Musikalische Erlebnisreise durch die Schweiz
Es beginnt mit Musica Rumantscha und endet mit der Schwyzer Tanznacht. Es tönt aus der Ostschweiz ebenso wie aus dem Tessin. Wer Volksmusik liebt, erlebt am Volksmusikfestival Altdorf vom Freitag und Samstag, 18. und 19. Mai, spannende und unterhaltende Momente.
23.03.2018 | VON ERICH HERGER
«Schweizer Volksmusiken haben unzählige Gesichter, und selbst wir, die wir uns täglich mit ihnen befassen, entdecken immer wieder Neues oder Vergessenes», erklärt Markus Brülisauer, der Geschäftsführer des Hauses der Volksmusik und künstlerischer Leiter des Volksmusikfestivals Altdorf. Er hat für Freitag und Samstag, 18. und 19. Mai, ein Programm zusammengestellt, das für jede und jeden einiges beinhaltet. Das Volksmusikfestival Altdorf beginnt am Freitagnachmittag mit einem Netzwerktreffen zum kontroversen Thema der Etikettierung von Volksmusik.
Eröffnung mit der Chapella Erni
Einzigartig ist die musikalische Festivalpalette. Die Chapella Erni wird am Freitagabend das Festival musikalisch eröffnen. In den 1950er-Jahren gründete Anton Erni aus Tschlin die Familienkapelle Erni. Um zu verhindern, dass alte Kompositionen, teilweise aus Italien stammend, verloren gingen, hat er die Melodien aufgeschrieben. Jahrzehnte später entdeckte Sohn Jachen diese Noten. Als Andenken an Vater Anton nahm die Gruppe diese Melodien auf und gab sie unlängst auf der CD «Regordanzas» heraus. Neben Tochter Giacumina und Sohn Jachen spielen auch Nachkommen der zweiten und dritten Generation von Anton Erni mit. Fortgesetzt wird das Freitagabendprogramm mit der Hüüsmüsig Gehrig und InterFolk+. Die Urner Hüüsmüsig Gehrig ist eine Volksmusikformation, die sowohl kugelrund als auch konzertant aufspielt. Ihr Repertoire setzt sich vorwiegend aus alter und neuer Schweizer Volksmusik, vermischt mit Stücken aus anderen Ländern, zusammen. InterFolk+ besteht aus vier jungen Musikerinnen, die mit der traditionellen Volksmusik aufgewachsen sind, sich jedoch nicht vor der musikalischen Entwicklung der heutigen Zeit verschliessen. Die Hüüsmüsig Gehrig und InterFolk+ zeigen auf, wie vielfältig Volksmusik sein kann und wie sich Altes mit Neuem verbinden lässt. So ergibt sich eine volksmusikalische Reise quer durch die Schweiz – mit Abstechern ins Ausland. An der Tanznacht vom Freitagabend spielt die Ländlerkapelle Bühler-Fischer auf. Sie ist eine hervorragende Repräsentantin des Innerschweizer Ländlermusikstils.
Volksmusik grenzenlos
Am Samstag sorgen Nachwuchsformationen aus Uri für einen Ländler-Frühschoppen. Das musikalische Programm wird ergänzt mit einem Vortrag über den Volksmusikforscher Alfred Leonz Gassmann, dem Jodelworkshop für Mutige und der Vernissage des Notenbandes «Tänze aus Furna». Traditionell und zeitgenössisch, tänzig und legendär setzt das Festival im Verlauf des Samstags spannende Pluspunkte zwischen Unterhaltung und Kulturplatz der Volksmusik, hier und anderswo. Hat Volksmusik Grenzen? Hat Schweizer Volksmusik Grenzen? Die Formation Follchlore richtet ihr Gehör auch über die Grenzen hinaus. So sind in ihrem Repertoire nebst dem traditionellen Marsch, Schottisch, Walzer, Ländler, Polka oder Fox auch Melodien aus Deutschland, Reels und Airs aus Irland, Schottland oder Dänemark vertreten.
Das Duo mit Andreas Gabriel und Jürg Nietlispach experimentiert, improvisiert, tüftelt an Eigenkompositionen und bietet mit Geige und Gitarre ein Programm, dessen Vielfalt sich von traditioneller und zeitgenössischer Volksmusik aus der Schweiz bis zum Nordkap erstreckt. Die Musik von Madame Gmür kommt jener von André Rieus Abba-Interpretationen in keiner Weise nahe. Ihr Gesamtkonzept ist anderer Natur: Folk trifft Punk trifft Jazz trifft eigenes Material trifft Minimal trifft Elektro trifft Rock. Das Ganze in Hose und Uniform, dargebracht auf Akkordeon, akustischer und elektrischer Gitarre, Kontrabass und analogem Synthesizer. Und doch balsamieren immer wieder wunderbare Melodien das abgehärtete Ohr. So gesehen gibt es vielleicht doch kleine Berührungspunkte mit André Rieu.
Volksmusik aus dem Tessin
Die Musik der Bandella di Bedano, die ausschliesslich aus Blasinstrumenten besteht, wird ohne Noten gespielt und basiert auf Melodien und Harmonien, die einfach im Ohr sind. Das Repertoire dieser typischen Tessiner Formation geht über die bekanntesten Musikstücke aus dem Tessin bis hin zu Melodien aus den entferntesten Tälern im Kanton, ab und zu mit unbewussten Ausschweifungen in die Volksmusik aus Norditalien.
«Die Fränzlis kommen!» Erschallte dieser Ruf durchs Dorf, wusste die Engadiner Jugend des 19. Jahrhunderts: Heute wird bis weit in den Morgen hinein getanzt. Die heutigen Fränzlis spielen zwar fast ausschliesslich konzertant, für das Volksmusikfestival Altdorf lassen sie aber die goldenen Zeiten der Ur-Fränzlis aufleben und spielen zum Tanz auf. Als Gast dabei ist der Schwyzerörgeler Reto Grab, der die Bündner Seligkeit mit einer gehörigen Portion Innerschweiz würzt.
