Das Wort hat Geri Kühne
«Das Wort hat …» heisst der Titel dieser Kolumne. Wenn mir das Wort erteilt wird, dann will ich zuallererst auch Wort halten und das erfüllen, was ich versprochen habe: Die Kolumne schreiben und rechtzeitig abliefern! Eine so genannte «Carte blanche» hat mir die Redaktion eingeräumt: «Du kannst schreiben, worüber du willst, was du willst und wie du willst», eröffnen mir Stefan Schwarz und Hanspeter Eggenberger, die sich seit 20 Jahren für die Herausgabe dieser Zeitschrift, die einmal «Stubete» hiess, engagieren.
«Carte blanche»? Was hat dann der Verfasser der Kolumne geschrieben, welcher in der letzten Ausgabe das Wort hatte? Die Rubrik «Seitenblick» von «Land&Musig 3-2016» bringt die Klärung. Schau her, der Josef Odermatt, OK-Präsident des Heirassa-Festivals in Weggis, fasste Worte in Sätze und unterstrich die Popularität der Schweizer Volksmusik. Eben hätten sich im mondänen KKL Ländlermusiker und Jodler wieder in die Herzen der 1’700 Gäste gespielt und gejodelt. Weg sei sie, die Schwellenangst. Auch im Ausland (Beispiel «Grüne Woche» in Berlin mit Willi Valotti, Urs Meier und Schöff Röösli) finde die Schweizer Volksmusik immer wieder grosse Beachtung.
Noch vor dem Heirassa-Festival hatte ich Gelegenheit, im Rahmen des Jubiläums «10 Jahre Haus der Volksmusik» in Altdorf, ein Referat – und damit gesprochene Worte von Pius Knüsel, dem früheren Direktor der Kulturstiftung Pro Helvetia – zu hören. In eben diesem Hause habe er kürzlich das UR-Tango-Konzert besucht. Auf der Bühne vor 400 Zuhörern das Quintett Tango Real und das Handorgelduo Johny Gisler – Franz Schmidig in einer Gegenüberstellung. «Der Tango überzeugte mich mässig», sagte Knüsel. Nachdenklich hätten ihn aber die vier Ländlermusikanten gestimmt, die sich durch Expressivität (Ausdruck, Ausstrahlung) schlicht die Show stehlen liessen. Der Tango, nichts anderes als eine Volksmusik heimatloser Gesellen aus dem Hafen von Buenos Aires, sei sehr emotional. Und diesen Trumpf hätten die Tangomusiker ausgespielt. Umgekehrt erklangen Schottisch, Polka, Walzer und Ländler höchst perfekt vorgetragen ohne sichtbare Bewegtheit. Sie seien viel zu bescheiden, die Ländlermusikanten. Viele von ihnen hät-ten Hemmungen, ihre Freude mitzuteilen und den Funken springen zu lassen.
Woher diese Hemmungen, diese Bescheidenheit, diese Duckmäuserei? Mir fällt da-zu ein, dass Kinder in der Schule oft ausgelacht und gehänselt werden, wenn sie ihr Wohlgefallen an unserer Ländlermusik offenlegen. Ländlermusik? Wie peinlich! Aus Angst, die Sympathie ihres Umfeldes zu verlieren, verheimlichen Kinder und Jugendliche deshalb ihre Neigung. Und sie behalten diese negative Haltung gegenüber der Schweizer Volkmusik und Volkskultur – der Kultur unseres Landes – leider oft bis ins Alter.
Sollten andere Kulturen der unseren dereinst den Rang ablaufen, war die Angst vor einem randständigen Dasein im Kindesalter umsonst. Und die fast angeborene, typisch schweizerische Bescheidenheit (weil beim Schreiben der Kolumne gerade aktuell: Uns fehlt der Tick Grössenwahn, die Unverfrorenheit, die Überzeugung des eigenen Könnens, das Selbstbewusstsein eines Shaqiris!) bleibt somit nicht eine an sich löbliche Tugend, sondern verkommt für die Entwicklung und auch für eine gewünschte Erneuerung der Volksmusik zur Last.
Geri Kühne
Kolumnist, Moderator, Musiker
25.07.2016
VON GERI KÜHNE