Das erste Jodelmusical
Das Musical ist eine sehr beliebte Theaterform, in welcher sich Text und Musikvereinen und zu emotionalen Höhenflügen führen. Im Gegensatz zum altbackenen Singspiel hat die Bezeichnung Musical eine schon fast mysteriöse Anziehungskraft auf das allgemeine Publikum. Ganz allgemein erlebt die moderne Ausführung der Operette eine Hohezeit. Und jetzt meldet sich auch die Jodelszene mit einem ersten Musical!
25.07.2016 | VON HANSPETER EGGENBERGER
Fotos: Toggenburger Magazin
Die Schweiz gehört zu jenen Ländern, in welcher eine Vielzahl von Musicals laufend aufgeführt werden. Dabei ist der Erfolg seit Jahrzehnten anhaltend, wodurch die Schweizer Musicalszene auf eine längere Tradition stolz sein kann. «Der schwarze Hecht» aus dem Jahr 1939 dürfte der Pionier gewesen sein, dem schon 1951 mit der «Kleinen Niederdorfoper» das erste Musical in Mundart folgte. Konzentrierte sich die Szene in den Anfangszeiten hauptsächlich auf die Städte Zürich, Basel und Bern, so erlebte sie in den letzten zwei Jahrzehnten eine deutliche Ausdehnung auf das ganze Land. Dazu beigetragen haben sicher auch Aufführungsorte wie die Thunerseespiele, die Seebühne Walenstadt sowie weitere saisonale Openair-Bühnen. Die moderne Zeit begann 1994 mit «Space Dream», 2004 folgte das Musical «Ewigi Liebi», nach welchem die Szene explodierte. «Heidi – Das Musical», «Dällebach Kari», «Gotthelf – Das Musical» oder «Mein Name ist Eugen», «Stägeli uf, Stägeli ab» und «Io senza te» sind nur einige der bekannten und erfolgreichen Produktionen. Besonders mit diesen Mundart-Musicals reihte sich das Musicalangebot für das Schweizer Publikum in die weltweiten Erfolge wie «Die Schöne und das Biest», «König der Löwen», «Phantom der Oper», «Starlight Express», «Mamma mia» und viele mehr ein. Musikalisch beinhalteten diese Unterhaltungs-, Pop- und Schlagerlieder. Es war aber nur eine Frage der Zeit, bis sich die kompositorisch sehr aktive Jodelszene auch zu Wort meldete. Hinderliche Gründe waren die schwierige Suche nach geeigneten Darstellern, Jodlerinnen und Jodlern in einer verhältnismässig kleinen Szene, und der enorme Aufwand für die Proben sowie das Absorbieren der Laiendarsteller aus ihren jährlich wiederkehrenden Auftritten.
Bubas Traum
Der Freiburger Erwin «Buba» Bertschy ist auf verschiedenen Schauplätzen der Musik- und Theaterwelt tätig. Als Darsteller, Sänger, Autor und Eventmanager hatte er schon einschlägige Erfahrungen. Während er sich für alle gute Musik begeistern kann, schlug sein Herz aber immer am meisten für das Jodeln. Schon lange hegte der eifrige Musical-Besucher den Traum, einmal selber ein Jodel-Musical auf die Beine zu stellen. 2012 machte er sich tiefere Gedanken darüber und schrieb die Geschichte und das Grundkonzept. Dieses legte er einigen Komponisten vor, die dann zwar allesamt von der Idee überzeugt waren, sich aber nicht zum Mitmachen entscheiden konnten. Auch in seinem nahen Beziehungsfeld, in welchem sich etliche hervorragende Jodlerinnen und Jodler befinden, spürte er Zuspruch. Dazu gehört auch die Jodlerin Barbara Klossner, welche Buba den entscheidenden Tipp gab, sich mit dem Toggenburger Jodler, Komponisten und Dirigenten Ruedi Roth in Verbindung zu setzen. Ruedi, der auch in der lokalen Theaterwelt Erfahrungen als Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor hatte, stand gerade in einer Phase der beruflichen Neuorientierung. Als freier Mitarbeiter von verschiedenen Medien – auch in «Land&Musig» sind