Frische, unverbrauchte Wurzelklänge vom Feinsten verspricht das neue Quartett MeMo aus der Innerschweiz mit John Wolf Brennan (Piano, Melodica), Maria Gehrig (Violine, Blockflöte), Hanspeter Wigger (Trompete, Flügelhorn, Alphorn, Büchel) und Jürg Nietlispach (Kontrabass, Gitarre). Wie klingt es, wenn sich die jazzig-lüpfigen Sounds von Pago Libre, die urchig-authentischen Töne von Pflanzplätz und der Alpinen Vernähmlassig und die orchestralen Klangfarben des 21st Century Orchestra zu einem Stelldichein treffen?
Musik, Geschichten und legendäre Ländlermusik
Christian Schmid, Autor und ehemaliger Redaktor bei Schweizer Radio SRF1 (Schnabelweid), erzählt berndeutsche Geschichten vom Musikmachen und von unseren Spuren in der Welt. Wort und Klang werden zu einem Teppich verwoben. Thomas Keller, Susanne Jaberg, Iris Keller und Lorenz Nejedly spielen, oft auf seltenen Instrumenten, herzbewegende hiesige Musik, Lieder, Jutze, Rufe – über die Emmentaler Hügel hinaus in alle Welten und Zeiten. Musik wie Poesie bringt das Ensemble Ungerwäx mit Lorenz Mühlemann und David Joss. Ihre schwerelose Musik bewegt sich von Folk im weitesten Sinne über Volksmusik der feinen Art bis zu eigenen Kompositionen. Das seltene Instrumentarium bezaubert in kommentierten Konzerten und öffnet Türen zu alten und neuen Klangwelten.
Wo Prisi drauf steht, ist gepflegte Ländlermusik drin. In der Volksmusikszene ist der Berner Oberländer Arthur Prisi als Akkordeon-Grossmeister bekannt. Die Feinheiten und die Virtuosität von Thuri Prisi & Co. verdienen ein genaues Hinhören. Legendär sind auch die Gebrüder Tobias und Torsten Betschart, der ruhmvollen Urschwyzer Sippe der «Piitschäs» entspringend und entsprechend auf musikalischen Kurs gebracht. Sie spielen mit Urs Müller und Peter Marggi ein Repertoire quer durch die Ländlermusik der 1960er- bis 1980er-Jahre. Das Handorgelduo Betschart-Müller lässt dabei kaum einen Tanz so legendärer Handorgelduos wie der Toggenburgerbuebe, Betschart-Rogenmoser, Betschart-Bellmont, Lüönd-Ulrich, der Kapelle Echo von Adelboden oder von Grossvater «S Piitschä Wysel» aus.
Extra-Programm der Hujässler und Klänge aus dem Roothuus
Es begann 1998 mit lüpfiger Innerschwyzer Ländlermusik als Ergänzung zu Pareglish, der damaligen Hauptformation von Markus Flückiger und Dani Häusler. Langsam aber stetig entwickelten die beiden mit Reto Kamer und Sepp Huber die Hujässler-Musik weiter. Bei allem Drang zu Neuem blieb die Liebe zu urchiger Ländlermusik aber immer bestehen. Extra für das Volksmusikfestival Altdorf stellen die vier Musiker, die seit nunmehr 20 Jahren in unveränderter Besetzung spielen, ein Programm zusammen, das den Bogen von urchiger Tanzmusik der ersten CD hochprozäntix über herzerwärmende Balladen bis hin zum technoiden Schottisch der letzten CD HujArt spannt.
Das Roothuus Gonten, das Zentrum für Appenzeller und Toggenburger Volksmusik, besucht das Volksmusikfestival Altdorf mit drei Formationen. Seit 1892 gilt die Fünferbesetzung mit zwei Geigen, Hackbrett, Cello und Streichbass als Original Appenzeller Streichmusik. Zu Gast in Altdorf ist die Streichmusik Vielsaitig. Seit etwa 1950 werden Appenzeller Tanzmusikstücke und Rugguusseli auch von Blasmusikformationen gespielt. Weil die Stücke nicht ausgeschrieben sind, wird die Spielpraxis «Stegräfle» genannt. Die Stegreif Gruppe Gonten spielt Rugguusseli, Schottisch, Polka, Mazurka und Walzer aus früherer Zeit, aber auch neue Kompositionen gehören zu ihrem Repertoire. Der Jodelklub Herisau-Säge wird neben Jodelliedern auch die ganze Bandbreite des typischen Naturjodels rund um den Säntis vorsingen.
Das Volksmusikfestival Altdorf geht am Samstagabend auf dem Tanzboden zu Ende. Die Formation Hölzix hat sich dem alten Innerschwyzer Stil verschrieben und lässt viele selten gespielte Kompositionen von Altmeistern wie Kasi Geisser, Hermann Lott, Heiri Meier, Leo Kälin, Lorenz Giovanelli und Toni Bürgler neu aufleben. Neuere Stücke wie zum Beispiel von Fritz Dünner und Ruedi Marti bringen Abwechslung ins Repertoire. Den absoluten Schlusspunkt des Volksmusikfestivals Altdorf wird das Trio Örgeliwirbel mit Marcel Zumbrunn, Remo Gwerder und Christian Grob setzen. Das Volksmusikfestival Altdorf bietet an zwei Tagen mit über 20 Formationen eine volkskundliche und volkstümliche Erlebnisreise durch die Schweiz. Es ist eine einzigartige Begegnung der aktuellen Schweizer Volksmusik.
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