Volksmusik aus dem Allgäu
Die Wurzekrätte-Museg ist ein verhältnismässig junges Volksmusikquartett aus dem Oberallgäu, genauer aus dem Kurort Bad Hindelang. Volksmusik gibt es dort wie überall im Alpenbogen schon lange und sie ähnelt im Aufbau und Ablauf der Unsrigen. Besonders bei dieser Kapelle ist jedoch die Verwandtschaft durch die Tatsache, dass die Schweizerin Heidi Karg-Grob auf dem Akkordeon mitspielt.
23.05.2018 | VON HANSPETER EGGENBERGER
Die Gemeinde Bad Hindelang liegt im bayrischen Oberallgäu im Ostrachtal. In unmittelbarer Nähe befinden sich Sonthofen und Oberstorf, die vor allem den Wintersportfreunden ein Begriff sind. Im Ort beginnt die Strasse über den Oberjochpass, der mit 107 Kurven als die kurvenreichste Strasse Deutschlands gilt und über die Landesgrenze ins Tirol führt. Die Leute reden dort Allgäuerisch, ein allemannischer Dialekt, der dem nahen Vorarlbergischen ähnlich ist. Beim persönlichen Treffen mit der Wurzekrätte-Museg können die Land&Musig-Interviewer ihren Schweizer Dialekt beibehalten und verstehen problemlos auch die urchige, sympathische Sprache vom Harfenisten Franz Blanz und der Bassistin Vera Waibel. Traudl Karg konnte leider an diesem Treffen nicht dabei sein. Heidi Karg-Grob kennt man hierzulande noch aus ihrer Kinder- und Jugendzeit, als sie mit der Familienkapelle Grob aus dem toggenburgischen Hemberg auftrat, und die ihren Toggenburger Dialekt bis heute nicht abgelegt hat. Und hier gleich noch eine sprachliche Erklärung: Eine Wurzekrätte ist ein Rückentragkorb, den wir bei uns je nach Landesgegend eine Hutte, Chrätze oder Tschifera nennen. «Weil wir in unserer Formation viele unterschiedliche Stücke spielen, fanden wir bei der Gründung der Kapelle, dass der Name Wurzekrätte-Museg sehr gut passt», erklärt Heidi: «Man kann etwas Neues hineinlegen, etwas herausnehmen oder einfach mittragen!»
Ersten Kontakt knüpften die drei Frauen sowie ihr «Hahn im Korb» im Kirchenchor Hindelang. Traudl Karg (1948) ist im Ort aufgewachsen und die Schwiegermutter von Heidi Karg (1970). Vera Waibel (1967) ist ebenfalls durch Heirat nach Hindelang gekommen und Franz Blanz (1948) stammt wie Traudl ebenfalls aus Hindelang. Auf speziellen Wunsch haben die Vier für einen Auftritt an einem Familienfest vor drei Jahren eine Stubenmusig gebildet. Der Auftritt fand sofort guten Zuspruch und weil das gemeinsame Spiel auch ihnen selber sehr gefiel, entschlossen sie sich, weiter miteinander zu üben. Seither hört man die Wurzekrätte-Museg immer mehr an Geburtstagen, Hochzeiten, Messen und natürlich bei Musikantentreffen. So integrieren sie sich in die örtliche Folkloreszene, zu welcher diverse «Tanzlgruppen» – darunter viele junge Leute – und «Joler» gehören. Anders als bei uns vermischen sich Sängerinnen und Sänger mit Musikantinnen und Musikanten, die beispielsweise an Musikantentreffen abwechselnd auftreten. So gehört das «Jolen» auch zum Repertoire der Wurzekrätte-Museg.
Die vier Wurzekrätter
Franz Blanz ist heute Rentner. Noch immer aber ist er auch ein Künstler, der gerne Bilder malt. Gelernt hat er das in seinem Beruf als Grafiker, der bei einem Kunstmaler die Ausbildung bekam und dann in ganz Europa als Restaurator arbeitete. Er ist aber auch ein talentierter Tausendsassa, war er doch leitender Dekorateur in einem noblen Hotelbetrieb. Gleichzeitig führte er zusammen mit seiner Frau und fünf Angestellten das Heimatwerk von Hindelang, in welchem er selber beispielsweise Stickereien für Trachten und Hauben herstellte. Sein Flair für schöne Sachen zeigt sich auch in seiner Wohnung in einem 300-jährigen Haus, das er geschmackvoll und mit viel Liebe zum Detail eingerichtet hat. Franz hat zwei erwachsene Töchter und bald auch sechs Enkel. In der Volksschule lernte er das Spiel auf dem Klavier und der Gitarre. Sein Lehrer war der damals weit herum bekannte Michael Bredl, in dessen Musikgruppe Franz bald mitspielen konnte. Die Bredl-Gruppe war sehr beliebt und trat auch international auf. Auch mit seinem Bruder, der «Diatonische» spielte, und seiner Ehefrau als Bassistin absolvierte er zusätzlich viele Auftritte. Das Harfenspiel hat er sich dann selber beigebracht. Mit seiner klangstarken Tiroler Harfe hört man ihn bei den Wurzekrätter sowohl als Vorspieler wie auch als Begleiter. «Ich muss jeden Tag üben, damit ich den hohen Anforderungen meiner Frauen genügen kann», lacht er!
