdigen. Man könnte vermuten, dass die Schwestern nach dieser Zeit mit intensiver Belastung – zwischenzeitlich wurde ja auch noch das Jubiläums-Musical eingeübt – für einen Moment etwas kürzer treten. «Wir sind teilweise schon an Grenzen gestossen», gestehen sie, «durften aber immer auch von den Profis – sei es im Notensatz oder bei der Buchgestaltung – auf gute Unterstützung zählen», sagen Petra und Andrea gleichzeitig. Und ob den beiden nicht gleich wieder etwas einfällt, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden …
Vier jodelnde Kinder und ihre Geschichten
Anja Reinhard (25.3.2007) wohnt in Kerns und besucht die 4. Klasse. Sie singt seit zwei Jahren bei den Obwaldner Jung-Juizern, zu denen sie durch ihre ältere Schwester fand. Ihr Vater war seinerzeit bei den Kernser Singbuben. «Mir gefällt sowohl das Singen wie das Jodeln», sagt sie. Schön sei es aber auch, einfach mit den Kolleginnen und Kollegen zusammen singen und auftreten zu können.
Corina Rohrer (24.12.2006) wohnt in Melchtal und besucht die 4. Klasse. In ihrer Familie wird nicht gesungen, durch das Projekt «Klingendes Klassenzimmer» wurde aber auch ihre Mutter auf das Jodeln aufmerksam. Corina besuchte nach dem Schulprojekt eine Schnupperprobe bei den Obwalden Jung-Juizern, welche ihr sehr zusagte. Seither steht sie dort in den Reihen. Ihr gefällt es besonders, wenn der Gesang mit Instrumenten begleitet wird und so das rhythmische Element mehr zum Tragen kommt.
Jonas Kiser (5.5.2004) wohnt in Giswil und besucht die 6. Klasse. Auch er singt und jodelt bei den Obwaldner Jung-Juizern. Einen Bezug zum Jodellied hat er auch durch seine Mutter, die früher Mitglied im Tschiferli-Chörli war. Ihm gefallen das Repertoire und die Kameradschaft des Kinderchörlis, die Reisen zu Auftritten und er ist einer der Spezialisten als «Aufjuchzer».
Remo Kathriner (21.1.2006) wohnt in Stalden und besucht die 4. Klasse. Bei ihm zuhause wird viel gesungen, sein Vater ist Mitglied im Jodlerklub Echo vom Glaubenberg. Seit vier Jahren singt er bei den Obwaldner Jung-
Juizern in der ersten Stimme und als Jodler. Das Jodeln bezeichnet er als liebstes Hobby und im Chörli freut er sich am Kontakt zu seinen Kameradinnen und Kameraden.
Jodlä us em Härz vo dr Schwiiz
Alls was bruichsch, Cowboy Charly, Der Gemsjeger, Dr Schuelerbuebe-Jodel, Geissepeter, I dr Schwiiz da simmer dr hei, Im Mittelpunkt vo dr Schwiiz, Im Summer, Kei Dokterruschtig, Miär Sennä hends luschtig, Morgä friäh, wenn d Sunne lacht, Obwaldnerlied, S Guggerzytli, S Schwiizerländli isch nu chli, Uf de Alpä obe, Uf em Bänkli vor em Huisli, Vo Luzärn uf Wäggis zue
Kontakt
Andrea Rohrer-Rohrer
Chilchweg 30
6073 Flüeli-Ranft
Telefon 041 660 55 51
www.kernsersingbuben.ch
www.jungjuizer.jimdoo.com