Pius Baumgartner
In der Schweizer Volksmusikszene kennt man Pius Baumgartner insbesondere als musikalischen Kopf der Chapella Clavadatsch oder als Teil der Swiss Ländler Gamblers. Der bald 50-jährige Vollblutmusiker mit Engadiner Wurzeln steht aber auch im Jazz- und Unterhaltungsmusikbereich erfolgreich auf der Bühne.
23.07.2017 | VON STEFAN SCHWARZ
Wer im Zusammenhang mit Volksmusik an das Engadin denkt, denkt fast automatisch an die Engadiner Ländlerfründa. Bereits im Vorschulalter war auch Pius Baumgartner von diesen Bündnerklängen fasziniert, die durch die Besetzung mit zwei Klarinetten, zwei Handorgeln und Kontrabass, den schier unerschöpflichen Ideenreichtum der Musikanten sowie die unverkennbare Spielart eine ganz besondere Prägung erhielten. Ab Anfang seiner Schulzeit durfte der in Samedan aufgewachsene Jüngling bei Dumeng Morell in St. Moritz dann selber das Spiel auf der Klarinette erlernen und fing erst recht Feuer für die Musik. Seine Mutter konnte damals nicht verstehen, dass ihr Junior viel lieber daheim im stillen Kämmerlein übte, anstatt draussen mit seinen Kollegen zu spielen.
Pius Baumgartner aber wollte seinen Vorbildern nacheifern und griff prompt auch zum Saxophon. Alsbald durfte der Teenager sein bereits beachtliches Können bei Domenic Janett noch verfeinern und an der Seite der Gebrüder Janett wertvolle Bühnenerfahrung sammeln. Ganz generell ist Pius Baumgartner äusserst dankbar für all die Auftrittsmöglichkeiten, die ihm seinerzeit im noblen Umfeld der Schönen und Reichen geboten wurden. «Die Gäste damals waren noch sorglos und das Geld spielte keine Rolle», berichtet Pius Baumgartner und erinnert sich an unvergessene private Auftritte bei prominenten Persönlichkeiten wie dem Schah von Persien oder dem Lebemann Gunter Sachs.
Die lustigen St. Moritzer und die Bernina Boys
Bereits ab dem Alter von 12 Jahren tingelte Pius Baumgartner drei- bis viermal pro Woche mit dem Trio «Die lustigen St. Moritzer» durch die Hotels und für die ersten Freinächte musste vorgängig noch die Bewilligung des Schulinspektors eingeholt werden. Anfänglich spielte der junge Bläser die Melodien seiner Vorbilder und anderer Komponisten ab Noten, doch sehr bald konnte er problemlos auch auswendig während vier bis fünf Stunden «aifach Stückli obe-n-aba spiela». Ähnlich verhielt es sich parallel dazu auch bei den Bernina Boys, einer damals im Engadin sehr gefragten 5-Mann-Band, welche mit ihrem bunten Musikmix zwischen Oberkrainer, Schlager, Dixieland und anderer gängiger Unterhaltungsmusik jeden Publikumswunsch erfüllen konnte. Die unzähligen Stunden auf der Bühne bezeichnet Pius Baumgartner rückblickend als wertvolles Geschenk und fügt an: «Junge haben heute meist gar nicht die Möglichkeit, sich derart auf der Bühne austoben und die musikalischen Sporen abverdienen zu können!».
«Ich möchte nicht nur mit der Klarinette in der Hand
ein angenehmer Zeitgenosse sein und etwas zu sagen haben!»
Auch nach der obligatorischen Schulzeit blieb die Musik omnipräsent im Leben von Pius Baumgartner und die nachfolgende Elektrikerlehre wurde vielmehr zur Pflichtübung. «Ich habe oft geübt, um am nächsten Auftritt meine Töne zu treffen. Aber ich habe nie geübt, um am nächsten Tag eine Lampe korrekt montieren zu können!», schmunzelt er und ergänzt: «Durch meine Erfahrungen auf dem Bau erhielt ich eine andere Optik aufs Leben und habe seither grossen Respekt gegenüber Handwerkern.» Genaue Zukunftspläne hatte der intuitiv lebende Pius Baumgartner zu jener Zeit keine. Er absolvierte regelmässige Auftritte, half einen Sommer lang einem Kollegen beim Restaurieren von goldenen Engeli und Kruzifixen in diversen Unterengadiner Kirchen und brachte im Winter den Gästen das Langlaufen bei. Auch bei diesen beruflichen Tätigkeiten merkte Pius Baumgartner, dass ein Mensch bei aller Freude an der Sache nicht einfach nur aus Musik bestehen kann. Heute bringt er diese Erkenntnis folgendermassen auf den Punkt: «Ich möchte nicht nur mit der Klarinette in der Hand ein angenehmer Zeitgenosse sein und etwas zu sagen haben!». Wer schon die Chance hatte – zum Beispiel bei einem guten Glas Wein – mit Pius Baumgartner über Gott und die Welt zu diskutieren, wird bestätigen können, dass sich der Musiker definitiv nicht nur mit der Materie Musik befasst, sondern das aktuelle Zeitgeschehen sensibel reflektiert. Diese Tiefgründigkeit hat ihn gleichzeitig auch in seiner Musikerkarriere weitergebracht.
