Heimeliger Ort an der Sprachgrenze
Steht auf den Höhenwanderungen auf der südlichen Solothurner Jurakette die grandiose Aussicht auf die Alpen immer wieder im Zentrum, findet man auf der zweiten Kette ein ganze anderes Erlebnis. Die Natur selber, die Flora, die Wälder, die Weiden und die Sicht über die Hügel zu den benachbarten Juraweiden ziehen den Wanderer in ihren Bann. Ein gutes Beispiel ist der Oberdörfer, wo Andi Schnider und Luzia Schnyder für heimelige, familiäre Atmosphäre sorgen.
23.05.2017 | VON HANSPETER EGGENBERGER
Andi Schnider ist ein gewandter Erzähler und hat im Verkauf, im Tourismus sowie als Geschäftsleiter in seinen ersten fünf Lebensjahrzehnten viel Erfahrung sammeln können. Entsprechend routiniert im Umgang mit anderen Menschen erklärt der heutige Hausherr auf dem Oberdörfer die Fakten, die es zum Berg, der Rinderweide im solothurnischen Thal auf Gemeindeboden von Gänsbrunnen und dem dortigen Berggasthof zu sagen gibt. Er erklärt, dass er schon vor 50 Jahren erstmals mit seinen Eltern hier war, dass der Oberdörfer ein beliebtes Ausflugsziel der Familie war und dass seine Liebe dazu dort tiefe Wurzeln geschlagen hat. «Schau mal ringsum», sagt er auf der Terrasse vor dem Haus bei herrlichem Wetter: «Das alles gehört zu unserem Leben …». Dann erstickt seine sonst feste Stimme in Freudentränen. Das ist es, was einen echten Juraliebhaber auszeichnet.
Andi und Luzia
Andi Schnider wuchs in Luterbach bei Solothurn auf. Wie für viele Familien der Region war und ist auch für Schniders der Berg – womit die Jurahöhen rund um den Weissenstein gemeint sind – ein beliebtes Ziel für Sonntagsausflüge. Man wandert von einem Berggasthof zum nächsten, wo man nicht nur die Wirtsleute kennt, sondern auch viele Freunde regelmässig trifft. Es sind eben nicht nur der Berg allein, die schöne Aussicht, die Wanderungen auf einfachen bis zu sehr anspruchsvollen Routen und die gemütlichen Berggasthöfe, die den Besucher immer wieder locken. Viel mehr ist es die Gastfreundschaft der Wirtsleute in den Berggasthöfen. Schliesslich geht man nicht einfach in ein Haus zu Besuch, sondern zu lieben Menschen. «Ich kannte schon Franz und Theres Stalder, die hier während 70 Jahren gelebt und gearbeitet haben», erzählt Andi. Und er weiss auch noch, dass er wie alle Kinder auf dem Oberdörfer jeweils von Theres Stalder ein Schoggistängeli bekam. In dankbarer Erinnerung an diese wunderbare Zeit, hat er diese Tradition zusammen mit seiner heutigen Lebenspartnerin Luzia Schnyder wieder eingeführt. Sie schätzen das einfache Leben als Hirten und Wirtsleute auf dem Berggasthof, den sie vorläufig für ein Jahrzehnt beleben. Luzia, die in Halten bei Kriegstetten aufgewachsen ist und lange dort mit ihrer Familie gelebt hat, hat viel Erfahrung im Gastgewerbe. Sie war Service-Fachangestellte und Receptionistin in einem Hotelbetrieb. Heute aber ist sie in erster Linie Köchin in der einfachen Küche des Berggasthofs. Und so haben sich die beiden in einem Beruf gefunden, den sie nicht gelernt haben, aber dafür mit umso mehr Herzblut ausüben. «Me cha überall schaffe, we me wott. U we me dräckigi Händ het, cha me se wäsche», ist Andis Losung. Er hat im Alter von 50 Jahren gelernt, mit dem Traktor zu fahren, zu holzen und zu heuen und mit den Rindern umzugehen, die den Sommer hier auf gut 1’200 Metern über Meer verbringen. Ihre Begeisterung für die Sache und Freude an den Besuchern spürt man dann am besten, wenn sie sich die Zeit nehmen, einen kurzen oder auch längeren Schwatz zu halten. Dann merkt man, dass hier die Uhren anders ticken. Die Hektik ist im Tal geblieben und man erholt sich in kurzer Zeit davon, wenn man ihr Lebensmotto auf der Holzbank vor dem Haus verinnerlicht: «Zyt lo stoh!» So machen sie es jetzt bereits im sechsten Sommer. Am 20. April 2012, kurze Zeit nachdem sich die beiden anlässlich einer Schneeschuhtour auf dem Oberdörfer kennengelernt haben, zogen sie mit Sack und Pack hier ein. «Andi hat mir von seinem Traum erzählt, einmal hier leben zu dürfen», schildert Luzia. Und weil er das angesichts der herrlichen Natur und Sicht über das ganze Tal machte, war Luzia sofort davon begeistert.
Bergrestaurant
Das Bergrestaurant ist ein heimeliger Kleinbetrieb, in welchem 32 Gäste im Restaurant und bei schönem Wetter zusätzliche 100 Personen ums Haus herum Platz finden. Passend zum einfachen Berglerleben und den Umständen mit der relativ kleinen Küche angepasst, ist das Angebot auf der Karte. Sehr beliebt sind «Hörnli u Ghackets» mit Apfelschnitzen, Älplermagronen, das Oberdörfer-Plättli, diverse Salate und kalter Braten oder Hamme. Jeden Tag backt Luzia diverse Früchtekuchen – «bei uns gibt es weder Pommens Frites noch Nussgipfel!» – und jeweils am Sonntag traditionell die Schwarzwäldertorte. Eine Spezialität ist durchs ganze Jahr das Fondue, für welches seit 1995 der Käse aus der Fromagerie Moléson verwendet wird. Da auf dem Oberdörfer keine Tiere zur Fleischproduktion gehirtet werden, gibt es dort keine Fleischprodukte aus dem eigenen Betrieb.
