Wässermatten im Oberaargau
Die Landschaft entlang der unteren Flussläufe der Rot, Langeten und Önz bietet eine überraschende Vielfalt sowohl aus Sicht der Pflanzen- und Tierwelt wie auch des historischen Bewässerungssystems, den sogenannten Wässermatten. Früher ein wertvolles Kulturland sind die Matten heute besonders ein wunderbares und leicht begehbares Wandergebiet für Naturliebhaber.
25.07.2016 | VON HANSPETER EGGENBERGER
Allein schon das Wort Wasser löst sofort unterschiedliche Assoziationen aus. Von den ersten sesshaft werdenden Menschen zu den Hochkulturen der Antike über das Mittelalter bis zur Neuzeit stand der Konflikt zwischen zu viel und zu wenig Wasser immer im Zentrum des Interesses. Dem Wasser war man dabei fast immer ausgeliefert, ob durch Dürren die Ernte einging oder Hochwasser Leben und Besitz bedrohte. Ebenso wichtige Aspekte sind die Wasserkraft, ohne die es nie eine industrielle Entwicklung gegeben hätte, das Wasser als Transportmittel und natürlich das Trinkwasser für Mensch und Tier. Der hochsommerliche Tourismus ist ohne das kühle Element undenkbar, und die Topografie der Bergwelt ist vom Wasser mitgestaltet worden. Vom lieblichen Lauf eines Bächleins zu grossen Flüssen, vom Bergbach auf der Alp zu imposanten Schluchten und vom verträumten Weiher bis zu den grossen Seen hat unser Land vieles zu bieten. Ebenso kennen wir aber auch sehr trockene Gebiete, die ohne eine Bewässerung durch Menschenhand nie grün und nutzbar geworden wären. Wohl am bekanntesten sind die Suonen oder Bissen im Wallis, die heute noch das Wasser aus den riesigen Reservoires der Gletscher an die trockenen, hauptsächlich südlich orientierten Berghänge bringen. Die meisten «Suonen» sind 500 Meter bis zwei Kilometer lang. Die längste ist die 32 Kilometer lange «Bisse de Saxon». Neben der Bewässerung wurden die Suonen auch als Trink- und Tränkewasserversorgung zum Waschen und teilweise zum Ausbringen von Mist genutzt. Natürlich wurden solche Bewässerungskanäle auch in anderen trockenen Berggebieten angelegt, so beispielsweise im bündnerischen Münstertal – dort nennt man sie «Auals» und auch im südtirolischen Vinschgau, wo man von «Waalen» spricht. Auch die heute mehrheitlich verwendeten technischen Sprinkleranlagen beziehen ihr Wasser oftmals aus den alten Wässerkanälen.
Besonderheit im Mittelland
Viel weniger bekannt sind Bewässerungssysteme im Mittelland. Ging es in den trockenen Berggebieten hauptsächlich um die Befeuchtung des Kulturlandes, so ging es in den sogenannten Wässermatten zunächst um den Aufbau und dann um den Erhalt von Kulturland. Zu beobachten sind solche Wiesen und Anlagen noch entlang dreier Flüsse im Oberaargau. Die Rot ist ein fast 13 Kilometer langer Bach an den Grenzen der drei Kantone Bern, Luzern und Aargau. Sie entspringt östlich der Gemeinde Gondiswil, fliesst an Grossdietwil und Altbüron vorbei nach St. Urban und vereinigt sich nach Roggwil mit der Langete. Von dort bis zur Mündung in die Aare heisst das Gewässer Murg. Länger ist mit 30 Kilometern die Langete, die am Ahorngrat im Napfgebiet entspringt. Huttwil und Langenthal sind die grossen Stationen, die sie durchfliesst und früher auch regelmässig überschwemmte. Aus Affoltern im Emmental schliesslich fliesst die Önz, die in ihrem Oberlauf Chappelenbach heisst. Vorbei an Wynigen und Herzogenbuchsee mündet sie schliesslich nach etwa 25 Kilometern bei Graben in die Aare. Die Wässermatten entlang dieser Flüsse sind die letzten Reste einer ehemals im Schweizer Mittelland verbreiteten Kulturform der genossenschaftlichen Wiesenbewässerung und -düngung. Die Praxis lässt sich bis ins 9. Jahrhundert zurückverfolgen und wurde im 13. Jahrhundert durch die Zisterziensermönche des Klosters St. Urban im Rahmen der Massnahmen zur Bodenverbesserung gefördert. Ein durchlässiger Kiesuntergrund sowie grossflächige Matten in der Talsohle sind günstige Voraussetzungen für Wässermatten. Auf lehmigem Untergrund kann man die Technik nicht anwenden, da dort das Wasser nicht versickern kann. Die Mönche aus St. Urban schufen weit verzweigte Systeme aus Kanälen und Gräben, schütteten Dämme auf und legten Hauptbewässerungsgräben mit «Brütschen» (Schleusen), Seitengräben mit «Ablissen» (Wässerauslässen), «Wuhren» (Wehre) sowie Staubrettern an. Die Wässermatten wurden früher mehrmals im Jahr gewässert. Die mitgeschwemmten Schwebstoffe düngten die Matten, wodurch eine merkliche Steigerung der Erträge erzielt wurde. Die Heuwiesen waren Voraussetzung für vermehrte Viehhaltung und damit grösserer Mistproduktion, die wiederum die Erweiterung des Ackerbaus ermöglichte.