Traudl Karg ist eine Jahrgängerin von Franz und sie haben schon miteinander die Schule besucht. Auch sie ist multimusikalisch und spielte in der Bredl-Gruppe. Musik spielte in der Familie Karg schon immer eine grosse Rolle. Traudls Vater spielte ebenfalls Geige und bildete zusammen mit seinen Brüdern die Hindelanger Schrammelmusik. Von ihm hat Traudl viele Tänze übernommen – Noten gibt es weitestgehend nicht –, die heute von der Wurzekrätte-Museg wieder gespielt werden.
Schwiegertochter Heidi Karg ist Hausfrau und Mutter von vier Kindern im Alter zwischen 10 und 17 Jahren. Im Sommer geht sie mit ihrer Familie auf die Alp, wo ihr Mann als Hirte 100 Stück Vieh betreut. Ihn hat sie damals am internationalen Volksmusikfestival 1992 in Innsbruck kennengelernt. Er ist wie seine Mutter sehr musikalisch, leitet eine Jolergruppe und hat ein Zithertrio. Heidis musikalische Anfänge liegen in der Kinderzeit, als sie den Akkordeonunterricht bei Willi Valotti besuchte und mit ihrer Schwester Maja, dem Bruder Christian und Vater Hansruedi die Familienkapelle Grob bildete. Diese trat während 13 Jahren auf und war in Ländlermusikkreisen geachtet und beliebt. «Da wir ziemlich weit abseits wohnten, kamen wir nur durch diese Auftritte dazu, viele andere Orte in der Schweiz zu besuchen. Es war eine wunderschöne Zeit die meine Kindheit bereichert hat», erklärt Heidi.
Vera Waibel hat zwei Söhne und ist seit mehr als drei Jahrzehnten Sachbearbeiterin im Einkauf beim Autoindustriezulieferer Bosch. Ihr Mann spielt Piano-Akkordeon und auch ihre Söhne schätzen das Musizieren. Seit 25 Jahren musiziert Vera gleichzeitig noch in der weitherum bekannten Altstädter Stubenmusik, die mit Harfe, Gitarre, Hackbrett oder Querflöte sowie mit Bass oder Zither auftritt. Während sie das Spiel auf der Zither gründlich gelernt hat, bekam sie auf dem Kontrabass nur wenige Musikstunden. Den Rest hat sie sich dann autodidaktisch angeeignet.
Alpenländisches Repertoire
Die Volksmusik im Allgäu ist stark im Volkslied begründet. So kann man zahlreiche Lieder, vielleicht auch wegen dem Dialekt, als für die Region typisch ausmachen, instrumentale Volksmusik hingegen kaum zuordnen. Aus dem Ostrachtal, wo die Wurzekrätte-Museg zuhause ist, stammen etwa 170 Lieder. «Wir spielen wie viele Gruppen bei uns einfach das, was uns gefällt!» Deshalb hört man von Allgäuer Formationen Melodien aus Bayern ebenso wie solche aus dem nahen Tirol. Und bei den Wurzekrätter eben auch Schweizer Tänze, die sich gut mit der Geige spielen lassen. Hierzu eignet sich natürlich das Appenzeller Repertoire hervorragend, das Heidi schon in frühester Kindheit wahrgenommen hat. Sie spielt aber auch andere Schweizer Titel vor, wozu natürlich auch solche ihres Lehrers Willi Valotti gehören. Franz spielt auf seiner Tiroler Harfe gerne Titel aus dem Tirol und aufgrund seines sängerischen Hintergrunds auch viele Lieder. Fachlich kann man festhalten, dass die Allgäuer ihre Stücke gerne drei- und vierstimmig spielen und kaum Moll-Stufen eingesetzt werden. Die instrumentalen Besetzungen sind kaum typisiert, hingegen kann man einige sogenannte Triomusiken ausmachen, die mit der «Steirischen» oder einem Akkordeon, einer Gitarre und Bass auftreten. Die meisten Titel sind traditionell überliefert und es existieren keine Noten. Mit Franz Blanz haben die Wurzekrätter in ihren Reihen zudem einen eigenen Komponisten.
Heirassa-Festival als Meilenstein
Erstmals kann man die Wurzekrätte-Museg bald auch in der Schweiz hören. Sie tritt am diesjährigen Heirassa-Festival (7. bis 10. Juni in Weggis) auf, und wird dort in der Radio-Livesendung «Potzmusig» vom Samstag und in einem eigenen Konzert am Sonntag von 11.30 bis 13.20 Uhr im Hotel Beau Rivage auftreten. Sicher wird sie im vielfältig interessanten Festival-Programm mehr als nur ein Farbtupfer sein und so die Schweizer Volksmusikfans begeistern. «Das wird ein Meilenstein in unserer noch jungen Kapellengeschichte», erklärt Franz Blanz stolz, der zusammen mit seinen Musikkolleginnen hofft, dass sie noch möglichst viel und lange miteinander musizieren können. Da die Vier ihre Freundschaft schätzen und pflegen, gehört zu jeder wöchentlichen Probe auch eine typische Brotzeit, bei welcher örtliche Spezialitäten mit Fleisch und Wurst, Käse und Brot auf den Tisch kommen. Und genau so runden auch die Land&Musig-Macher den gemütlichen Abend in der heimeligen Stube von Franz Blanz anlässlich des Interview-Termins ab.
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Heidi Karg-Grob
Am Pfannenstiel 3
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