Die Profi-Laufbahn
Nach der jugendlichen Leichtigkeit und einer anfänglichen musikalischen Unbeschwertheit auf der Bühne machte sich Pius Baumgartner auf die Suche nach der wahren Essenz und wollte die musikalische Materie richtig ergründen. Ab 1990 an der Jazz-Schule St. Gallen sowie später bei Meistern im In- und Ausland packte er seinen Rucksack immer voller und weiss seither nicht nur professionell mit Klarinette und Saxophon, sondern auch mit Gitarre und Querflöte umzugehen. Insbesondere das Beherrschen der drei Blasinstrumente ist für den Musiker in Big Bands, Unterhaltungsorchestern oder Musical-Produktionen von grossem Vorteil, was ihm unter anderen auch sein Vorbild Pepe Lienhard immer wieder eindrücklich demonstriert hatte. In diesem Zusammenhang ist Pius dankbar dafür, dass er einen Teil seiner Militärzeit in Pepes damaliger Swiss Army Big Band leisten und damit auch an dessen grossem musikalischen Erfahrungsschatz teilhaben durfte. Dank musikalischer Flexibilität und stetem Vorwärtsstreben konnte sich Pius Baumgartner im Laufe der Jahre ein wertvolles Netzwerk aufbauen, das ihm heute ein spannendes und abwechslungsreiches Musikerdasein mit regelmässig wechselnden Engagements in vielen verschiedenen Formationen ermöglicht. Geübt werden muss hierfür aber trotz Können und Routine, denn der Spagat zwischen völlig unterschiedlichen Musikstilen sowie der stete Wechsel der eingesetzten Instrumente ist absolut nicht zu unterschätzen. «Wer meint, er könne alles, der hat verloren!», ist Pius Baumgartner überzeugt und doppelt mit offenem Blick auf das ganze Leben nach: «Wer sich nicht bewegt, kommt auch nicht vorwärts!».
Die Liebe zur traditionellen Volksmusik und den eigenen Wurzeln hat Pius Baumgartner bei all seinen vielfältigen musikalischen Tätigkeiten nie verloren. «Es erfüllt mich noch immer mit Stolz, ein Ländlermusikant zu sein und ich hatte diesbezüglich auch nie irgendwelche Hemmungen! Wenn man Ländlermusik gut macht, gibt es keinen Grund, sie zu belächeln», kommentiert Pius Baumgartner die Berührungsängste vieler Schweizerinnen und Schweizer gegenüber ihrer eigenen Volksmusik, und meint schmunzelnd: «Der Schweizer hat einfach etwas mehr Mühe, zu seinen eigenen Traditionen zu stehen als beispielsweise ein Spanier, Schotte oder Grieche». Jedenfalls trifft man Pius Baumgartner nach wie vor regelmässig und voller Elan auf der Ländlerbühne. Besondere Freude machen ihm die gelegentlichen Auftritte mit seinem langjährigen Freund Carlo Simonelli, und auch mit der vor vielen Jahren als eine Art Kopie der Engadiner Ländlerfründa entstandenen Chapella Clavadatsch tritt er nach wie vor gerne auf: «Mit einer Ausnahme haben zwischenzeitlich zwar alle das Engadin verlassen, aber der Spass an der Musik hält uns weiterhin zusammen!». Seit vielen Jahren ist Pius Baumgartner auch fester Bestandteil der Swiss Ländler Gamblers, welche heuer ihr 20-jähriges Bestehen feiern dürfen und soeben die Aufnahmen für eine weitere spannende CD abgeschlossen haben. In dieser vielseitigen und von viel Spontaneität geprägten Formation kann der erfahrene Unterhaltungs- und Ländlermusiker mit Klarinette, Saxophon und Gitarre ebenfalls aus dem Vollen schöpfen.
Nütze die Zeit!
«Ich wollte und musste mein Geld stets mit der Musik verdienen und verwendete in meinem Leben kaum Zeit dafür, um mich mit ‹Kunst› zu verwirklichen», bekennt Pius Baumgartner, der die ihm zur Verfügung stehende Zeit als ein äusserst wertvolles Gut erachtet. So hat er zum Beispiel seit über 10 Jahren keinen Fernseher mehr und nutzt diese gewonnene Zeit viel lieber für den Gedankenaustausch mit seiner Lebenspartnerin oder eine ausgiebige Wanderung in den geliebten Engadiner Bergen. Als bekennender Genussmensch, der noch nie einen McDonalds von innen gesehen hat, gönnt sich der Musiker unterwegs aber gerne ein erfrischendes Bier oder lässt an einem besonders schönen Plätzchen auch mal seine Seele baumeln.