seine Artikel regelmässig zu lesen – kannte er die Arbeit in der Schreibstube. Bubas Idee erfasste ihn sofort und schon einige Tage später steckten die beiden Väter des ersten Jodelmusicals die Köpfe zusammen. Ruedi hatte sofort weitere Ideen zur Geschichte und konnte sich schon vorstellen, welche Musik dazu verwendet werden konnte. Von Anfang an war den beiden klar, dass die Darstellenden nicht völlig aus ihrem eigenen Jodelumfeld gezogen werden konnten. Deshalb entschieden sie sich dazu, neben wenigen Neukompositionen vor allem bestehende Lieder und Naturjodel zu verwenden. Eines davon ist Ruedi Roths Lied «Stilli Zärtlichkeite», das zugleich hervorragend zur Geschichte des Musicals passte und diesem somit den Titel und Inhalt lieferte: «Es lebät uf em Erdeball en Huuffe Sorte Lütli. S’git Riichi, Armi, öberall, de Underschied isch dütlich. Doch öppis isch bi allne gliich, cha jedem Freud bereite: Öb chlii, öb gross, sie wünschet sich: So stilli Zärtlichkeite!»
Eine Liebesgeschichte
Das Musical lebt von verschiedenen ineinandergreifenden Elementen. Zentral natürlich von der Geschichte, die von einer Liebe erzählt, die nicht sein durfte und somit in die Welt der Träume und Fantasien verbannt ist – eben stille Zärtlichkeiten: «Sepp, der als Waise bei seinem Götti auf einem Berggasthof aufwächst, und die aus katholischem Hause stammende Annemarie lernen sich kennen und leidenschaftlich lieben. Annemarie wird schwanger. Bevor sie dies Sepp aber kundtun kann, legen ihre Eltern ein vehementes Veto ein und verbieten ihrer Tochter, sich an diesen reformierten Burschen zu binden. Annemarie wird zu einer Familie ins Wallis geschickt, wo sie ihr Kind, weit weg von allen Bekannten, grossziehen soll. Sepp erfährt dies nie und das vergebliche Warten auf seine Liebe hinterlässt in ihm eine nachhaltige Verbitterung. Annemarie heiratet und bekommt eine zweite Tochter. Die lieblose Ehe ist aber von kurzer Dauer und Annemarie zieht ihre Töchter alleine auf. Über zwanzig Jahre vergehen. Von ihrer älteren Tochter gedrängt, endlich ihren leiblichen Vater kennenzulernen, rafft sich Annemarie auf. Trotz ihres schlechten Gewissens gegenüber ihrer einzigen grossen Liebe macht sie sich mit ihren Töchtern auf den Weg …»
Diese Geschichte wird in zwei Zeiten erzählt und spielt in den Jahren 1973 und 1995. Da die Darstellenden aus verschiedenen Regionen der Schweiz stammen, wird sie auch in diversen Mundarten erzählt, was dem Musical einen zusätzlichen Reiz verleiht. Um den Altersunterschied der Darstellenden auch umsetzen zu können, werden die meisten Rollen zweifach besetzt; einmal als junge Leute und einmal 22 Jahre älter. Auf die Frage, wie aktuell denn das Thema der Geschichte sei, antwortet Erwin «Buba» Bertschy: «Neben der Aktualität des Themas Liebe glaube ich schon, dass vor allem die verhinderten Lieben etwas sind, das die Leute beschäftigt. Denken wir nur an die Problematik des Zölibats!» Wie schon beschrieben, haben die Autoren neben neuen Partien verschiedene bereits bestehende Lieder eingebaut, die sie teilweise noch etwas der Geschichte anpassten und die jeweils nur kurz angesungen werden. Als musikalischer Leiter konnte Willi Valotti verpflichtet werden, der dazu auch mit seiner «Wyberkapelle» spielt. Ausserdem ist der Toggenburger Ländlermusikant Simon Lüthi Teil des Begleitensembles. Die Tatsache, dass an den zehn Aufführungsorten jeweils der örtliche Jodlerklub mitspielt, brachte dem musikalischen Konzept eine weitere Nuance.