Wässerbauern
Die Hauptgräben wurden von den Wässermatten-Genossenschaften im Gemeinwerk, die Seitengräben privat unterhalten. Heute werden im bernischen Oberaargau noch rund 80 Hektaren Wässermatten unterhalten, in der aargauschen Region Zofingen-Wiggertal noch etwa 15 Hektaren, im luzernischen Rottal, an der Grenze zum Kanton Bern, sind es noch gut 20 Hektaren. In allen anderen Regionen der Schweiz sind die Wässermatten entweder ganz verschwunden oder auf einzelne kleinere Flächen beschränkt. Die Zeit um 1900 gilt als späte Blütezeit der Wässermatten, als die Öffentlichkeit und die Landwirtschaft der Wässerwirtschaft eine hohe Wertschätzung entgegen brachten. Die Umwälzungen in der Landwirtschaft durch Rationalisierung und Mechanisierung, nicht zuletzt auch die Anbauschlacht in den Kriegsjahren bedeuteten aber für die Wässermatten eine starke Bedrohung, die sich nach 1939 beschleunigte und in den 1950er- und 1960er-Jahren zur Zerstörung zahlreicher dieser traditionellen Bewässerungskulturen führten. Durch das Aufkommen von Kunstdünger und die Möglichkeit der Klärschlammdüngung für Wiesen- und Ackerland schwand der Vorteil der Schwebdüngung in den Matten. Der Rückgang betraf auch die althergebrachten Wässerzeiten. In den Talmatten wurde nur noch unregelmässig gewässert, oft beschränkte man sich auf die Frühlings- und eine Sommerwässerung oder gar nur auf Trockenzeiten. Damit wurde auch die typische Zweiteilung der Agrarlandschaft in Talsohle mit Wässergrünland und in Talhänge (samt Terrassen) mit Ackerbau stark verwischt, so dass sich das Landschaftsbild augenfällig veränderte. 1983 wurden die Wässermatten ins Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung aufgenommen. Dazu war nicht nur die Voraussicht von Naturschützern nötig, sondern ganz besonders auch die Bereitschaft der Landwirte, ihren Beitrag zur Pflege der Kulturlandschaft zu leisten. Zur Wahrung aller Interessen wurde 1992 eine Stiftung gegründet, die mit 60 Bauern Bewirtschaftungsverträge abschloss, die – heute leider nur noch eine kleine – Entschädigung für Mehrarbeit und Minderertrag ausrichtet. Die Bauern wässern ihr Wiesland aber nicht nur wegen des Ertrages. Sie sind sich darüber bewusst, eine Jahrhunderte alte Fertigkeit weiter zu tragen und so ihr schönes Land sinnvoll zu erhalten.