Der ganz früher dem Kanton Solothurn gehörende Oberdörfer ist seit 1909 in Privatbesitz. Seit Luzia und Andi dort sind, gibt es auch Übernachtungsmöglichkeiten. Im hübschen Massenlager können 10 Leute schlafen. Ein Angebot, das gerne von Familien, Gruppen und Vereinen genutzt wird. Die Gäste kommen derweil aus der ganzen Schweiz. Die Gastgeber freut es, dass aber auch die Solothurner aus der Umgebung wieder gerne kommen. Das war bei ihren ausschliesslich französisch sprechenden Vorgängern nicht mehr so. «Wir leben hier auf der Sprachgrenze. Gleich hinter dem Haus ist die Grenze zwischen Gänsbrunnen und Moutier», erklärt Andi, «und da ist es für uns unabdingbar, dass wir beide Sprachen sprechen.» In den Sommermonaten sind etwa 80 % der Gäste die Wanderer, die auf den verschiedenen Routen den Oberdörfer erreichen. Da es dabei Wege hat, die einfach und in kurzer Zeit auch von Kindern oder älteren Leuten begangen werden können, ist das Publikum sehr gemischt. Diverse Plätze ums Haus verschönern den Aufenthalt zusätzlich, sei es die Feuerstelle auf der Krete, die Liegewiese mit der im Boden eingelassenen Badewanne für das Fussbad oder das je nach Sonnenstand beliebte Plätzchen gleich hinter dem Haus.
Rinder und Naturpark
«Unsere etwa 70 Rinder kommen trächtig oder werden im Sommer besamt, um dann im Herbst nach 100 Sömmerungstagen ihre Kälber zu bekommen», freut sich Andi. Dafür stehen 50 Hektaren Weideland zur Verfügung. Die weiteren 20 Hektaren Wald und fünf Hektaren Heumatte werden von Andi und Luzia mit tatkräftiger Hilfe von allerlei begeisterten Leuten für den Landwirtschafts- und Restaurantbetrieb bewirtschaftet. Im Winter bleiben nur 13 Tiere auf dem Berg im neuen Laufstall.
Der Bergbetrieb auf dem Oberdörfer ist eingebettet in den Naturpark Thal, einem von insgesamt 19 Pärken in der Schweiz von nationaler Bedeutung. Als solcher ist er typischerweise teilweise besiedelt, eine ländliche Gegend mit hohen Natur- und Landschaftswerten. Bauten fügen sich in die Landschaft und das Ortsbild ein. Die Qualität von Natur und Landschaft soll erhalten und die nachhaltig betriebene Wirtschaft soll gestärkt werden. Im Naturpark Thal zeigt sich der Kettenjura besonders ausgeprägt und an vielen Orten sind hier tiefe Schluchten und sanfte Höhen zu erkunden. Sie bieten verschiedene Lebensräume. Im Wald, auf den Weiden und Wiesen, an und in den Weihern leben hier im Thal viele Tiere und Pflanzen, die sogar vom Aussterben bedroht sind.
Wanderparadies
Ein Standardausflug von Gästen aus dem Mittelland führt mit dem Zug ab Solothurn durch den Tunnel nach Gänsbrunnen. Auf Schusters Rappen kann man den etwa fünf Kilometer entfernten Oberdörfer auf verschiedenen Routen erreichen: So beispielsweise gemütlich der Fahrstrasse entlang, via den Bergahornweg oder das etwas anspruchsvollere Martinswägli. 500 Höhenmeter gilt es zu bezwingen, bevor man den Weitblick durch das Tal gegen Osten oder auf die vordere Jurakette geniessen kann. Eine beliebte Route führt von Moutier via den Graitery innert drei Stunden auf den Oberdörfer und dann wieder ins Tal nach Gänsbrunnen.
Im Winter bietet die Gegend diverse interessante Skitouren und ist ein Mekka für Schneeschuhläufer. Seit die neue Seilbahn auf dem Weissenstein in Betrieb ist, kommen auch viele Gäste wieder via Weissenstein, machen allenfalls noch einen Abstecher auf die Hasenmatt und streben dann ihrem Ziel auf dem Oberdörfer entgegen. Die Strasse von Gänsbrunnen her ist schmal und im oberen Teil nicht asphaltiert. Sie ist jedoch öffentlich und darf jederzeit befahren werden. Eine Möglichkeit für nicht so sportliche Leute, die Annehmlichkeiten auf dem Oberdörfer dennoch geniessen zu können. Beispielsweise jetzt dann schon bald wieder an den beliebten Grillsonntagen, zu welchen der Kartoffelgratin oder die frische Züpfe aus Luzias Küche nicht fehlen dürfen. Am Sonntag ist um 18 Uhr Feierabend auf dem Oberdörfer und am Montag und Dienstag ist das Restaurant geschlossen. Dann haben Andi und Luzia ihr kleines Paradies wieder ganz für sich …
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Restaurant Oberdörfer
Andi Schnider und Luzia Schnyder
4716 Gänsbrunnen
Telefon 032 639 16 85
www.oberdoerfer.ch