Jodelnde Laiendarsteller
«Ich wusste, dass gute Jodlerinnen und Jodler auch gute Darsteller sind», erzählt Erwin Bertschy. «Sie haben als Solistinnen und Solisten Aufführungserfahrung und erzählen in ihren Liedern ja auch laufend Geschichten, wozu sie auch die passende Mimik anwenden müssen. Ausserdem konnten wir damit rechnen, dass diese auch ein gutes Rhythmusgefühl haben und somit die choreographischen Teile ebenfalls beherrschen werden». Diese Personen zu finden, war jedoch eine nicht einfache Aufgabe. Letztlich aber konnten Bertschy und Roth eine gut funktionierende Truppe mit sehr inspirierten Darstellerinnen und Darstellern zusammenstellen. Sie alle hier vorzustellen, würde den Rahmen dieses Artikel sprengen. Wer sich darum interessiert, findet auf der Website des Musicals viele Infos. Erwähnenswert ist jedoch, dass alle ein enormes Pensum mit dem Lernen der Rollen und Lieder, mit Szenen-, Chor- und Tanzproben geleistet haben. Da sie aus verschiedenen Gegenden der Schweiz stammen, eine grosser Anteil aber in der Ostschweiz lebt, und weil Ruedi Roth in seiner Heimatgemeinde über eine perfekte Infrastruktur von der Bühne bis zu Verpflegungs- und Übernachtungsmöglichkeiten verfügt, fanden die meisten Proben in Hemberg statt. Da die Laiendarsteller auch ihrem Beruf nachgehen müssen, wurden dazu etwa zehn Wochenenden reserviert. Weitere Proben fanden aber auch etwas zentraler in Olten statt. Die Aufgaben der Regie und der Choreographie wurden ausgewiesenen Profis übertragen. Regisseur ist Peter Zimmermann, der im ganzen deutschsprachigen Raum wirkt und als Schauspieler bezüglich Musical beispielsweise auch im «Dällenbach Kari» zu sehen war. Für die Choreographie zeichnet Franziska Flückiger verantwortlich.
Zu einer erfolgreichen Aufführung gehört in der heutigen Zeit ein nicht unbeträchtliches Equipement. «Wir haben versucht, die erforderlichen technischen Massnahmen für Kulissen, Bild und Ton in einem finanziell machbaren Rahmen zu halten und wussten natürlich, dass es schwierig sein wird, bezüglich technischem Aufwand mit den grossen Musical-Aufführungen konkurrieren zu können», erklärt Manager Erwin Bertschy. Als Trägerschaft wurde der Verein «Jodel Musical Freunde» mit Sitz in Hemberg gegründet. Neben den Sponsoren, die einen grossen Teil der Wünsche ermöglicht haben, mussten die Organisatoren auch mit dem Ticketverkauf rechnen. Dieser wurde den Gewohnheiten des Zielpublikums entsprechend niedrig gehalten. Als Aufführungsorte wurden Säle aus dem Umfeld der mitmachenden Jodlerklubs gewählt, die jeweils auch für die örtliche Organisation zuständig sowie als Betreiber der Gastwirtschaft mitbeteiligt sind. Die Première findet am 1. Oktober 2016 in Wattwil statt und die Dernière wird am 2. April 2017 im freiburgischen Wünnewil über die Bühne gehen. Dazwischen gastiert das Ensemble in Entlebuch, Burgdorf, Mümliswil, Reichenbach, Kägiswil, Naters, Schwyz und Herisau (siehe auch Inserat).