Naherholungsgebiet
Durch das Erhalten der Wässermatten besteht im Oberaargau mitten im Schweizer Mittelland ein einzigartiges Naherholungsgebiet. Entlang der grösseren Gräben stehen Hecken, Büsche und Bäume, welche dem Besucher immer wieder neue Blickwinkel eröffnen und so eine Landschaft zeigen, wie sie ursprünglich vielerorts im Mittelland zu finden war. Die Vielfalt von Fauna und Flora ist eindrücklich. Da stehen Erlen, Weiden, Traubenkirschen, Eschen sowie einzelne, markante Eichen. Auf den Wiesen wachsen Kerbel, Bärenklau, Wiesenfuchsschwanz, Wiesenschaumkraut, Kohldistel und Scharbockskraut und vieles mehr. Und auch die Tierwelt erfreut sich an den urtümlich anmutenden Matten. Dazu gehört natürlich das Reh, das die hohen Heugrasbestände für den Aufenthalt zur Setzzeit schätzt. Auch Biber haben sich wieder niedergelassen und helfen den Wässerbauern ab und zu beim Stauen der Wasserläufe. Stockenten, Bachstelzen, Wasseramseln, Turmfalken und Mäusebussarde sind ebenso heimisch wie sogar ein Storchenpaar. Im Herbst werden die Wässermatten für kurze Zeit Quartier für verschiedene Zugvögel. Die Mäuse befinden sich in den Wässermatten in einer ganz besonderen Situation. Sie leben nämlich dauernd unter dem Damoklesschwert der Wässerung! Das heranflutende Wasser dringt in die Gänge ein und ertränkt dort einmal mit Sicherheit Nester und Würfe. Die älteren Tiere fliehen vor dem Wasser auf erhöhte Stellen. Wenn eine Maus einen solch rettenden Hügel erreicht hat und sich erleichtert zu putzen anfängt, ist sie damit oft nur vom Regen in die Traufe gelangt. Die Krähen warten bereits in Scharen. Im Winter wissen auch etwa Fuchs und Dachs diesen leichten Nahrungserwerb zu schätzen. Man muss es klar sagen: Die Wässermatten sind eine historische Seltenheit und eine einzigartige Naturlandschaft, also keine Erlebnisparks mit garantierten Adrenalistössen. Wer den Sinn dafür hat, wird hier aber herrliche Spaziergänge und Wanderungen mit vielen Erlebnissen geniessen. Ausgangspunkte im Rottal und entlang der Langete können bequem mit Zug und Bus erreicht werden – und das alles nur wenige Minuten abseits des pulsierenden Lebens.
Die 10 Gebote der Wässerung
- Man kann nur da mit Erfolg wässern, wo zwei Tage nach Abstellen des Wassers
wieder mit bespanntem Wagen gefahren werden kann. - Das Wässern wirkt am besten, wenn die Steine in der Langeten schwarz werden.
- Das Wasser muss rieseln, es darf nicht ruhig stehen bleiben.
- Je wärmer das Wasser, umso besser wirkt es.
- Das Wässern im Herbst wirkt am günstigsten, es wirkt auch noch im Frühling.
- Auf frisch geheuten Matten soll nicht gewässert werden, weil sonst die ausgefallenen, bestandverjüngenden Grassamen fortgeschwemmt werden.
- Wird während der Flugzeit der Maikäfer gewässert, so werden in den Matten keine Eier abgelegt.
- Fliesst das Wasser auf einer Matte, so darf es während grosser Hitze nicht abgestellt werden.
- Oberhalb Langenthal wirkt das Langetenwasser weniger gut als unterhalb (gilt heute nicht mehr).
- Es ist besser, das letzte Gras im Herbst auf den Wässermatten abzuweiden als zu mähen, da der Pflanzenbestand sonst leidet.
nach Walter Bieri 1893-1981
Routen und Infos zum Wandern in den Wässermatten
Langenthal – Roggwil (1 Std.) Rückfahrt ab Roggwil mit der Bahn
Langenthal – Kaltenherberge Roggwil-Muementalerweier – Höchi – Muniberg – Aarwangen (2,5 Std.) Rückfahrt ab Aarwangen mit der Bahn
St. Urban – Walliswil – Roggwil (1 Std.) – Murgenthal (1,5 Std.) Hinfahrt von Langenthal nach St. Urban mit der Bahn, Rückfahrt ab Roggwil oder Murgenthal mit der Bahn
Madiswil – Lotzwil – Langenthal (2 Std.) Hinfahrt von Langenthal nach Madiswil mit der Bahn
Wanderbuch
BWW Berner Wander Wege Nr. 3092: Emmental – Oberaargau
Wanderkarten
Swisstopo: Spezialblatt 5019 Weissenstein – Oberaargau, 1:50 000; SAW: Blätter 224 T Olten und 234 T Willisau, 1:50 000; K + F: Oberaargau – Solothurn – Sempachersee Nr. 5, 1:60 000
Führungen für Gruppen auf Anfrage
Wässermatten-Stiftung, Langenthal, Telefon 062 916 01 04; Biodiversia GmbH, Langenthal, Telefon 062 923 50 83
Kontakt
Tourismus Oberaargau
Jurastrasse 29
4900 Langenthal
Telefon 062 919 19 00
www.myoberaargau.com