Pius Baumgartner hat in der Musik seine Berufung und längst auch sein Auskommen gefunden. Zwar nennt er weder Einfamilienhaus noch Rolls Royce sein eigen, doch solch materielle Werte interessierten ihn auch nie wirklich. «Glücklich ist, wer sich zufrieden gibt», sinniert er in Dankbarkeit für sein reich erfülltes Leben und freut sich auf alle Herausforderungen, die ihm noch bevorstehen.
Aktuelle Tonträger mit Pius Baumgartner
Pius Baumgartner
Geburtsdatum
25. Dezember 1967
Herkunft
Samedan GR
Familie
Glücklich liiert mit Catherine Kelly
Hobbys
Wandern, Langlaufen, Lesen, Kochen, Essen, ein Glas Wein, eigene Whisky-Sammlung
Beruflicher Werdegang
Nach der Ausbildung zum Elektriker arbeitete Pius Baumgartner nur kurz in diesem Berufsfeld und widmete sich wie schon zuvor mit Vorliebe der Musik. Daneben hatte er einige Aushilfsjobs, bevor er sich an der Jazz-Schule St. Gallen und weiterführenden Studien zum Berufsmusiker ausbilden liess. Während 10 Jahren unterrichtete Pius Baumgartner an der Musikschule Oberengadin, wo er heute neben seinen Aktivitäten als freischaffender Musiker wieder ein kleines flexibles Pensum inne hat.
Ein paar wichtige Stationen
Die lustigen St. Moritzer, Bernina Boys, Simonelli-Baumgartner, Peter Eigenmann Big Band, Chapella Clavadatsch, Swiss Army Big Band bei Pepe Lienhard, Monday Night Orchestra, Swiss Ländler Gamblers, Dani Felber Big Band, Thomas Biasotto Big Band, Bodan Art Orchestra, Christoph Walter Orchestra, Guya’s Soultrain, Robi Weber Trio & Friends, Coletta & Baumgartner, Kulturförderungspreis Kanton Graubünden 1996.
Persönlich
Mein Sternzeichen
Ich befasse mich nicht mit Horoskopen, bin aber gemäss Aussagen meines Umfeldes ein typischer Steinbock.
Mein Charakter
Meine Engadiner Herkunft prägte auch meinen Charakter, und ich bin bis heute ein Bergler geblieben. Ich bin bodenständig, zuverlässig, oftmals tiefgründig und kann durchaus auch lustig sein.
Meine Heimat
Ich bin dankbar, ein Schweizer zu sein. Hier fühle ich mich wohl und sicher und ich identifiziere mich mit meiner Heimat.
Mein Spieltrieb
Ich bin kein Spieler und setzte nie etwas aufs Spiel. Aber ich spiele sehr gerne Musik und geniesse es umso mehr, wenn mir dies «spielend» gelingt. Auch Anderes im Leben meistere ich am liebsten mit unbeschwerter Leichtigkeit.
Meine Tiere
Ich bin ein grosser Tierfreund und durfte in meiner Heimat eine grosse Vielfalt kennenlernen. Meine eigene Katze ist sehr wild und unabhängig, was mich ungemein fasziniert. Ganz generell finde ich, dass Tiere kein Spielzeug sind und auch wirklich Tiere bleiben sollten.
Meine Sportaktivitäten
Beim Wandern oder Langlaufen finde ich meinen seelischen Frieden. Denn wenn ich von einem hohen Berg hinunter in die Täler schaue, wird mir so richtig bewusst, wie unwichtig all die kleinen Sachen dort unten eigentlich sind.
Meine digitale Welt
Die ist sehr überschaubar und wird auch nur dort eingesetzt, wo sie mir einen Nutzen bringt. Zum Beispiel für den Mailverkehr, das Schreiben von Noten oder als notwendige Werbeplattform nach aussen. Viel lieber als Smartphone und Computer ist mir mein analoger Plattenspieler.
Meine Zukunft
Um die eigene Zukunft und die Länge meines irdischen Daseins mache ich mir keine grosse Sorgen. Aber ganz generell mache ich mir Sorgen um die Zukunft unserer Welt sowie unserer Umwelt. Wenn ich mir überlege, woher wir kommen und mir ausmale, wohin uns unsere Entwicklung noch führen wird, dann gibt mir das schon zu denken. Aus musikalischer Sicht fühle ich mich dank altersbedingter Reife und Abgeklärtheit fitter und aktiver denn je. Gleichzeitig freue ich mich darüber, dass meine Entwicklung nicht abgeschlossen ist und bin überzeugt, dass noch viel Spannendes auf mich wartet!
Kontakt
Pius Baumgartner
Straussrain 17
6344 Meierskappel
www.piusbaumgartner.ch
Telefon 079 643 87 01
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