Ergänzung statt Konkurrenz
Abgesehen von der im Vorderrund stehenden Unterhaltung des geneigten Publikums wollen die Initianten weitere Ziele erreichen. Sie wollen aufzeigen, dass ein traditionelles Genre wie das Jodeln auch in modernen Aufführungsarten funktionieren kann, dass die Stimmen der Solistinnen und Solisten jenen der Musicalstars ebenbürtig sind und dass Jodlerklubs aus der ganzen Schweiz am gleichen Strick ziehen können. Damit soll die bekannte Art von Konzert und Theateraufführungen der lokalen Vereine überhaupt nicht konkurrenziert, sondern um ein weiteres Angebot ergänzt werden. So wird das Jodelfach einem neuen Publikum zugänglich gemacht, was gerade für die Nachwuchsförderung in den Klubs nicht unerheblich ist.
Bereits sind über die Hälfte der Tickets verkauft, was darauf hinweist, dass «Stilli Zärtlichkeite» zu einem weiteren Musicalerfolg in der Schweizer Theaterlandschaft wird.
Erwin «Buba» Bertschy
Erwin Bertschy wurde 1968 in Tafers geboren, wo er als drittes Kind mit zwei sieben und neun Jahre älteren Geschwistern aufwuchs.Die Familie war sehr volkstümlich und hielt sich in der Freizeit gerne in der nahen Bergwelt auf. Dort und zuhause wurde auch viel gesungen, obwohl die Eltern nicht in einem Jodlerklub aktiv waren. So wuchs «Buba» ganz natürlich in die Welt der Volks- und Jodellieder hinein.
Zunächst lernte er den Beruf des Spenglers und dann wurde er auch Dachdecker. Anschliessend absolvierte er die Bauleiterschule und arbeitete während zehn Jahren als solcher in einem Architekurbüro. In der Gemeinde Schmitten übernahm er alsdann die Verantwortung als Chef des Bauamtes. Nicht nur beruflich hat «Buba» gerne die Zügel in der Hand. Als Organisator von kleinen Vereinsreisen bis zu grossen Ferienreisen mit mehreren hundert Teilnehmern, als OK-Präsident von verschiedenen anderen Anlässen und als Manager von Theater- und Musicalaufführungen kann er dieser Leidenschaft Raum geben. Gleichzeitig ist er auch gerne selber auf der Bühne in Aktion und machte schon in diversen Festspielen und Musicals mit.
In seiner Freizeit interessiert er sich stark für Sport, für den Fussball im örtlichen FC, für das Bergsteigen und für Skitouren. Nach seiner Zeit als Fussballer trat er in den Jodlerklub Tafers ein, wo seine helle Jodelstimme sehr willkommen war. Am Konservatorium Freiburg und in Privatstunden bildete er sich sängerisch in verschiedenen Sparten aus und machte neben den Aktivitäten im Jodlerklub auch in einem Rock- und Gospelchor mit. Die Ausbildung zum Dirigenten im Jodelfach schloss er 2009 ab und seit 2015 leitet er den Jodlerklub Flamatt.
Neben diesen vielen Engagements liebt er auch das Familienleben. Mit seiner Frau Andrea und den beiden Kindern Flavio (9) und Ramona (6) nutzt er die Ferienzeit gerne für längere Aufenthalte, in denen er sich ausschliesslich der Familie widmet. Trotz erfolgreicher beruflicher Laufbahn hat sich Erwin Bertschy vor knapp fünf Jahren entschieden, seine Leidenschaften und Fähigkeiten in einer Firma zu vereinen. Seither besteht die «Buba Events GmbH», die jetzt auch für das Jodelmusical verantwortlich ist. Geblieben ist auch seine Freude am Bergsport, den er beispiels-weise als Skitourenleiter oder während dem Projekt «Wandern und Jodeln» auslebt.
www.buba-events.ch
Telefon 026 492 55 07
Tickets und weitere Infos
Telefon 0900 441 441
www.jodelmusical.ch